Scha­der heu­te

Architektur der Nachkriegszeit

Vor 100 Jahren wurde der Schweizer Architekt Jacques Schader in Basel geboren. Seine Bauten gehören zu den besten jener Epoche, die aktuell von Erneuerung und Sanierung betroffen ist.

 

Publikationsdatum
09-06-2017
Revision
15-06-2017

Filme der Nouvelle Vague aus den 1960er-Jahren werden als Klassiker verehrt. Old­timerautos werden gehegt und gepflegt. Während Möbel, Mode, ­Musik, Literatur und Kunst der Nachkriegszeit heute als kulturelle Zeitzeugnisse geschätzt werden, erhält die Architektur jener Epoche erst zögerlich eine angemessene Wertschätzung. Es fehlt am Verständnis in der Bevölkerung und an Vermittlungsarbeit vonseiten der Fachleute.

Die Werke des Architekten Jacques Schaders (1917–2007) führen bildhaft vor Augen, wie qualitätsvoll während der Boomjahre entstandene Bauten sein können. Subtil formte er die Baukörper und komponierte die Innenräume. Es ging ihm gleichermassen um die äus­sere Form wie um den damit gebildeten Raum.

Prägungen und Einflüsse

Jacques Schaders Lebensweg ist bezeichnend für seine Generation. Nach der Matura besuchte er zunächst die Fachklasse für Innenausbau an der Kunstgewerbeschule Basel und suchte praktische Arbeit in einer Schreinerwerkstätte. Dann erst ergriff er das Architekturstu­dium an der ETH Zürich, das er 1943 abschloss. Mit dem ersten Bau, einem Ferienhaus am Luganersee, gründete er 1946 das eigene Architekturbüro in Zürich. 1948 übernahm er die Redaktion der im Jahr zuvor ins Leben gerufenen Archi­tekturzeitschrift «Bauen + Wohnen». Fünf Jahre lang prägte er zusammen mit dem Grafiker und Künstler Richard Paul Lohse diese rasch an Renommee gewinnende Zeitschrift, die für eine konsequente Fortsetzung der Moderne eintrat und sich als Sprachrohr der international Aufgeschlossenen behauptete. Publiziert wurden zunächst leicht und elegant konstruierte Flachdachbauten, mitunter viele aus den USA.

Schader selbst, der das von ihm bevorzugte Flachdach in seinem Früh­werk öfter nicht realisieren konnte, demonstrierte mit dem 1956 fertiggestellten Verkehrspavillon am Buch­eggplatz in Zürich die transparente Leichtigkeit der amerikanischen Pavillonarchitektur und erstmals den Einfluss von Ludwig Mies van der Rohe.

Überragendes Hauptwerk

Die Kantonsschule Freudenberg in Zürich gilt zu Recht als Hauptwerk Schaders sowie als Architekturikone der Schweizer, ja der europäischen Nachkriegsarchitektur. Schon bevor 1959 der Schulbetrieb aufgenommen und 1961 die Aula fertiggestellt wurde, erhielt die Schulanlage höchste Aufmerksamkeit und wurde als ein Manifest des Aufbruchs gefeiert. Nach der Verkündigung des Wettbewerbsresultats 1954 wurde Schaders Projekt zuerst in den Tageszeitungen, dann in Architekturzeitschriften vieler Länder und schliesslich in zahlreichen Büchern über das Bauen in der Schweiz als epochaler Beitrag zur Erneuerung der Moderne rezipiert.

Zwei miteinander verknüpfte architektonische Themen charakterisieren den Entwurf: das Raumkontinuum und die Transparenz. Die zusammenhängende Struktur, das Verbinden der Trakte und Räume, das ständige Weiterleiten in der Wegführung, die Sichtbezüge namentlich über die Hallen und Treppen hinweg schaffen eine allumfassende räumliche Kontinuität. Die Durchdringung der Gebäudehülle, die Auflösung ganzer Raumfronten und das Spiel mit durchsichtigen und opaken Verglasungen ergeben eine vielfältige räumliche Transparenz. Jeder nimmt beim Durchschreiten die «fliessende» Raumauffassung wahr.

Unausgeführte Entwürfe

Im Büronachlass zählt man 43 Wettbewerbsprojekte, die Jacques Schader mit seinen Mitarbeitern zeitlebens ausarbeitete. Sein Büro galt als innovatives Entwurfslabor. Doch die Bilanz der daraus resultierenden Bauaufträge ist ernüchternd: Von den zwölf mit dem ersten Preis ausgezeichneten Projekten wurden lediglich drei ausgeführt. Gründe hierfür sind Standortwechsel, Finanzierungsschwierigkeiten und andere meist politische Entscheide.

Der Frust muss beträchtlich gewesen sein: Unter den ersten Preisen, die nicht zur Ausführung gelangten, waren einige lukrative Grossprojekte, andere betrafen städtebauliche Schlüsselstellen. Schaders Wettbewerbsvorschlag von 1955 für das Jugendhaus Drahtschmidli hätte das Flussufer gegenüber dem Platzspitz mit einer einprägsamen Abfolge kubischer Flachdachbaukörper versehen. Am Helvetiaplatz mitten im Quartier Aussersihl sah Schaders prämierte Wettbewerbseingabe von 1958 eine mehrteilige Überbauung mit Geschäftszentrum, Kirchgemeinde- und Schulhaus vor. Mit einem 19-stöckigen, im Windradschema aufgegliederten Punkthochhaus hätte sie dem Ort zusätzliche Bedeutung und ein neues Wahrzeichen gegeben. Im Wettbewerb für eine umfangreiche Wohnüberbauung im Gebiet Langgrüt am Fuss des Uetlibergs, zu dem 1963 ein privater Landeigentümer eingeladen hatte, wäre gemäss Schaders Siegerprojekt eine gewaltige Hochhausscheibe nach dem Vorbild von Le Corbusiers Unité d’habitation entstanden, mit doppelgeschossigen Gemeinschaftszonen im Treppenhaus.

Entwerfender Denker

Aufgrund seines Renommees als entwerfender Denker wurde Jacques Schader als Professor an die Architekturabteilung der ETH Zürich berufen. Von 1960 bis 1970 forschte und unterrichtete vor allem zum Thema Wohnen. Wiederholt hatte sich Schader theoretisch mit dem Wohnumfeld auseinandergesetzt und für eine Aufwertung des Treppenhauses als Sozialisationsfeld plädiert. Schaders Laufbahn, die neben dem Architekturbüro auch die Tätigkeiten als Redaktor und Hochschullehrer umfasste, zeugt von einem vielseitigen, umfassenden Berufsverständnis, das nicht nur vom städtebaulichen Kontext bis zum Innenausbau reicht, sondern auch Reflexion und Vermittlung beinhaltet.

Das Engagement in der Lehre hatte die Bautätigkeit im Architekturbüro eingeschränkt. In der darauffolgenden intensiven Schaffens­phase baute Schader für Zürich wichtige Bauten wie das Kirchgemeindehaus Aussersihl (1970–1973) beim Stauffacher und den Schweizer Hauptsitz der IBM (1970–1973) an der Seefront. Zu seinem Spätwerk gehört auch das eigene Wohnhaus in Schwerzenbach, das er 1973/74 ausführte. Hier konnte er Ideen und Anliegen umsetzen, die ihn zeitlebens beschäftigten. Zum Hauptthema erhob er die räumliche Durchdringung, die in der zentralen Halle kulminiert: Vom erweiterten Zwischenpodest der Treppe hat man Sichtverbindungen in beide Geschosse und einen Ausblick hang­abwärts zum See.

Respektvolle Sanierung

Wie erging es Schaders Werken seither? Die meisten wurden mittlerweile grundsätzlichen Fragestellungen unterworfen: Können bei einer Instandsetzung die aktuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden? Wie viel Originalsubstanz soll bei einem Umbau erhalten bleiben? Oder darf der Bestand einem Ersatzneubau Platz machen? Einzelne von Schaders Bauten wurden abgebrochen, wie das 1949/50 erbaute Verwaltungsgebäude des Schweizerischen Obstverbands in Zug, das einem Hochhaus wich.

Manche seiner Bauten wurden verändert, um sie neuen Bedürf­nissen anzupassen, oder aber aus weniger einsichtigen Gründen. Beispielsweise wurden beim Kirchgemeindehaus Aussersihl die kämpferartigen Brise-Soleils der Fenster entfernt und der Sichtbeton bedauerlicherweise beigegrau überstrichen. Auch das 1981/82 errichtete Lehrlingsausbildungszentrum der BBC und späteren ABB in Zürich Oerlikon büsste seine hellgelbe Frische durch einen Neuanstrich ein. Doch bei der Zürcher Kantonsschule Freudenberg, die Jacques Schader selbst in Etappen zwischen 1993 und 2000 sanieren konnte, bewies er in vorbildlicher Weise, wie re­spektvoll und einfühlsam die Erneuerung qualitativ hochwertiger Architektur geschehen kann.

Aktuelle Forderungen nach baulicher Verdichtung und zur Reduktion des Energieverbrauchs setzen dreissig- bis sechzigjährige Bauwerke enorm unter Druck. Vor diesem Hintergrund muss die Architektur der Nachkriegszeit laufend einer Beurteilung und Bewertung unterzogen werden.
 

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