Turm mit zwei Ge­sich­tern

Sowohl im Auf- als auch im Grundriss schert die Villa in Zürich Albisrieden am Fuss des Uetlibergs aus dem strengen Bebauungsmuster des Einfamilienhausquartiers aus. Ihre Form leitet sich aus Anforderungen ab, die einander fast ausschliessen: In der Zone W2 gelegen, sollte sie vier Geschosse aufweisen. Michael Meier und Marius Hug Architekten haben das Problem mit einer Volumetrie gelöst, die sich von vorn als Turm präsentiert und von hinten einen breiten Rücken zeigt. Damit haben sie die Hanglage in dem Aussenquartier der Stadt Zürich explizit thematisiert.

Publikationsdatum
13-11-2013
Revision
30-10-2015

Oberhalb des Einfamilienhausquartiers, das sich entlang des Lyrenwegs parallel zum Hang entwickelt, steht seit Anfang dieses Jahres ein bemerkenswerter Neubau. Entworfen haben ihn die Zürcher Architekten Michael Meier und Marius Hug. Das Zweifamilienhaus steht auf einem Grundstück in der zweiten Reihe der regelmässig angeordneten Parzellen, das sich schmal und steil den Hang hinaufzieht und an seinem oberen Rand in Wald übergeht. Damit befindet sich das Gebäude an der Grenze zwischen Stadt und Land.

Diese Tatsache haben die Architekten genutzt und zum Thema des Hauses gemacht. Durch die steile Lage am Hang tritt das Gebäude auf allen Seiten unterschiedlich in Erscheinung. Von der Stadt, d. h. von Norden, wirkt das Haus hoch und schmal wie ein Turm. Auf der Rückseite, von Süden, nimmt man es als zweigeschossiges Gebäude mit Attika wahr, das sich in die Breite entwickelt. Eine Herausforderung war es, das Volumen gesetzeskonform auf dem Restgrundstück zu platzieren.

Was heute selbstverständlich aussieht, war ein schwieriges Unterfangen: Die Gebäudehöhe von insgesamt 8.50m stand aufgrund der Zone W2 fest. Gleichzeitig durften maximal 50% des untersten Geschosses über Terrain liegen. Das Haus sollte zudem über vier Stockwerke verfügen, damit sich das Konzept von zwei Familienwohnungen realisieren liess. Diese sind paarweise über je zwei Geschosse organisiert. Bewerkstelligt haben das die Architekten, indem sie zunächst die vier äussersten Punkte der Fassadenabwicklung in der Höhe festlegten und den Baukörper danach entlang der Höhenkurven quasi ins Gelände einpassten.

Roh und geschliffen

Der annähernd symmetrische Zuschnitt der Grundrisse und die Fenster, die übers Eck laufen, sind laut Michael Meier eine Reminiszenz an die Wohnhäuser des Lyrenquartiers aus den 1930er-Jahren – diese sind ebenfalls symmetrisch organisiert und mit Eckfenstern ausgestattet. An der Längsseite verengt sich die achteckige Grundfigur jeweils, während die kürzeren Seiten sich mittig nach aussen stellen. Dadurch entstehen erkerartige Ausschnitte, die geschossweise mit leicht zurückversetzten Gläsern ausgefacht sind.

Die ohnehin eindrückliche Weitsicht von den talseitig gelegenen Räumen über die Stadt im Osten und das Siedlungsgebiet des Limmattals im Norden wird dadurch noch spektakulärer. Indem die übrigen Aussenflächen des Baukörpers vollständig geschlossen gestaltet und sowohl Aussentreppen als auch auskragende Vordächer durchwegs in Beton gegossen sind, entsteht eine prägnante Form.

Einzig die Abdeckungen der Brüstungen aus eloxiertem Aluminium sowie die Staketengeländer des Attikageschosses, der Dachterrasse und der Aussentreppen in gespritztem Metall bestehen aus einem anderen Material – mit ihrer dezenten Gestaltung treten sie jedoch in den Hintergrund. Damit bleiben trotz der Rohheit der Form die präzisen gestalterischen Entscheide der Architekten spürbar. Diese wiederum machen die roh geschnittene Form erst möglich – und das trotz der hohen technischen Anforderungen, die das Gebäude mit dem Minergie-Standard erfüllt.

Die zwei Gesichter von Hang- und Talseite 

Im Innern gliedern zwei nicht rechtwinklige Erschliessungskerne die Grundfigur im Erd- und im Obergeschoss und lassen im Bereich der vier geschosshoch verglasten Ecken des Raums halboffene Nischen entstehen. Im Erdgeschoss gehen diese in einen zur Stadt orientierten, offenen Wohnraum über. Im Obergeschoss ergänzen raumbildende Leichtbauwände die abgeschlossenen Zimmer, die zur Fassade hin alle im Stil einer Enfilade miteinander verbunden sind. Im Dachgeschoss treten in den Gebäudeecken an Stelle der Erker vier Aussenräume, die unterschiedliche Ausblicke ermöglichen. 

Während das Kellergeschoss mit Garage und Technikräumen vollständig im Berg liegt – was eine aufwendige Fundation notwendig machte –, beherbergt das Sockelgeschoss die Schlafräume der Gartenwohnung sowie ein Badezimmer und einen Arbeitsraum. Da dieser zum Hang hin liegt, wird er durch eine in die Decke eingelassene, horizontale Glasfläche belichtet. Durch die allseitige Ausrichtung entstehen in beiden zweigeschossigen Wohnungen überraschende räumliche Abfolgen. So bleibt, auch wenn man sich in einem zum Hang orientierten Raum aufhält, die Stadtseite des Hauses spürbar – ebenso ist die Aussicht in den Grünraum präsent, während man den Blick über die Häuser der Stadt schweifen lässt.

Diese Gleichwertigkeit der Ausrichtung des Hauses schafft zwei unterschiedliche Wahrnehmungen: eine urbane, auf die dicht bebaute Stadt bezogene, und eine ländliche mit Blumenwiese und Wald. Die schlichte Materialität der Räume mit Leichtbauwänden und Möbeleinbauten in furnierter Braunkernesche, den schalungsglatten, lasierten Betonoberflächen, den Terrazzoböden und den eloxierten Fensterrahmen schafft eine dezente, beigegoldene Farbigkeit und sorgt für eine angenehme Raumatmosphäre. In der oberen Wohnung sind alle Leichtbauwände in einem warmen Grauton gestrichen, entlang der Erschliessungszonen sind diese mit Holz verkleidet. Konstruktiv notwendige Elemente wie Fensterprofile oder Absturzsicherungen sind zurückhaltend gestaltet

Vom Betonbau zum berankten, grünen Körper 

Die grosszügige Wirkung der Räume täuscht darüber hinweg, dass die begrenzte verfügbare Fläche von je ca. 103m2 pro Geschoss zu radikaler räumlicher Optimierung zwang. So haben die Treppen beispielsweise alle maximale Steigungsverhältnisse. Auch handwerklich war der Bau des Hauses anspruchsvoll. Laut Architekt Michael Meier war insbesondere die Schalung der teilweise schräg gestellten Betonwände eine Herausforderung, die jedoch dank der guten Zusammenarbeit mit dem Unternehmer habe gemeistert werden können. 

Statisch ist der Baukörper so konzipiert, dass die Fassade tragend ist. Die innen liegenden Betonwände der Erschliessungskerne werden praktisch nicht aktiviert, sondern sind nur aus gestalterischer Absicht in Beton ausgeführt. Die Betondecken liegen örtlich auf der einschaligen Betonfassade auf und sind mit 18 bis 22cm Stärke vergleichsweise schlank. 

Das Zweifamilienhaus erfüllt den Minergie-Standard und ist mit einer Bedarfslüftung ausgestattet. Die Wärmeversorgung erfolgt über eine Wärmepumpe mit Erdsonden. Während die im Hang liegenden Geschosse aussen gedämmt sind, ist der gegen aussen sichtbare Teil mit einer Innendämmung versehen. Das erste Jahr im Haus habe gezeigt, dass das Raumklima trotz der grossen Fensterflächen äusserst angenehm sei, so Michael Meier. Der Garten rund ums Haus soll sich über die Jahre entwickeln und der jetzt noch rohe Betonbau mit der Zeit zu einem berankten, grünen Körper werden, der sich im Herbst zu einem intensiven Rot wandeln wird. Auch die Blumenwiese mit Obstbäumen und Büschen braucht Zeit, bis sie sich voll entfalten wird.

Verwandte Beiträge