Kein An­schluss un­ter die­ser Schüs­sel?

Siedlungswasserwirtschaft im urbanen Kontext

Forscher der Eawag erarbeiteten einen Leitfaden für Sanitärprojekte in Entwicklungs­regionen. Erfahrungen in städtischen Umfeldern zeigen, dass sich das Instrument bewährt.

Publikationsdatum
14-11-2014
Revision
18-10-2015

Die Schweiz engagiert sich international vielfältig im Wasserbereich: Die Aktivitäten der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und einiger grosser NGOs wie der Helvetas decken diesbezüglich Aspekte wie Soziales, Umwelt, Wirtschaft, Institutionen, Technologien und Wissenstransfer ab. Auch die Sandec (Water and Sanitation in Developing Countries), eine Abteilung der Eawag, des Wasserforschungsinstituts des ETH-­Bereichs, entwickelt und setzt seit zehn Jahren Grundsätze und Richtlinien für die Planung von Sanitärinfra­strukturen in Entwicklungsgebieten um. Die gesamte Wasserthematik hat weitreichende Auswirkungen bis in unsere Breitengrade. Das zeigen die aktuellen Schlagzeilen um Ebola-Erkrankte in Europa und ­Amerika. Diese und andere Seuchen stehen direkt oder indirekt auch im ­Zusammenhang mit der Sanitär­versorgung. 

Ausgangslage ist, dass weltweit 2.5 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sanitärer Grundversorgung haben – das heisst, sie verrichten ihre tägliche Notdurft in prekären Grubenlatrinen oder unter freiem Himmel. Diese Praxis, die vor allem in Ent­wick­lungs­ländern verbreitet ist, hat grosse Gesundheitsrisiken und eine verschmutzte Umwelt zur Folge. Fehlende Siedlungs­hygiene ist zunehmend ein enormes Ent­wicklungshindernis. 450 Millionen Schultage gehen jedes Jahr durch wasserübertragene Krankheiten wie Durchfall, Malaria, Cholera oder Denguefieber in jenen Ländern verloren. 

Das UN-Millen­niumsziel, die Anzahl der Menschen ohne Zugang zu Sanitärversorgung zu halbieren, werden die meisten Länder in Subsahara-Afrika und Südasien bis Ende 2015 nicht erreichen. Die schnell wachsenden Städte dieser Regionen sind gefordert, für ihre mehrheitlich arme Bevölkerung angemessene und bezahl­bare Dienstleistungen und Infrastrukturen bereitzustellen. Während es den Behörden oder den Privatunternehmen, die die Aufgabe delegiert bekommen, an Kompetenz und Finanzen fehlt, sind die Benutzer nicht bereit, für inexistenten oder ungenügenden Service zu bezahlen – ein Teufelskreis.

Am grössten ist das Problem in den spontan entstehenden und schnell wachsenden Siedlungen an den Rändern von Megastädten, wo Wasser-, Gesundheits- und sanitäre Grundversorgung mangelhaft sind. Überforderte Dienstleister ­verstecken sich oft hinter der Ausrede, dass sie kein Versorgungsmandat für die als illegal klassifizierten Siedlungen haben. Wo es trotzdem Interventionen gibt, sind diese zentral geplant, an westlichen Standards orientiert und «top-down» umgesetzt. Solche Programme scheitern oft an der komplexen Realität der informellen Stadtviertel. 

Ende des letzten Jahrtausends haben Experten der Entwicklungszusammenarbeit Grundsätze für verbesserte Siedlungshygiene im städtischen Kontext in Entwicklungsländern erarbeitet. Die daraus abgeleiteten Prinzipien besagen:

Die Würde des Menschen, seine Lebensqualität und die Sicherheit seiner Umwelt sind zentral. Benutzer und Anbieter von Dienstleistungen sind am Entscheidungsprozess beteiligt. Abfall ist eine Ressource, und das Abwassermanagement muss ganzheitlich gedacht und integrativ geplant werden.  Städtische Siedlungshygiene wird nach dem Subsidiaritätsprinzip (Haushalt, Quartier, Kreis, Stadt) gelöst, und Abwasser bleibt möglichst unverdünnt.

Der zukünftige Fokus richtet sich weniger auf die gebaute Infrastruktur als auf bezahlbare und gesellschaftlich gut abgestützte Dienstleistungen. Die gesamte sanitäre Versorgungskette beinhaltet Toiletten, sichere Sammlung und Transport sowie hygienische Reinigung und Entsorgung von Abwasser und Fäkalschlamm.

Sieben Schritte und Partizipation

Mit dem Leitfaden «Household-Centred Environmental Sanitation» (HCES) veröffentlichte Sandec im Jahr 2005 eine Anleitung zur Umsetzung von Projekten im urbanen Kontext. HCES wurde in fünfjähriger Feldforschung in Ostafrika, Asien und Zentralamerika validiert, verbessert und 2011 unter dem Namen «Community-Led Urban Environmental Sanitation» (CLUES) neu veröffentlicht. Im Gegensatz zu herkömmlichen «Top-down»-Planungsabläufen kombiniert CLUES technische und soziokulturelle Aspekte unter Einbezug der Lokalbevölkerung im Planungsablauf.1 Es besteht aus sechs Planungs- und einem Implementierungsschritt:

Die Projektmitglieder initieren den Prozess anlässlich eines ersten Treffens, indem sie Verbesserungswünsche anbringen. Beim Planungsstart anlässlich eines öffentlichen Workshops machen sich Mitglieder verschiedener Interessengruppen ein Bild von den Problemen. Anschliessend einigen sie sich auf die Vorgehensweise, um diese zu beheben. Es folgt eine detaillierte Bestandsaufnahme der aktuellen Situation unter Einbezug der Bevölkerung. Die Bevölkerung priorisiert die Probleme anlässlich eines öffentlichen Workshops. Eine Expertengruppe aus Ingenieuren, Stadtplanern, Sozialarbeitern und politischen Entscheidungsträgern sucht geeignete Lösungsvorschläge und wählt die beste Lösung mit der lokalen Gemeinschaft aus. Experten entwickeln einen Aktionsplan. Der Aktionsplan wird mit der Bevölkerung umgesetzt.

Parallel zu den Planungsschritten finden laufend Aktivitäten statt. Eine Sensibilisierungskampagne sowie ein offener Dialog mit der Bevölkerung und den verschiedenen Anspruchsgruppen sind notwendig, um gemeinsam fundiert zu entscheiden. Aufgebaute Kapazitäten und Fachwissen machen das Projekt nachhaltig und Folgeprojekte möglich. Um Fehler früh zu erkennen und zu beheben, ist es notwendig, den Ablauf stetig zu überwachen und zu evaluierten. 

Damit ein Planungsprozess erfolgreich ist, braucht es politische Unterstützung, realistische Finanzierungsmöglichkeiten und tragfähige Institutionen mit den notwendigen Kapazitäten und kompetenten Fachleuten. Lokale Politiker und Entscheidungsträger unterstützen das Projekt eher, wenn sie in den ­Prozess miteinbezogen werden. Ausserdem müssen Regulierungen und soziokulturelle Gegebenheiten berücksichtigt werden. 

Um die Wahl eines geeigneten Sanitärsystems zu vereinfachen, hat Sandec ein Kompendium aller Systeme und Technologien erarbeitet. Es ist in mehrere Sprachen übersetzt und online verfügbar.2 

VIP-Toiletten für Dodoma

Ein HCES-Projekt wurde von 2009 bis 2011 in Tansa­nias Hauptstadt Dodoma in der informellen Siedlung Chang‘­ombe mit 35.000 Einwohnern umgesetzt. In dem 14-monatigen Planungsprozess war eine leitende Task-Force engagiert, bestehend aus je einem Vertreter einer lokalen Nichtregierungsorganisation, aus dem Quartier Chang’ombe und vom Gesundheits­amt der Stadtverwaltung. Aufgrund von Haushaltsbefragungen, Gruppendiskussionen und Interviews mit Experten aus ­Dodoma wurde eine Bestandsanalyse erstellt. Die ­Bewohner des Quartiers priorisierten die Probleme, sodass im nächsten Schritt in Experten- und öffentlichen Workshops mit Beteiligung von Sandec die beste technische Lösung gefunden werden konnte. Eine in Suaheli übersetzte Broschüre mit den verschiedenen technischen Alternativen für die Planung veranschaulichte die Möglichkeiten. Zudem unterstützten drei gebaute Pilot- und Demonstrationsanlagen mit unterschiedlicher Sanitärtechnologien die Bewohner bei der endgültigen Wahl. 

Das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO finanzierte das Projekt zusammen mit Eigenanteilen der Bewohner, die sie durch Mikrokredite erlangten. Die Rückzahlung über 18 Monate ermöglichte es auch armen Haushalten, eine stabile, durchlüftete und gut zu unterhaltende Toilette zu bauen. Eine Aufklärungskampagne an Schulen und im Quartier zum Thema Hygiene ergänzte die Planungsschritte. Anlässlich einer Befragung nach Projektende bemängelten die Beteiligten den langen Planungsprozess und das ungenügende technische Fachwissen der durchführenden lokalen Nichtregierungsorganisation. Aufgrund dessen wurde der kürzere CLUES-Planungsablauf entwickelt. Bei zukünftigen Projekten wird auf eine starke und kompetente Projektleitung geachtet.

Erfolgreiche Sanitärplanung in Nala

Der CLUES-Ansatz wurde ein zweites Mal zwischen 2010 und 2012 in Nala getestet, einem dicht besiedelten nepalesischen Ort mit 2300 Einwohnern. Die einfachen Abwasserklärgruben über den bestehenden Toiletten füllten sich aufgrund des hohen Grund­wasserspiegels schnell auf. Die Gruben wurden von Hand entleert und der Fäkalschlamm entweder auf Felder verteilt oder in Gewässern entsorgt. Auch ­mussten die Bewohner deshalb ihre Notdurft oft unter freiem Himmel verrichten. 

Die Bevölkerung wollte die Situation verbessern. Sie war bereit, sich finanziell und mit Sach- und Dienstleistungen zu beteiligen. Workshops, Gruppen­dis­kussionen in den Quartieren, Haushaltsbefragungen, Tür-zu-Tür-Sensibilisierungskampagnen und ein «Sanitär-Bazar» sollten den Menschen helfen, sich bedürfnisgerecht zu entscheiden. Bewohnerorganisationen wie Frauengruppen unterstützen diese Aktivitäten. Aus den von Experten vorselektierten Lösungsvorschlägen entschied sich die Gemeinschaft für eine dezentrale Abwasserreinigungsanlage. Unter Leitung einer lokalen Nichtregierungsorganisation und mit der Bevölkerung wurde die Anlage umgesetzt. Um auch einkommensschwache Haushalte einzubeziehen, richtete eine lokale Kooperative ein Mikrofinanzierungsprogramm mit einer Laufzeit von 12 bis 24 Monaten ein. Ein Fonds und eine Anleitung für Wartung, Betrieb und Management der Infrastruktur gewährleisten die Nachhaltigkeit. 

Betrieben wird die Anlage von einem Bewoh­nerkomitee, das jährlich Geld von den Benutzern erhält. Zudem half das Training des Komitees und der Betreiber der Anlage, lokales Wissen aufzubauen. Ein Programm der Asiatischen Entwicklungsbank hat das CLUES-Prinzip in lokal angepasster Form übernommen und baut nun partizipativ geplante Anlagen. Das Projekt in Nala hat gezeigt, dass CLUES ein wirksamer Planungs­prozess ist, um adäquate und nachhaltige Sanitär­lösungen zu finden und umzusetzen. 

Anmerkung und Literatur

  1. Partizipative Planungsmethoden wie «Action Planning» oder «Planning for Real» wurde in den 1980er- und 1990er-Jahren in Grossbritannien und den USA angewendet. Auch in der Schweiz arbeitet man wieder mit ähnlichen Ansätzen, so ist die Zentrums­entwicklung in Küsnacht mit SIA-konformem ­Planungsprozess durch Partizipation entstanden.
  2. www.sandec.ch/compendium  
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