Von der Ent­sor­gung zur Wie­der­ver­wen­dung

Die Norm SIA 430 Entsorgung von Bauabfällen gibt es seit 1993. Der SIA hat nun unter dem Titel Vermeidung und Entsorgung von Bauabfällen eine revidierte Version publiziert. Ein neues Merkblatt zur Planung und Strukturierung der Wiederverwendung bildet eine Ergänzung dazu.

Publikationsdatum
26-03-2024
Marc Angst
Architekt, Projektleiter baubüro in situ / Zirkular

Die Norm SIA 430 stellt die Grundlage für einen umweltgerechten Umgang mit Bauabfällen dar und soll vorgeben, wie der Fall eines Gebäuderück- oder -umbaus geplant wird. Hinzu kommt, dass ab gewissen Bauvolumen oder bei Schadstoffvorkommen ein Entsorgungskonzept gemäss der Abfallverordnung des Bundes (VVEA) zu erstellen ist. Die SIA 430 baut auf den Grundlagen zum Entsorgungskonzept und zur Schadstoffermittlung in der Abfallverordnung auf. 

Die Meinung darüber, was ein umweltgerechter Umgang mit Bauabfällen ist, hat sich – auch vor dem Hintergrund der Klimakrise – geändert. Darum hat der SIA seine Norm überarbeitet und eine revidierte Version publiziert. In der neuen Norm geht es um Materialressourcen und nicht allein um Entsorgung. Der SIA hat das Thema mit Blick auf die Kreislaufwirtschaft aufgenommen.

Seit dem 1. August 2023 heisst die Norm neu SIA 430:2023 Vermeidung und Entsorgung von Bauabfällen. Bereits am Titel ist erkennbar, dass sie tiefgreifende Änderungen erfahren hat. Um dem heutigen Verständnis für den Umgang mit Bauabfällen gerecht zu werden, hat die Arbeitsgruppe auch die Begrifflichkeiten angepasst. So wurde zum Beispiel «Bauschutt» zu «Rückbaumaterial» umformuliert oder neue Begriffe wie «Wiederverwendung» eingeführt. Im Zuge der Vernehmlassung der überarbeiteten Norm haben auch Vorreiter in Sachen Wiederverwendung im Bauwesen, der Fachverband Cirkla, die Stadt Zürich oder Fachplanungsbüros wie Zirkular und Bauteilplattformen wie Salza ihre Meinungen eingebracht. 

Begriffe und Wahrnehmung

Eine besonders wichtige Änderung ist, dass der Begriff der Wiederverwendung im Dokument aufgeführt wird. Er kommt in Gesetzestexten von Bund und Kantonen so gut wie nicht vor. Das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz des Kantons Zürich (2022) ist einer der ersten und wenigen Erlasse, der diesen Begriff als Strategie zur Abfallvermeidung beinhaltet. In Anbetracht dessen gilt die neue SIA 430 auch als Pionierpapier, da im Beschrieb der Begriff und das Verfahren der Wiederverwendung von Bauteilen wahrscheinlich zum ersten Mal offiziell in einer ­SIA-Norm beschrieben wird. Bereits im Vorwort der neuen Norm wird darauf hingewiesen, dass die wichtigste Änderung «die Stärkung des ­Themas Kreislaufwirtschaft ein­schliess­­­lich der Wiederverwendung von Bauteilen» ist.

Dass der Abfallvermeidung eine höhere Priorität zugeordnet wird als der Abfallentsorgung, zeigt sich daran, dass sie in der Hierarchie des Dokuments vor der Entsorgung aufgeführt wird. Bei der Erklärung der Begrifflichkeit der Abfallvermeidung werden die Verlängerung der Lebensdauer von Bauteilen und die Wiederverwendung als geeignete Massnahmen genannt. Dies bedeutet, dass der Erhalt eines Gebäudes und seine Weiternutzung als erste Massnahme der Abfallvermeidung in Betracht kommt. An zweiter Stelle steht die Wiederverwendung der Bauteile aus einem Rückbauobjekt. 

Die Norm beinhaltet auch eine Begriffsdefinition des Re-Use, die die schonende und qualitätserhaltende Rückgewinnung oder die Demontage der Bauteile umfasst. Das setzt vo­raus, dass ein qualifiziertes Team darauf achtet, die Bauteile verlustfrei rückzubauen, um sie an ihrem neuen Einsatzort wieder zu montieren.

Von Beginn an mitgeplant

Die SIA 430 umfasst weiter einen Beschrieb des Planungsablaufs entlang der SIA-Phasen: von der strategischen Planung über Vorstudien, Projektierung, Ausschreibung etc. Zusätzlich zur bisherigen Regulierung, die vorgibt, wie die Materialien erfasst werden hinsichtlich Entsorgung oder Feststellung von Schadstoffen, legt die Norm anhand der Phasen auch fest, dass im Sinne der Kreislaufwirtschaft Bauteile geortet und inventarisiert werden müssen. 

So schreibt die Norm denn auch vor, dass in den bereits geforderten Entsorgungskonzepten in Phase 33 (Bewilligungsverfahren) neu auch Wiederverwendungskonzepte dargestellt werden. Noch gibt es nur wenige Vorlagen, wie ein solches Wiederverwendungskonzept auszusehen hat. Aber mit der Vorgabe, solche Konzepte ab jetzt für die Bauprojekte zu erarbeiten, werden sich bald Ideen und Wege eröffnen. 

Dieses Manko nahm sich die Arbeitsgruppe des Innosuisse- Projekts «Wiederverwendung von Bauteilen: Rechtlicher Rahmen», bestehend aus ZHAW School of ­Mana­gement and Law und Zirkular, zum Anlass, ein Merkblatt als erste Grundlage zu erarbeiten. 

Ein neues Merkblatt

Die Verlinkung der SIA 430 mit der Website des Vereins Cirkla ermöglicht es, immer neue und aktuelle Dokumente, Informationen und Grundlagen zum Bauen mit wiederverwendeten Teilen für einen gros­sen Interessentenkreis zugänglich zu machen.

Seit dem 1. November 2023 steht das Merkblatt Wiederver­wendung auf der Website von Cirkla zum Download bereit. Es ­handelt sich dabei um die erste Darstellung davon, wie Prozesse der Wiederverwendung geplant und strukturiert werden können. Themen des Merkblatts sind neben der SIA 430 die ebenfalls neue deutsche Norm DIN SPEC 91484 «Ver­fahren zur Erfassung von Bauteilen», die Wiederverwendung in der Ökobilanzierung, Labels, Baudokumentation und die juristischen Grundlagen des Bauens mit wiederverwendeten Bauteilen.

Der Hauptteil dieses Merkblatts zeigt den Ablauf der Wiederverwendung auf. Wichtig ist, dass sich die Wiederverwendung in zwei Prozesse unterteilt. Zuerst geht es um das Quellobjekt: das Gebäude, das rückgebaut wird und dessen Bauteile wiederverwendet werden sollen. Auf der anderen Seite wird das Zielobjekt behandelt: das Projekt, bei dem wiederzuverwendende Bauteile eingeplant und eingebaut werden sollen. Diese Abläufe lassen sich in den schematischen Darstellungen einfach nachvollziehen und auf verschiedene Projekte übertragen. 

Für den Wiedereinbau im Zielobjekt gestaltet sich dieser Prozess etwas komplizierter, da der Planungs- und Bauprozess vom ­klassischen Vorgang entlang der SIA-Phasen abweicht. Insbesondere bei der Projektierung stellt sich die Herausforderung, dass die Rei­henfolge nicht zwingend Planung, Produkt, Realisierung ist. Da die ­wiederverwendeten Bauteile den Planungsprozess massgeblich beeinflussen, müssen diese oft vor der Ausführungs­planung gesucht, gekauft und eingelagert werden. Das Merkblatt unterscheidet im Prozess zwischen Fachplanung, Bauteilsuche, Projektbegleitung und Bauteilbeschaffung. Zu guter Letzt ist dem Merkblatt ein Glossar angehängt, das die Begrifflichkeiten erklärt, die zum Bauen mit wiederverwendeten Bau­teilen gehören. Somit stellt das Merkblatt eine sinnvolle Ergänzung zur SIA 430 dar.

Revidierte Norm SIA 430:2023 Vermeidung und Entsorgung von Bauabfällen auf www.shop.sia.ch/normenwerk/architekt/430_2023_d/D/Product


Merkblatt «Wiederverwendung von Bauteilen», Leitfaden für zirkuläre Bauprojekte auf www.cirkla.ch/publikationen

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