In­spi­ra­ti­on für ein Ve­lo-Ent­wick­lungs­land

Winterthur ist die heimliche Fahrradhochburg der Schweiz. Der Veloanteil am Stadtverkehr ist beispielsweise doppelt so hoch wie in Zürich und nur wenig geringer als in Basel. Nun steuert das Gewerbemuseum die Ausstellung «Bike, Design, City» bei. Sie ermutigt und animiert Gümmeler, Autopendler und Verkehrsplaner, noch stärker in die Pedalen zu treten.

Publikationsdatum
11-05-2017
Revision
16-05-2017

«Autos haben in der Stadt nichts mehr zu suchen», ist nicht die neuste Forderung von Ökofundis, sondern die ernüchternde Bilanz von Bertrand Delanoë als Maire von Paris. Wie in vielen anderen Metropolen auch ist der motorisierte Verkehr ein tägliches Ärgernis: Lärm, Abgase und verstopfte Strassen mindern die Qualität für Bewohner, Pendler und Touristen. Folgerichtig beschloss der französische Politiker zum Ende seiner 13-jährigen Amtszeit, die Stadt der Mode, der Liebe und des Lichts auch in eine «capitale du velo» zu verwandeln. Seit 2015 investiert die Pariser Behörde deshalb 150 Mio. Euro in eine velofreundliche Verkehrsinfrastruktur und baut bis 2020 zusätzliche 700 km Velowege.

Das Radwegnetz ist in Kopenhagen heute schon doppelt lang. Nicht umsonst ist die dänische Hauptstadt das Vorbild für all jene geworden, die sich professionell mit urbaner Mobilität beschäftigen. Jeder zweite Pendler radelt am Kattegat zur Arbeit und nur ein Drittel ist mit dem Auto unterwegs. Auch Oslo ist dem skandinavischen Velovirus verfallen: Ab übernächstem Jahr wird die Innenstadt für Autos gesperrt; die leeren Gassen und Strassen sind für Fussgänger und Fahrradfahrer reserviert.

Auf einem Spieltisch im Winterthurer Gewerbemuseum lässt sich bereits ausprobieren, wie sicher und komfortabel der Verkehr demnächst durch die norwegische Hauptstadt zirkulieren wird. Die beweglichen Lastwagen, Autos und Fahrräder im Spielzeugformat gehören zum interaktiven Teil der Ausstellung «Bike, Design, City», mit der das Gewerbemuseum den 200. Geburtstag des Velocipeds begeht. Die gelungene Eigenproduktion zeigt, dass die Entwicklungsstrecke noch lange nicht zu Ende ist.

Von Holz zu Karbon; von 14 km/h auf 70 km/h

Am 12. Juni 1817 erfolgte die Jung­fern­fahrt: Freiherr von Drais legte auf seinem hölzernen Laufrad eine 14 km lange Strecke in Mannheim zurück. Er benötigte dafür eine knappe Stunde. Bis zu fünfmal schneller raste der Australier Cadel Evans vor sechs Jahren seinem Tour-de-France-Sieg entgegen; ihm stand allerdings ein Vollkarbon-Rennrad aus Schweizer Fabrikation zur Verfügung. Das Hightech-Velo ist ebenfalls ausgestellt; das bescheidene Gewicht, nur 6.8 kg, lässt sich sogar eigenhändig überprüfen.

Nicht nur so wird im Gewerbemuseum anschaulich und begreifbar gemacht, welche mobile Revolution die Erfindung seit dem vorletzten Jahrhundert ausgelöst hat. Das lautlose Fortbewegungsmittel ist in allen möglichen Facetten, Materialisierungs- und Einsatzvarianten in Szene gesetzt. Es verblüfft aber auch, dass die Entdeckung dieser Vielfalt nicht im Verkehrsalltag sondern erst in dieser Ausstellung möglich wird.

Den Ausstellungsmachern ist ein smarter Fingerzeig gelungen: Das Velo ist nützlich, verspielt und elegant; ebenso Alltags- wie Kunst- oder Kultobjekt. Ein muskelbetriebenes Zweirad taugt zum männlichen Protzen ebenso wie als trendiges Accessoire. Und nicht nur das Design, auch Format (Faltvelos) und Reichweite (E-Bike) sind nach persönlichem Geschmack lieferbar.

«Bike, Design, City» vermittelt aber auch ganz nüchtern, dass dahinter viel Handwerk steckt und ein Fabrikat aus mehreren hundert Teilen besteht. Nach dem Ausstellungsbesuch wünscht man sich auf jeden Fall, dass nicht das seelenlose Google-Auto sondern eben das vielseitige Velo die Menschheit in die nachhaltige und intelligente Mobilitätszukunft fahren kann.

Die Ausstellung ist noch bis 30. Juli 2017 zu sehen im Gewerbemuseum Winterthur.

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