«Man muss sich ins The­ma rein­knien»

Bodenwahrnehmung

Auch im UNO-Jahr wird die Gefährdung des Bodens von der Allgemeinheit kaum beachtet. Der Öffentlichkeitsbeauftragte Urs Steiger will das Interesse aber nicht mit Alarmismus wecken.

Publikationsdatum
07-10-2015
Revision
15-11-2015

TEC21: Herr Steiger, vor den Sommerferien haben Sie ein Medienseminar über das nationale Forschungsprogramm «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» mangels Anmeldungen kurzfristig abgesagt. Ist das geringe Interesse am Thema Boden symptomatisch?
Urs Steiger: Ja, weil in vielen Redaktionen ein gewisses Grundwissen fehlt und das Thema unterhalb der medialen Aufmerksamkeitsschwelle liegt. Zudem sind solche Veranstaltungen im Bereich der Bodenforschung neu und nicht institutionalisiert.


TEC21: Kulturlandverlust oder Ernährungssicherheit sind aber aktuelle politische Themen mit einem direkten Bezug zum Boden. Reicht das nicht?
Steiger: Solche Zusammenhänge funktionieren nur bedingt und werden als solche kaum wahrgenommen. Bei der Zersiedelung macht sich die Bevölkerung eher Sorgen um das Landschaftsbild und den sichtbaren Zustand der Kulturlandschaft. Beim Stichwort Ernährung kommt das landläufige Bewusstsein dem Thema sicher näher. Doch Boden wird auch hier oft nur als eindimensionale Produktionsfläche wahrgenommen.
Im Gegensatz dazu gilt es ein Wissen zu vermitteln, bei dem der Boden ein Substrat, ein Bioreaktor oder eine dreidimensionale Matrix mit geophysikalischen und biologischen Prozessen ist und je nach Belastung und Bodentyp unterschiedliche Qualitäten aufweist. Zudem ist der Boden der wichtigste Kohlenstoffspeicher. Er speichert hierzulande etwa siebenmal mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre. Für den Klimawandel ist es daher wesentlich, in welchem Zustand die Böden sind.


TEC21: Ist das nicht ernüchternd: Der Boden ist nicht sichtbar, und was darin passiert, fällt nicht wirklich auf?
Steiger: Man muss sich fast im wahrsten Sinn des Wortes reinknien, um zu verstehen, wie der Boden funktioniert. Die Vegetation wächst nicht einfach auf irgendetwas: Was im Wurzelbereich passiert, bleibt tatsächlich unsichtbar. Für Funktionen wie etwa die Bodenfruchtbarkeit ist das aber zentral. Dazu lassen sich auf jeden Fall plausible Geschichten erzählen.


TEC21: Welche denn?
Steiger: Eingängig ist etwa das Zusammenspiel zwischen Pflanzen und Fadenwürmern. Pflanzen sondern chemische Stoffe ab, mit denen sie Nematoden anlocken, die schädliche Mikroorganismen in ihrem Wurzelbereich vertilgen. Zudem ist die reichhaltige Bodenbiologie auch visuell attraktiv, wie Bilder von mikroskopischen Bodenaufnahmen beweisen.


TEC21: Gelingt es denn, das Interesse am aktuellen Jahr des Bodens zu wecken?
Steiger: Wir verbreiten nun seit Anfang Jahr Informationen und Newsletter dazu, im relativ hohen Takt, unter anderem monatliche Faktenblätter zu Bodenlebewesen. Und die Aufmerksamkeit der Publikumsmedien wächst allmählich. Westschweizer Redaktionen gehen offener mit dem Thema um. In der Deutschschweiz regiert zu sehr der mediale Hit des Tages.


TEC21: Bei Umweltthemen wird gern ein «Jöh-Effekt» bemüht. Fadenwürmer eignen sich dafür wohl kaum?
Steiger: Ein Maulwurf wirkt auf jeden Fall niedlicher, aber er ist für die Vermittlung der Bodenökologie zu wenig charakteristisch. Mir geht es eher um den Aha-Effekt: Die Leute dürfen zum Staunen gebracht werden. Dafür taugt beispielsweise der Regenwurm sehr gut, über den schon früher viel erzählt wurde. Anhand dieser Tierart lässt sich die Struktur des Bodens einfach begreiflich machen.


TEC21: Sind Hinweise auf alarmierende Zustände nützlich?
Steiger: Es gäbe Skandalöses zu erzählen, etwa über Altlasten oder andere Gifte im Boden. Aber ein Alarmismus hilft kaum, auf Bodenqualitäten umfassend aufmerksam zu machen. Diese mögen wohl für die Landwirtschaft und den Bodenschutz zentral sein, aber die Raumplanung nimmt sie noch zu wenig wahr. Sich auf die Verbreitung von simplen Botschaften zu konzentrieren, die wenig über das komplizierte Bodennutzungssystem aussagen, ist der falsche Weg. Umweltbereiche wie der Gewässerschutz haben früher von sichtbaren Schäden wie schäumendem oder gefärbtem Wasser profitiert. Aber seither hat sich die Art der Wissensvermittlung gewandelt.


TEC21: Warum ist der Boden eine derartige Unbekannte, obwohl seine Bearbeitung zur ältesten Kulturtechnik überhaupt gehört?
Steiger: Der modernen Gesellschaft fällt es leicht, den Boden zu vergessen. Die Wenigsten arbeiten direkt damit oder leben essenziell davon. Auch beim Betrachten von grünen Landschaften denkt kaum jemand daran, welche Mengen an Dünger oder Chemie im Boden darunter stecken und die Ressource gefährden. Die Bodenwahrnehmung leidet darunter, dass nur die oberste Schicht zählt. Im Gegensatz zur Fläche werden die ökologischen Funktionen des Bodens ökonomisch und planerisch vernachlässigt. Der Begriff «Bodenfunktion» ist nicht einmal gesetzlich definiert.


TEC21: Nun erarbeiten mehrere Bundesämter eine Bodenstrategie. Kann dieser politische Impuls die Bodenwahrnehmung verbessern?
Steiger: Mit dem Jahr des Bodens haben wir einen Auftakt lanciert, der die Wissensvermittlung und den substanziellen Bodenschutz längerfristig verbessern kann. Es braucht aber nicht nur mediale Präsenz, sondern auch eine bessere Kommunikation. Auch in der Fachwelt sind Verständigungshürden zu überwinden: Kulturingenieure, Landwirte, Bodenkundler und Raumplaner verstehen sich untereinander kaum, sondern sprechen von verschiedenen Qualitäten.


TEC21: Was ist die Botschaft, die es zu vermitteln gilt?
Steiger: Zentral ist das Bewusstsein, dass Boden eine wichtige natürliche Ressource für unser Leben ist. Ein weiterer Informationsfokus zielt auf das Handeln ab: Es braucht mehr generalisierbares Wissen aus der Forschung. Die Bodenkundler selbst müssen lernen, Aussagen zur heterogenen Bodenstruktur zu wagen, die nicht nur die Bodensäule betreffen, die sie unmittelbar beprobt haben. Vergleichbar der Klimadebatte würde es der Bodenwahrnehmung gut tun, wenn mehr über Unsicherheiten und Zukunftsmodelle gesprochen würde. Diese Erkenntnis beeinflusst im Übrigen auch die Forschungsarbeit. Nachvollziehbare und verständliche Modellierungs- und Visualisierungstools sind bereits in Entwicklung begriffen.

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