Neue Grös­se?

Unter dem bescheidenen Namen «Bau 2» beschert der Basler Pharmakonzern Roche der Schweiz ihr höchstes Bauwerk. Die Ambitionen sind gleichwohl enorm. Aber bekam die Bauherrschafft hier die Innovation, die sie für sich beansprucht?

Publikationsdatum
28-09-2022

Hochhäuser haben ein Pro­blem. Sie verführen zu einer Diskussion über Architektur in Zahlen oder, schlimmer noch, in Superlativen. Bringen wir es also hinter uns: 550 Millionen Franken kostete der Roche Tower 2, 3200 Menschen können hier gleichzeitig arbeiten, 320 000 m³ Frischluft bläst die Lüftungsanlage pro Stunde in den Bau, dessen 50 Stockwerke auf 103 bis zu 30 m tiefen Bohr­pfählen ruhen. Im Keller ist Platz für 450 Fahrräder. Über dem Erdboden erreicht der Bau eine Höhe von 205 m. Damit ist er, und nun der Superlativ, das höchste Hochhaus der Schweiz.

Und dennoch: «Darum ging es uns nicht», so Christoph Franz, Präsident des Verwaltungsrats von Roche, anlässlich der Eröffnung des Bauwerks am 2. September. Stetes Thema seiner Rede wie auch der anschliessenden Diskussion zwischen dem Roche-CEO Severin Schwan und Bundespräsident Ignazio Cassis war vielmehr: Innovation. Schwan nutzte die Gelegenheit, gegenüber dem bekanntlich auch als Aussenminister fungierenden Cassis die Rückkehr zu EU-Forschungsprogrammen einzufordern, ohne die der Schweiz die innovativsten Köpfe abhanden zu kommen drohten. Die Architektur des neuen Büroturms, so der Tenor aller Eröffnungsbeiträge, diene auch dazu, dieser Forscher­elite eine international konkurrenzfähige Arbeitsumgebung anzubieten.

«Grow together» konnte man allenthalben als vieldeutiges Motto des Pharmakonzerns lesen. Was sich beziehen lässt auf Wirtschaftswachstum, aber ganz offensichtlich auch assoziiert werden sollte mit der bewachsenen vertikalen Wand im Eingangsbereich des neuen Roche-­Turms, «Garden Square» genannt, und mit qualitativem Wachstum im Sinn von wachsendem Wissen dank Investition in Forschung. Wie ernst es dem Unternehmen damit ist, beweist das benachbarte Forschungszentrum, derzeit im Bau, das über eine Milliarde Franken kosten soll. Damit wird es das teuerste Gebäude der – aber lassen wir die Superlative und bleiben beim «Bau 2». «Wir sind darauf angewiesen, in die Vertikale zu wachsen», so nochmals Franz. Die 205 Meter, sie sind also geradezu nur der Nebeneffekt der Innovation. Ein deutlich wahrnehmbarer Nebeneffekt allerdings für die Stadtlandschaft von Basel. Zwei Aspekte lohnen also die Diskussion: die Grösse, eher in Proportion als in Zahlen, und die Neuartigkeit, wie sie der Bauherr beansprucht.

Erstens: Decorum – oder Grösse und Angemessenheit

Ein hoch aufragendes Bürohaus inmitten eines Firmengeländes ist nichts Ungewöhnliches. Produktionshallen erstrecken sich so gut wie immer in die Horizontale und bekommen mit dem Vertikalakzent einer Bürohausscheibe ein kompositorisches Gegengewicht. Das gilt beispielsweise für das Stammgelände von Mercedes-Benz in Untertürk­heim bei Stuttgart (Hochhaus von Kammerer + Belz, 1958). Es gilt in geografisch erweiterter Perspektive sogar für Bauten wie das Dreischeibenhaus in Düsseldorf (HPP, 1960), von dem aus die Phoenix AG und später der Thyssen-Konzern ihre Produktion im benachbarten Ruhrgebiet dirigierten.

Auch bei Roche antwortet seit 1960 ein Verwaltungshochhaus einem eng bebauten dicken Teppich aus Produktions- und Forschungsbauten: eine ele­gante, blaugrünlich schimmernde Hochhausscheibe, entworfen vom damaligen Roche-Chefplaner Roland Rohn. Mit dem Bürohochhaus 1 von Herzog & de Meuron (fertiggestellt 2015) begann Roche gleichwohl in neue Dimensionen vorzustossen und das Firmenareal umzukrempeln. Mit Ausnahme von zwei Bauwerken von Otto Rudolf Salvisberg sollen in den kommenden Jahren sämtliche bestehenden Bauten auf dem südlichen Stammgelände abgerissen werden.

Das erlaubt eine gewisse Erweiterung des benachbarten öffentlichen Solitude-Parks. Der Architekt Pierre de Meuron sieht hierin «ein Geschenk an die Gemeinschaft», in der nur punktuellen Bebauung mit den Türmen einen «schonenden Umgang mit der Ressource Boden», die «die Landschaft in Ruhe» lasse. Es ist offensichtlich, dass die Gunst der städtischen Öffentlichkeit für die neuen Roche-Dimensionen hier mit einer Grünanlage erworben werden soll. Eine grosse Gruppe namhafter Architekturhistoriker hingegen kritisiert diesen Flächenabriss von «Ikonen der Industriearchitektur».1

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Eine einst vom Heimatschutz ausgezeichnete Reihe von Forschungsbauten entlang des Rheinufers von Roland Rohn soll weichen; verschwinden soll auch dessen Bürohochhaus, das nicht nur elegant ist, sondern sogar einer der ersten Schweizer Bauten mit Curtain-Wall-Fassade. All das wäre tatsächlich ein herber Verlust, und zwar nicht allein ein architekturhistorischer. Denn wenn irgendetwas die beiden neuen Roche-Türme auszeichnet, so ist es ihr Kontrast mit den Dimensionen des Hochhauses von 1960. Allein dieser verleiht den etwa dreimal so hohen Bauten 1 und 2 eine Fassbarkeit; und wer will, kann darin auch die Firmengeschichte als Erfolgsgeschichte ­ablesen.

Die neuen Türme allerdings rücken dem Bau von 1960 so nah auf den Leib, dass sie ihn visuell schon vor seinem Abriss wegdrängen. Und sie stehen in keiner proportionalen Relation mehr zu dem sie umgebenden flachen Firmengelände. Mit den beiden Türmen und dem daneben entstehenden Forschungszentrum schafft sich der Konzern eine eigene Realität, die mit derjenigen der Stadt nichts mehr gemein hat und haben will. Wer in der «Lounge 47» steht, einer Bar auf der entsprechenden, höchsten begehbaren Etage des Turms 2, kann nachvollziehen, wie die Roche-Türme nicht mehr mit der Stadt kommunizieren, sondern mit dem Wetter, den sie umgebenden drei Ländern, und warum sie mit dem Aussenminister eröffnet wurden. Für einen der bedeutendsten internationalen Pharmakonzerne ist das nicht unpassend. Gegenüber der Stadt aber ist es arrogant.

Arrogant nicht zuletzt, da es sich um eine Architektur der Aufgeblasenheit handelt. Von aussen bestehen die Roche-Türme aus aufein­andergestapelten Einheiten von jeweils drei Etagen, die sich nach oben hin verjüngen. Aus der Ferne zu sehen ist eine schier endlose Serie weisser Brüstungs- und bläulicher Fensterbänder im Wechsel. Die Zeiten, in denen ein Hochhaus «in jedem Zentimeter gross» wirken sollte, sind gründlich vorbei, hier handelt es sich allein um gestapelte Masse.2 Auch wenn man sich den Bauten nähert, sieht man leider nicht mehr. Keine feineren Nuancen, keine neuen Dimensionen, keine Massstäblichkeit, die einen sich fussläufig annähernden Beobachter ansprechen würde. Die Türme sind in diesem Sinn ein Produkt des CAD-Zeitalters, in dem Pläne in keinem festen Massstab gezeichnet werden.

Zweitens: das Hochhaus, im Kern nichts Neues

Fast noch enttäuschender als die äus­sere Grösse ist, dass es auch im Innern architektonisch wenig zu entdecken gibt. Das EG ist, wie bei Hochhäusern üblich, höher als die Regelgeschosse. Von der Grenzacherstrasse aus, der einzigen öffentlichen Durchwegung des Areals, blickt man als Passant durch geschosshohe Glasscheiben auf eine Front aus Portiertischen und gläsernen Drehkreuzen. Einladender zeigt sich der Bau zur rückwärtigen, dem Firmengelände zugewandten Seite. Hier befindet sich ein Café für die Mitarbeitenden, auf dezent mit kleinen Steinrauten akzentuiertem Terrazzo und vor einer komplett begrünten Wand des bekannten französischen Vertikalgärtners Patrick Blanc.

Das ist hübsch, neu ist es nicht. Blancs grüne Wände beeindruckten noch in den 1990er-Jahren und frühen 2000ern, etwa bei der Fondation Cartier in Paris (Jean Nouvel, 1994, «mur végé­tal», 1998) oder beim CaixaForum in Madrid (ebenfalls Herzog & de Meuron, 2007). Mittlerweile hat man sie schon oft gesehen. Dass kollegiales Kaffeetrinken wiederum Teil kreativer Arbeit und guter Gemeinschaft ist, hat sich aus Wirtschaftskreisen mittlerweile bis hin in den Klerus herumgesprochen, sodass nicht allein kein Büro, sondern bald schon kein Kirchenschiff mehr ohne Kaffeebar zu denken ist. Es wäre fast innovativer, zumindest erstaunlicher gewesen, hier kein Café einzurichten.

Darüber hinaus folgt der «Bau 2» einer «What you see is what you get»-Strategie. Wie schon von aussen auszumachen, sind immer gleiche Etagen mit der immer gleichen ­Deckenhöhe gut vierzigmal übereinandergestapelt; die einzigen Ausnahmen bilden zwei gastronomisch genutzte Geschosse. Wer im Innern irgendeine Art von Öffnung oder gar architektonischem Erlebnis erwartete, wird enttäuscht. Für neuartige Arbeitsumgebungen ist offenbar allein die bis zum bunten Hängesessel reichende Möblierung zuständig. Die einzige räumlich wirksame Geste ist die interne Erschliessung eines jeden Pakets aus drei Etagen mit einer grosszügigen Wendeltreppe. In der etwas amorphen, weissen Spirale mit Holzstufen, Glasbrüstung und Holzhandlauf erkennt man die Handschrift der Architekten.

Man kann die Treppen lesen als gewitztes Wiederauftauchen ihres ursprünglichen Hochhausentwurfs, eines gigantischen, spiralförmig taillierten Zylinders, mit dem Roche 2006 an die Öffentlichkeit getreten war, den sie aber doch nicht realisierte. Und wer gerade aus dem Urlaub zurückkommt, fühlt sich vielleicht an Borromini erinnert, wenn auch ohne das römische Licht. Die fussläufige Verbindung der Etagen ist der Bauherrschaft wichtig und wird zweifelsohne die Kommunikation innerhalb der Cluster vereinfachen. Man habe «während der Pandemie gelernt, den persönlichen Kontakt zu fördern», so Christoph Franz. Zugleich aber könnte es kein deutlicheres Eingeständnis geben, dass ein Hochhaus für die angestrebte innovative Arbeitswelt nicht die richtige Bauform ist. Wenn, wie zu Recht anlässlich der Eröffnung ­betont wurde, fussläufige Wege und spontane Treffen so wichtig sind für innovatives Arbeiten und effiziente Kommunikation, wieso dann ein Hochhaus bauen?

Da tröstet es wenig, dass der «Bau 2» laut Roche-Beschreibung «zu den weltweit nachhaltigsten und energieeffizientesten Bürohochhäusern» zählt. Tatsächlich vermag die Closed-Cavity-Fassade die Aufheizung offenbar in Schach zu halten. Zudem wird der Bau vollständig mit Abwärme aus den eigenen Produk­tionsanlagen beheizt und mit Grundwasser gekühlt – das gibt es auch anderswo, aber es ist keineswegs Standard. Was in die Nachhaltigkeitsbetrachtung allerdings nicht eingeflossen zu sein scheint, ist die in das Betontragwerk eines solchen Wolkenkratzers geflossene graue Energie und der bevorstehende Abriss des umgebenden Bestands. Dass hier Bauwerke, die augenscheinlich in gutem Zustand sind und dazu von hohem baukulturellem Wert, von einer neuen Hochhausgruppe ersetzt werden, degradiert Nachhaltigkeit zum Marketing-Speak.

Ein Ausblick

Es ist nicht Sache des Kritikers, zu entwerfen. Dennoch sei ein kurzer Ausblick gewagt, nicht aus der Lounge 47, sondern auf das, was kommen könnte. Das Basler Pharmaunternehmen Roche, das mit seinen Bauten auch seine Bindung an den traditionsreichen Standort markiert und zugleich existenziell auf Innovation angewiesen ist, es könnte erkennen, dass mit dem «Bau 2» Innovation beschworen, aber nicht eingelöst wurde. Die Stadt Basel, die doch eigentlich auch eine Baugenehmigungsbehörde besitzt und zudem ein bauliches Ensemble von einzigartiger (klein-)räumlicher und stadtökologischer Qualität darstellt, sie könnte erkennen, dass hier nicht allein sehr hoch, sondern vermessen gebaut wurde. Der Baubestand, der von dieser Firmengeschichte erzählt, könnte erhalten und baulich aktualisiert werden.

Das seit Jahrzehnten geheimnisvoll verschlossene Firmengelände am Rhein könnte, wo immer produktionstechnisch verantwortbar, für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die faszinierende Produktionslandschaft aus mäandernden Rohren, die weite Teile des Areals kennzeichnet, sie könnte als ästhetischer Wert begriffen werden, der die Mitarbeitenden einer postindustriellen Generation vielleicht mehr inspiriert als der x-te Caffè Latte. Patrick Blanc, oder vielleicht auch eine jüngere Kollegin, könnte beim nächsten Mal einen gigantischen Garten aus Medizinalpflanzen entwerfen, die schliesslich den Ursprung der Pharmaindustrie bilden. Die Basler Baukultur der Firma Roche, sie könnte ganz andere Höhen erreichen. Ganz neue.

Die TEC21-Berichterstattung zum Roche-Areal finden Sie hier.


Anmerkungen


1 «Refit-Reuse-Recycle: Rettet die Roche-Bauten in Basel!», 31.10.2020, vgl. TEC21 11/2020 und ikg.unibe.ch/roche (Zugriff am 15.9.2022).


2 Louis Sullivan forderte das in seinem die Wendung «form follows function» prägenden Aufsatz The tall office building artistically considered (1896), wörtlich: «every inch of it tall»

Hinweis: In der Print-Version dieses Artikels in TEC21 Heft 31, S. 18-20, haben wir behauptet, alle Gebäude auf Südareal von Roche bis auf den Verwaltungsbau (Bau 21) von Salvisberg würden abgerissen. Das stimmt nicht. Auch das Betriebsgebäude (Bau 27) bleibt teilweise erhalten.

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