Warme Füsse dank kaltem See
Der Genfersee beeinflusst das Klima der Seegemeinden schon allein durch sein Vorhandensein. Durch den Einsatz von Wärmepumpen wird sein Wasser zusätzlich zur Temperierung von Gebäuden der Hochschulen in Lausanne genutzt. Auch das Wasser des Zürichsees dient der Erzeugung von Wärme. Ganze Stadtviertel und Spitäler profitieren davon.
Mit 7° C kaltem Wasser verbindet man nicht gerade Behaglichkeit und wohlige Wärme. Diese Temperatur ist ideal zum Kneippen geeignet, kann aber auch – wenn man etwas nachhilft – zum Heizen verwendet werden. Die Technik hierfür ist schon seit Jahrzehnten vorhanden und den Kinderschuhen entwachsen, jetzt aber kommt sie erst so richtig in Fahrt – dem Streben nach Klimaneutralität sei Dank. Mit Wärmepumpen ausgestattete Heizzentralen entstehen an immer mehr Orten und nutzen dafür das Wasser der grossen Seen in den Alpen und dem Alpenvorland. So auch am Genfersee, wo nun die Gebäude der Eidgenössischen Technischen Hochschule EPFL mit den derzeit grössten Wärmepumpen der Schweiz beheizt werden. 24 MW Leistung weisen die vier neuen Maschinen insgesamt auf, was der Turbinenleistung eines Flusskraftwerks, etwa Hagneck am Bielersee, entspricht. Die technische Ausrüstung, um letztlich die Gebäude temperieren zu können, hat zwar beträchtliche Ausmasse, die einzelnen benötigten Elemente sind allerdings überschaubar.
Vom Seegrund in die Pumpzentrale
Die beste Wärmepumpe bringt nichts ohne Medium, das sie anzapfen kann. Das Medium für die Heizzentrale der Lausanner Hochschulen liegt vor ihrer Haustüre: das Wasser des Genfersees. Hält bei kleinen Wärmepumpen in Einfamilienhäusern oft das Grundwasser (Wasser-Wasser-Wärmepumpe) oder auch die Aussenluft (Luft-Wasser-Wärmepumpe) für die Wärmeerzeugung her, übernimmt dies hier ein Teil des Seevolumens. Bei einem Durchfluss der Pumpen von heute insgesamt 2.7 m³/s liegt dies nahe. In einer Tiefe von 75 m wird das Wasser in den Saugkorb aus Edelstahl mit einem Durchmesser von 2 m gesogen und durch eine etwa 1 km lange Leitung zur Pumpzentrale gefördert. Die auch über die Jahreszeiten nahezu konstante Temperatur von etwa 7 °C ergibt sich aus der Schichtung des Wassers. Da dieses seine grösste Dichte bei 4 °C aufweist, stellt sich in Seen eine Temperaturverteilung ein. Falls 4 °C kaltes Wasser vorhanden ist, wird es sich in den tiefsten Gebieten des Seebeckens finden. Dementsprechend verteilen sich die anderen Temperaturen auf andere Schichten.
Die Pumpleitung besteht aus Polyethylen und hat einen Durchmesser von 1.1 m. 80 Jahre soll sie halten. Zwei Abschnitte, die sich aufgrund der Seetopografie ergeben, gilt es zu unterscheiden: Im steiler abfallenden Teil zwischen Saugkorb und Flachuferkante liegt die Leitung auf etwa 550 m Länge offen auf dem Seegrund. 430 m vom Ufer entfernt beginnt der Flachuferbereich. Hier wurde im Seegrund ein Graben gespundet, der die Leitung aufnimmt. Die Wassertiefe beträgt hier unter 10 m.
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Die einzelnen Rohrstücke wurden im Grand Canal bei Villeneuve an der Rhonemündung zusammengebaut, anschliessend über den halben See eingeschwommen und durch das Füllen mit Wasser abgesenkt. Selbst an eine spätere Reinigung der Rohrleitung wurde gedacht. Das Edelstahlsieb am Saugkorb kann abgenommen und oberirdisch gereinigt werden. Es ist ausserdem möglich, von der Pumpzentrale am Seeufer aus einen sogenannten Molch in die Pipeline einzufahren. Dieses «Molchen» entfernt nicht nur Verunreinigungen, sondern ist auch eine Massnahme gegen die Quagga-Muscheln. Die kleinen Muscheln stammen ursprünglich aus dem Schwarzmeerraum und sind mittlerweile im Genfersee nachgewiesen. Ihr starkes Wachstum, ihr dichtes Auftreten – auf einem Quadratmeter können über 100 000 Individuen leben – und ihre ganzjährige Vermehrung können zu Problemen bei Förderanlagen führen.
Von der Pump- zur Heizzentrale
Die Pumpzentrale zieht schon seit 1978 Wasser zur Gebäudekühlung aus dem See. Und bereits 1986 betrieb die EPFL zwei Wärmepumpen zur Unterstützung der Ölheizung. Um diese zu ersetzen, musste nun das Pumpvolumen verdoppelt und hierfür die Pumpstation mit acht neuen Pumpen erweitert werden. Die Station ist vom Wasser aus nicht sichtbar und auch an Land nicht prägnant, da sie teilweise im Boden eingelassen ist. Die bestehende Seeleitung mit ebenfalls 1.1 m Durchmesser bei einer Einlasshöhe von nur 65 m Tiefe bleibt weiterhin in Betrieb. Die Universität Lausanne UNIL ist auch künftig an dieses Wassersystem angeschlossen.
Das kalte Wasser wird vom Pumpwerk parallel zur bestehenden Pipeline in zwei weiteren, neuen Leitungen zur Heizzentrale der EPFL und zur UNIL gepumpt. Die Unterführung der Kantonsstrasse wurde mit einem grabenlosen Verbau gelöst, ansonsten bewerkstelligte man die Verlegung der 700-mm-Rohre klassisch im Graben beziehungsweise in bereits vorhandenen Stollen.
Heizzentrale: Unter einem Datenberg
In der heutigen Zeit wird man mit digitalen Daten überschwemmt. Bei der neuen Heizzentrale der EPFL – den alten Standort behielt man bei – kann man dies wörtlich nehmen. Auf ihr wurde ein neues Datencenter mit zwölf Regalreihen und 200 Serverschränken errichtet, um energetische Synergien zu nutzen.
Server produzieren viel Wärme und müssen daher in herkömmlichen Systemen gekühlt werden. An der EPFL kommt hierfür nun eine Wasserkühlung zum Einsatz. Wasser fliesst durch die Türen der Schränke und führt die Wärme ab. Dieses Warmwasser wird wie auch das gepumpte Seewasser den Wärmepumpen zugeführt. Dies geschieht über ein «Warmwasserbecken» mit einem Volumen von 230 m³, aus dem die Wärmepumpen ihr Wasser beziehen. Daneben liegt ein neues Kaltwasserbecken mit 290 m³ Inhalt. Aus ihm kommt das Wasser für den Kühlkreislauf der Server. Gleichzeitig dient es als Auffangbecken für das im Wärmepumpenkreislauf genutzte Wasser. Das Kühlwasser aus dem Datencenter erlaubt eine Verringerung der benötigten Seewassermenge. Eine Leistung von 4 MW an Abwärme spricht für sich.
In den warmen Monaten, in denen keine Heizung benötigt wird, dient das kalte Seewasser der direkten Kühlung des Wasserkreislaufs in den Gebäuden der EPFL. Die dabei entstehende Abwärme wird vom Seewasser aufgenommen. Die Rückführung dieses erwärmten Wassers in den Genfersee erfolgt über drei Vorfluter: die Bäche Sorge, Mèbre und Chamberonne.
Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 21–22/2023 «Pumpen für das Klima».
Wir haben bereits letztes Jahr über die Erneuerung der Heizzentrale an der EPFL berichtet. In der entsprechenden Publikation zur Schweizer Ingenieurbaukunst finden Sie ausserdem ein Interview mit dem Projektleiter Damien Roulet:
Schweizer Ingenieurbaukunst | L’art des ingénieurs suisses | Opere di ingengeria svizzera
2021/2022 – Band 4
128 Seiten, dreisprachig deutsch, französisch und italienisch
ISBN 978-3-9525458-5-0, 49.– Fr.
Heiz- und Seewasserzentrale EPFL, Lausanne
Bauherrschaft
École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL); Kanton Waadt
Totalunternehmer
Bouygues E & S InTec Suisse, Lausanne
Örtliche Bauleitung, Planung
Meroni Synergie Concept, Neuenburg
Koordination
Romande Énergie Service, Morges
Bauingenieur, Umweltingenieur, Geologie
CSD Ingénieurs, Lausanne
Architektur
Architram architecture et urbanisme, Renens
Energietechnik
Planair, Yverdon-les-Bains
Wärmepumpen
Walter Wettstein, Gümligen
Photovoltaik
Helion (Bouygues E & S InTec Suisse), Yverdon-les-Bains
Automatisierung
Amics, Le Lignon
Seeleitung
Rampini & Cie, Vernier
Elektrotechnik Mittelspannung
Kummler + Matter EVT, Le Mont-sur-Lausanne
Elektrotechnik
Bouygues E & S InTec Suisse, Lausanne
Bauzeit
2019–2022
Inbetriebnahme
März 2022