Rohr­blö­cke er­set­zen Lei­tungs­mas­ten

Umbau der Stromnetze

Beim Bau von Höchstspannungsleitungen wird um landschaftsschonende Lösungen gerungen. Am Bözberg macht sich Swissgrid nun erstmals an eine Erdverkabelung. Die Premiere wird wissenschaftlich begleitet, damit bisherige Unsicherheiten ausgeräumt werden können.

 

Publikationsdatum
01-12-2016
Revision
02-12-2016

Die Energielandschaft in Europa braucht leistungsfähigere Verbindungen, um die Windparks im Norden ans Netz anzubinden und den Strom schneller in den Süden zu bringen. Quer durch Deutschland sind zwei derartige Stromautobahnen geplant. Bereits sind die Diskussionen über Trassen und Korridore im Gang; umstritten ist vor allem, welche Gleichstrompassagen ober- oder unterirdisch verlaufen sollen. Ohne Erdverkabelung wird das Vorhaben aber kaum gelingen; ein möglichst landschaftsverträglicher Ausbau der Stromnetze ist gefragt. Vor wenigen Wochen haben die Netzbe­treiber im nördlichen Nachbarland ein aufwändiges Beteiligungsverfahren zur Planung der Nord-Süd­korridore begonnen. Man hat aus früheren Konflikten gelernt. Bis die Einwände bereinigt sind, verstreicht oft viel Zeit.

Fast 20 Jahre dauerte beispielsweise der Streit im Schweizer Mittelland. Er begann 1996, als die Nordostschweizer Kraftwerke NOK (heute: Axpo) ihren Plan präsentierten, die bestehende Höchstspannungsleitung über den Bözberg auf 380 kV aufzurüsten und die Trasse abzuändern. 

Die Aargauer Gemeinden Riniken und Bözberg, aber auch Privatpersonen setzten sich jedoch gegen Freileitungen zur Wehr. Sie verlangten, eine als Nah­erholungsgebiet beliebte Landschaftskammer mit ­neuen Masten zu verschonen und stattdessen Höchst­spannungskabel in den Boden zu verlegen. 2011 gab das Bundesgericht dafür überraschend grünes Licht: Die Erdverkabelung sei technisch und ökonomisch machbar und darum eine landschaftlich zu bevorzugende Lösung. Fünf Jahre später ist der Plan der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid, die sich inzwischen um den Ausbau der «380-kV-Leitung Beznau-Birr» kümmert, zur Ausführung bereit: Zwischen Mast 20 und Mast 37 wird die Trasse mehrheitlich auf einer Freileitung durch den Wuestwald führen. Dazwischen aber versinkt sie für gut einen Kilometer in den Boden.

Am «Gäbihübel», einem landwirtschaftlich geprägten und gut einsehbaren Hang oberhalb Brugg, findet die Schweizer Premiere zur Teilverkabelung auf 380-kV-Netzebene statt. Das Bundesamt für Energie hat die Bewilligung bereits erteilt. Die Bauarbeiten zwischen Riniken und Villnachern starten nächsten Herbst, und in etwa drei Jahren soll der Netzausbau inklusive Erdverkabelung abgeschlossen sein, sagt Swiss­grid-Projektleiter Christoph Moser. Die neue Trasse verschafft der Gemeinde zusätzliche Linderung: Die offene Überleitung eines Wohnquartiers wird verschwinden. Zudem wird die 110/16-kV-Leitung östlich von Riniken in den Boden gelegt.

«Gäbihübel» bleibt verschont

Die Zeit zwischen Gerichtsentscheid und Detailprojekt wurde zur Optimierung der Technik und der Streckenführung genutzt. Unter anderem steht das nördliche Portalbauwerk, in dem die Freileitung im Kabelgraben versinkt, nun mitten im Wald. Ebenso ist die Geometrie des Kabelgrabens vereinfacht worden. Und zuletzt kam eine Redimensionierung der Übertragungskapazität hinzu: Anstelle beider wird nur mehr ein Kabelsystem von 220 kV auf 380 kV elektrische Spannung erhöht.  

Zu beachten ist allerdings: Deutsche Energieautobahnen sollen Gleichstrom übertragen, was über oder unter der Erde fast beliebig möglich ist. Die Bözbergleitung transportiert dagegen Wechselstrom. Eine solche Verkabelung verursacht jedoch Zusatzaufwand: Denn proportional zur Distanz wird Blindleistung erzeugt, die mit Spezialanlagen in regelmässigen Abständen zu kompensieren ist. Die Bözbergstrecke ist jedoch nur 1.3 km lang, so dass keine Kompensation erforderlich ist. Zudem ist der Abschnitt derart kurz, dass die Kabeladern an einem Stück eingezogen werden. «Verbindungsmuffen wären potenzielle Schwachstellen; darauf kann aber verzichtet werden», ergänzt Sandro Dinser, Swissgrid-Experte für Kabel­anlagen.

Doch auch so gibt es einige Detailfragen zu klären; insbesondere das thermische Verhalten oder der Schutz vor dem Magnetfeld sind für die unterirdische Linienführung neu zu definieren. Ausgehend von den Parteigutachten und der Plangenehmigung haben die Swissgrid-Fachleute nun das folgende praktische Vorgehen bestimmt: Insgesamt 12 Leitungskabel (110 mm Durchmesser) werden in einem Rohrblock aus Magerbeton durch den knapp 2 m tiefen Erdgraben geführt. Die Alternative wäre ein begehbarer Stollen; ein solcher unterquert etwa den Güterbahnhof Spreitenbach auf 3 km Länge. Dieser 220-kV-Spannungskanal wurde vor 40 Jahren erstellt. «Er hilft uns am Gäbihübel aber ebenso wenig weiter wie die Erdkabelstrecke im Tessin», ergänzt Dinser. Bessere Anschauung erhielten die Swissgrid-Experten in Dänemark und Deutschland, wo wenige Kilometer Wechselstromleitungen verkabelt sind.

Abgeschirmte Magnetfelder 

Grosse Unsicherheiten lösten anfänglich die Anordnung der Kabeladern und Phasen sowie die Geometrie und Tiefe des Grabens aus. Diese Faktoren beeinflussen sich gegenseitig und wirken sich im Untergrund, anders als an der freien Luft, auf die Übertragungsfähigkeit, die Wärmeabfuhr oder die magnetische Strahlung aus. Gemäss Swissgrid-Projektleiter Moser wird eine Erdüberschüttung von rund 1.1 m ausreichende Abschirmung bieten. Die Simulationen hätten ergeben, dass das Magnetfeld auf 20 cm über Boden unter dem gesetzlichen Grenzwert von 100 µT liegt.

Ein tieferer Graben wäre besser gewesen, gleichzeitig hätte das Risiko einer Überhitzung im Überlastfall zugenommen. Die gewählte symmetrische Anordnung der Kabeladern verhindert derweil im ­normalen Betriebszustand einen Wärmestau. Und der Abstand dazwischen wurde so gewählt, dass ein Kurzschluss verhindert wird. Eine weitere Vorsichtsmassnahme ist der Lüftungsschacht, weil der Kabelgraben die SBB-Bözberglinie in rund 4 m Tiefe unterquert. «Im Normalfall könnte man ein Erdkabel aber mit der Hand berühren; erst Störungen im Betriebsnetz erhöhen die Temperatur», sagt Swissgrid-Kabelexperte Dinser. Bevor sich ein Kabel beispielsweise auf kritische 90 °C erwärmen kann, besteht in der Regel genug Zeit für eine Intervention. 

Redundanz und Sicherheit sind bei der erstmaligen Erdverkabelung am Gäbihübel wichtig: Die beiden  Rohrblöcke, die nebeneinander in einem rund 5 m breiten Erdgraben liegen, umfassen je ein Kabelsystem mit drei Phasen und doppelt geführten 380-kV-Kabeln sowie einer Glasfaserleitung. Das unterirdische Bauwerk ist für die nächsten 80 Jahre konzipiert. Bei einer späteren Erhöhung der Übertragungskapazität lassen sich die Kabel im Rohrblock «Gäbihübel» einfach ersetzen. 

Die Bewirtschaftung des Bodens über dem Graben ist nur geringfügig eingeschränkt. Einzig tief wurzelnde Bäume sind verboten; ansonsten werden Äcker und Wiesen wie bisher landwirtschaftlich genutzt. Bei Tiefbau und Bodenrekultivierung wird zudem auf konventionelle Arbeitsmethoden zurückgegriffen.   

Zusatzaufwand noch nicht ausgewiesen

Ein wissenschaftliches Begleitprogramm soll Klarheit über die technischen Fragen zum Betrieb einer unterirdischen Kabelanlage auf dieser Spannungsebene schaffen. Gemeinsam mit den Umweltschutzämtern des Bundes und des Kantons Aargau wird Swissgrid unter anderem die magnetischen Feldströme, die Übertragungsverluste von Kabeln sowie die Austrocknung und weitere biologische Veränderungen im Boden erheben. Laut Swissgrid-Projektleiter Christoph Moser soll das Monitoring langfristig gültige Daten liefern. Angaben zum finanziellen Ausführungsaufwand kann der Netzbetreiber derzeit keine machen. «Die Kosten lassen sich erst anhand der Zuliefererofferten genauer berechnen. Die Rohstoffpreise für Kupfer sind zum Beispiel nur für wenige Wochen abschätzbar», so Moser. 

Generell kostet eine Erdverkabelung zwei- bis zwölfmal mehr als eine Freileitung, wobei die örtliche Situation und die elektrische Transportkapazität massgebend sind. Zumindest bei tiefen Spannungen soll ein neues Bundesgesetz klären, ab welchem Mehraufwand eine Verkabelung zu bevorzugen ist. Projekte auf Höchstspannungsebene sind weiterhin einzeln im Bundes­sachplan «Übertragungsleitungen SÜL» zu beurteilen.

Evaluation von Erdkabeln ist Pflicht

Der Sachplan legt seit dem Bundesgerichtsurteil zur Bözbergtrasse neben dem Planungskorridor auch die Leitungstechnologie fest. Deshalb hat Swissgrid zu jedem Netz­ausbauprojekt eine Kabelstudie auszuarbeiten. Vor wenigen Wochen hat das Bundesamt für Energie zum Beispiel den Plan bewilligt, die 50 km lange Höchstspannungsfreileitung durch das Unterengadin konventionell zu erweitern. Der Einbau eines zusätzlichen 380-kV-Strangs zwischen Mast 28 und Mast 126 kostet knapp 150 Millionen Franken – gleichzeitig die gesamte Trasse in einen unterirdischen Kanal zu verlegen wäre dagegen fast fünfmal teurer gewesen.

Würde man jedoch den Neubau einer Freileitung als Vergleichsgrösse zur Verkabelung beiziehen, wäre der Unterschied sicher geringer. Eine solche Variante hat Swissgrid zwar nicht untersucht. Aber gemäss dem Experten Dinser ist Kabelbau im alpinen Gelände nicht ohne: «Felsiger ­Untergrund, un­zugängliche Hänge oder auch die Logistik und der Transport der riesigen Kabelrollen stellen teilweise unüberwindbare Hindernisse dar.» Auch die Umweltverträglichkeit von Erdkabelstrecken ist nicht per se unbedenklich: Eingriffe in Boden und Grundwasser, Bauarbeiten und Erschlies­sungsstrassen können ein negatives Urteil ergeben.   

Allerdings ist im Unterengadin eine Ersatzmassnahme geplant, die ebenfalls auf Erdarbeiten angewiesen ist: die Verkabelung eines Abschnitts im Hoch- und Mittelspannungsnetz. Für die Feinverteilung der elektrischen Energie werden Erdkabel immer häufiger als valable Ausbauvariante in den Boden verlegt.
 

Verwandte Beiträge