Sturm­holz

Willkürlich aufeinander gefallene Bäume dienten als Vorbild für das neue Informationszentrum des Nationalparks Schwarzwald am Ruhestein. Um das komplexe Tragwerk der teilweise weit auskragenden Gebäuderiegel zu berechnen, war durchaus auch Wissen aus dem Brückenbau gefragt.

Publikationsdatum
17-08-2021

Umgestürzte, entwurzelte Bäume sind im Schwarzwald keine Seltenheit. Das neue Besucher- und Informationszentrum des Nationalparks Schwarzwald orientiert sich an diesem Bild. Inmitten von bewaldeten Hängen zwischen Baiersbronn und Seebach entstand im letzten Jahr auf über 900 m ü. M. ein neues Gebäude. Als besondere Attraktion wurde ein Skywalk gebaut, über den man zu einem Aussichtsturm gelangt, um den Blick über die Baumkronen zu geniessen.

163 Planungsbüros hatten im europaweit ausgeschriebenen Wettbewerb ihre Entwürfe eingereicht. 22 Teams liess die Jury für die zweite Runde zu. Von Beginn an bestand der Anspruch, möglichst viel Holz einzusetzen. Diesem Wunsch waren jedoch an einigen Stellen statische Grenzen gesetzt. Die Planer mussten neben den ohnehin hohen Ausstellungs- und Verkehrslasten Erdbebenlasten, hohe Wind- und Grundschneelasten sowie Lasten aus möglichen Schneeverwehungen ansetzen. Zudem war die Einwirkung durch «Baumwurf» mit einer punktuellen Last zu berücksichtigen. 1 So wurden erdberührende, biegebeanspruchte oder hochbeanspruchte Bauteile betoniert. Wo notwendig, ersetzte man Holz durch Stahl.

Bäume, die frei in den Hang wippen

Entstanden ist ein Komplex aus acht flachen, versetzt gestapelten Gebäuderiegeln. Sie sind bis zu 65 m lang und ragen teilweise weit über das steil abfallende Gelände hinaus: Die Spannweiten sind gross, Auflagerpunkte rar – durchaus vergleichbar mit Anforderungen im Brückenbau.

Das Tragwerk der flächig gelagerten Erdgeschossriegel wurde in standardisierter Beton- und Holzständerbauweise umgesetzt. Für die darüber liegenden Gebäuderiegel wählten die Ingenieure bis zu 5 m hohe, leichte, aber möglichst steife Fachwerkbinder als Haupttragstruktur. Im Überschneidungsbereich liegen die Riegel auf Stahlstützen oder Stahlbetonkernen auf, die sowohl vertikale Erschliessung als auch horizontale Stabilität garantieren und die Lasten über Flach- und Verpresspfahlgründungen in den Baugrund abtragen. 1

Als offene, aus den Riegeln heraustretende Tragstruktur entwickeln sich beim Skywalk 5 m hohe V-Fachwerke als Brückenträger aus Brettschichtholzbindern. Die Träger lagern seitlich am Aussichtsturm auf und verlängern sich zu einer grossen, auskragenden Balkonstruktur. Über den Skywalk erreichen Besucherinnen und Besucher den 35 m hohen und um 15° geneigten Aussichtsturm – eine Brettsperrholz-Stahl-Konstruktion.

Die Gesamttragstruktur, die zunächst nur aus sich kreuzenden Rechteckquerschnitten besteht, entwickelt erst im Detail eine grosse Komplexität. Auch wenn eine reine Holzkonstruktion aufgrund der Rahmenbedingungen nicht möglich war, nutzten die Konstrukteure die Tragfähigkeit und Bandbreite des Materials bestmöglich aus.

Insgesamt sind im Besucherzentrum 1500 m3 Holz aus heimischen Wäldern verbaut: Buche, Fichte und Weisstanne in Form von Brettschichtholz, Brettsperrholz oder Furnierschichtholz. Das Haupttragwerk besteht aus einem Buchenholzfachwerk, das als Laubholz eine wesentlich höhere Tragfähigkeit als Nadelholz hat. In den Fachwerkknoten werden die Gurte und die V-Streben mit Schlitzblechen und Stabdübeln mehrschnittig verbunden. 2

Im Besucher- und Informationszentrum wird neben Funktionsräumen eine grosse, mehrsprachige und interaktive Ausstellung zum Thema Wald gezeigt. Die offizielle Eröffnungsfeier fand im November 2020 statt. Für Besucherinnen und Besucher ist die Besichtigung seit Frühling 2021 möglich.

Weitere Infos

Nationalparkzentrum

Broschüre zum Bau
 

 

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft
Vermögen und Bau, Amt Pforzheim (D)

 

Architektur
Sturm und Wartzeck, Dipperz (D)

 

Tragkonstruktion
schlaich bergermann partner sbp, Stuttgart

 

Gebäudetechnik
ewt-Ingenieure, Grebenhain (D)

 

Landschaftsarchitektur
(f) landschaftsarchitektur, Bonn

 

Unternehmung Massivbau
Lang Bau, Ettlingen (D)

 

Unternehmung Holz-/Stahlbau
Züblin Timber, Aichach/Gaildorf (D)

Anmerkungen

 

1 Michael Werwigk, Florian Markert, schlaich bergermann partner, «Mit Holz hoch und weit hinaus», in: Bautechnik 96 (2019), Heft 11, Ernst & Sohn, S. 839–848

 

2 schlaich bergermann partner, Multilayered – konstruktive Vielfalt, Birkhäuser Verlag, Basel 2020

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