Vom Ge­fäng­nis zum Ho­tel: Um­bau Ho­tel Wilmi­na, Ber­lin

Hinter der neoklassizistischen Fassade eines Gerichtsgebäudes in Berlin verbarg sich nicht nur ein ungenutztes Haus. Nach hinten umfangen Backsteinmauern einen tiefen Hof – samt Gefängnis. Mit einem Kultursalon, einem Restaurant und einem Hotel machen Grüntuch Ernst Architekten das Ensemble zu einem Ort der Gemeinschaft, ohne seine Geschichte zu leugnen. 

Publikationsdatum
04-10-2023

Es war einer dieser vergessenen Orte inmitten einer städtischen Bebauung, die sich in Berlin unverhofft entdecken lassen. Der 1896 erbaute Komplex, nicht weit von der Deutschen Oper und den Gebäuden der Technischen Universität im ehemaligen West-Berlin gelegen, beherbergte zunächst ein Strafgericht und ein Gefängnis. Damals stand das Gebäude noch frei. Heute ist von der Kantstrasse aus, deren Bebauung das Gerichtsgebäude inzwischen umschliesst, nichts von dem tiefen, gekrümmten Hof und dem ehemaligen Gefängnisgebäude darin zu ahnen.

Bis 2010 wurde das Gerichtsgebäude vom Land Berlin beansprucht, zuletzt als Grundbuchamt für den Bezirk Charlottenburg. Das Gefängnis im Hof war über die wechselhafte Geschichte ein Schicksalsort für viele Menschen: Während des Zweiten Weltkriegs sassen hier Widerstandskämpferinnen und -kämpfer ein, darunter auch die Frauen aus der international vernetzten Widerstandsgruppe «Rote Kapelle». Die letzten Insassinnen flohen zum Kriegsende. Anschliessend nutzten die Besatzermächte den Bau und von 1948 bis 1970 war hier ein Frauenjugendgefängnis. Dem Kammergericht diente es noch bis 1985 als Archiv. Seither stand das Gebäude leer und hielt nur hin und wieder als Filmkulisse her, bis es das Land Berlin 2010 zur Versteigerung ausschrieb.

Als die Architekten Grüntuch Ernst das Gelände im Auftrag eines Investors auf Entwicklungspotenzial untersuchten, kristallisierte sich bald heraus, warum es noch unangetastet war: Da war zum einen die belastete Geschichte des Orts. Gleichzeitig kamen aber auch bauliche Herausforderungen dazu: Nicht nur die trutzige Bauweise mit meterdicken Gefängnismauern und hohen Fensteröffnungen, sondern auch die beengten Grundrisse und Raumfolgen der Gefängnistypologie erschwerten die Vorstellung einer neuen Nutzung für das denkmalgeschützte Ensemble.

Während der Interessent angesichts dieser Herausforderungen zurückruderte, konnten sich das Architektenpaar Armand Grüntuch und Almut Grüntuch-Ernst nicht mehr von dem Projekt lösen und wagte selbst den Sprung in die Rolle der Bauherrschaft. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte, die fortlaufend zu Begegnungen mit ehemaligen Insassinnen oder ihren Familien führt, hat sich als Schlüssel für einen konstruktiven Umgang mit dem Ort bewiesen. Sehr bewusst entschieden sich die neuen Besitzer für einen Ort der Gemeinschaft, in dem die Geschichte ihren Platz hat, an die sich aber ein neues, erfreuliches Kapitel anschliesst. Der Clou des Konzepts liegt im Umgang mit den Freiräumen – ergänzend zu den kontrastierenden Gebäuden an der Strasse und im Hof erkannten die Architekten darin die Stärke des Orts.

Urbaner Dschungel

Von Zeit zu Zeit öffnet sich das respektgebietende Gerichtsgebäude für kulturelle Veranstaltungen. Dabei fordern die repräsentativen Räume zum Dialog mit den künstlerischen Interventionen heraus. Zur Zeit lässt sich noch nicht recht greifen, wohin sich die Form des «Amtsalons» entwickelt. Gedacht ist er als ein multidisziplinärer Raum für temporäre Projekte aus der Welt der Kunst, Architektur, Design – und zwar sowohl in theoretischen als auch in praktischen Zusammenhängen. Derweil haben Restaurant und Hotel ihre Türen für den regulären Betrieb geöffnet.

Der zurückhaltende Eingang zum Hof liegt in der Einfahrt im Vorderhaus. Von hier führt der Weg entlang einer Mauer in den ersten einer Reihe von Höfen. Ihre ehemals versiegelten Böden weichen nach und nach ergänzenden Anpflanzungen, die sich in die wilde Vegetation fügen.

Der Speisesaal des Restaurants befindet sich im ehemaligen Schleusenhof, der sich linker Hand erstreckt und überdacht wurde. Gäste betreten im ersten Hof die Bar, im Seitenflügel des Vorderhauses. Der Weg in das Restaurant führt weiter durch einen Erweiterungsbau, dessen neue, raumbildende Mauer sich unbemerkt in den üppig bewachsenen großen Gartenhof einfügt. Der Raum umschliesst einen kleinen Garten mit seltenen Farnen, Reben, Kletterpflanzen und einer alten hochgewachsenen Birke. Anstelle der Toröffnungen befinden sich Fenster.

Ein Kunstgriff verhilft dem Ort zu einer Atmosphäre der Geborgenheit: Anders als erwartet wendet sich der Ausblick nicht in den Hof, sondern in den kleinen grünen «Restraum» vor den Aussenmauern zum Nachbargebäude, der sich in der ganzen Länge der hofseitigen Wand spiegelt. So entsteht ein intimer, aus dem Zusammenhang enthobener Ort. Spätestens hier verliert der Gast auf eine angenehme Art die Orientierung.

Auf dem Weg in die Grundstückstiefe hinein eröffnet sich hinter einem weiteren Tor ein wilder Garten aus Pionierpflanzen, die sich in den letzten Jahrzehnten ungestört ausbreiten konnten. Ganz im Gegensatz zu dem abgezirkelten Bewegungsraum, den der Gefängnishof früher bot, drosselt ein gewundener Pfad zum Hoteleingang das Schrittempo und verführt zum Schlendern. Die Stadt rückt gedanklich die Ferne.

Ein Balanceakt lag darin, dem Gefängnisgebäude ein einladendes Wesen zu verleihen, ohne die düstere Vergangenheit zu verstecken. Die Spuren der Eingriffe sind soweit möglich sichtbar und würdigen die Vorgeschichte der Architektur. Dennoch mussten viele Wände weichen, um die gewünschte Transparenz zu erlangen, die Voraussetzung für das Wohlbefinden in fremden Räumen ist.

Dieser Entwurfsgedanke zeigt sich exemplarisch in der zweigeschossigen Lobby, die sich als Verteiler in alle Richtungen öffnet und Durchblicke in andere Ebenen gewährt. Den Hotelgästen offenstehende Räume wie eine Bibliothek, Kaminlounge, Sport- und Spa-Bereiche schliessen sich ringsherum an.

6 qm mal x

Die Hotelzimmer erstrecken sich jeweils über mindestens zwei Achsen der 77 ehemaligen Zellen – die kleinsten Räume beschränken sich auf elf Quadratmeter. Dafür wurde die Wand zwischen zwei Zellen entfernt, die typologische Zellenstruktur bleibt aber ablesbar. In einem solchen Zimmer beherbergt der vordere Teil Eingang, Schrank und Bad. In der hinteren Hälfte steht das Bett auf einem Podest, um die räumlichen Proportionen auszutarieren. Die Einbauten und Doppelnutzungen lassen kein Gefühl von Enge aufkommen.

Ein typisches Detail ist der Umgang mit den ehemaligen Zellenfenstern: Sie liegen hoch, um den ehemaligen Gefangenen den Ausblick zu verwehren. Beim Umbau blieben die gemauerte Laibung und das Gitter erhalten. Die Fensteröffnung samt Granitfensterbänken wanderten aber erheblich nach unten, so dass mehr Tageslicht einfallen kann.

Das schmale Atrium, das sich über die vier Etagen und das aufgesetzte Penthouse streckt, ist oben verglast. Gegenüber den Galerien, die ursprünglich zu den Zellen, heute zu den meisten Hotelzimmern führen, liegt eine hell geschlemmte Wand. Das von oben einfallende Licht betont ihr Relief und mindert die beklemmende Wirkung des Raums, von dem aus früher die Gefangenen überwacht wurden. Lichtreflexe, die über die Wände flimmern, überlagern diese Raumschicht – sie rühren vom Pool auf der Dachterrasse her, dessen Becken von unten sichtbar ist – ein Symbol für den ultimativen Luxus. 

Apropos Luxus: Die Bandbreite vom kleinen Einzelzimmer bis zur Suite mit 76 Quadratmetern ergänzt das Penthouse. Eine Schicht aus gespannten Metallketten liegt aussen vor den raumhohen Fenstern. Neben dem Verschattungseffekt sorgen sie für Sichtschutz und Lichtspiele, wenn sich die auf Federn befestigten Bänder im Wind bewegen.

Einfachheit als Wert

Die Inneneinrichtung der Hotelzimmer gleicht sich über die Raumgrössen hinweg und fasst die unterschiedlichen architektonischen Gegebenheiten in einer Sprache zusammen. In hellen Farben und Hölzern bringen die Möbel eine Einfachheit zum Ausdruck, die wie eine respektvolle Übertragung der schlichten Ausstattung der Zellen in eine willkommen heissende Umgebung gelesen werden kann – ein sensibler Spagat. 

Exemplarisch wurde die letzte Zelle am Flurende im ersten Obergeschoss in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Die Hotelgäste sind eingeladen, sich dort in die Historie des Orts zu vertiefen, die Spuren an den Wänden zu studieren und die Enge zu erleben, die ein Fenster ohne Ausblick verströmt. Ausgelegte Bücher zeugen davon, dass die Geschichten der Menschen, die den Ort noch als Gefängnis erlebten, nicht lange zurückliegen.

Das Familienprojekt

Die Jahre der Coronabeschränkungen, in denen das Hotel und Restaurant hätten eröffnen sollen, waren sicher ein wirtschaftliches Desaster. Die erzwungene Verlangsamung der Zeit erlaubte aber auch das genaue Hinschauen: Den Anpassungen von erhaltenswerten Bauteilen wie Geländern, der Detaillierung von Brandschutzabschnitten oder unorthodoxen Wegführungen haben die Architekten viel Aufmerksamkeit schenken können. Auch innerfamiliäre Projekte wie das Sammeln, Pressen und Rahmen der Blätter, die jetzt die Hotelzimmer dekorieren, zeugen von der gewachsenen Verbundenheit, von der das Haus geprägt ist.

Die intensive Auseinandersetzung mit dem Gebäude, seiner Geschichte und seinen zukünftigen Möglichkeiten ist als noch laufender Prozess zu erleben. Dass zwei Kinder des Architektenpaars bereits in den Hotelbetrieb eingestiegen sind und die Geschichte weiterschreiben, ist Teil davon.

Transformation ehemaliges Gerichtsgebäude/Frauengefängnis zum Hotel

 

Bauherrschaft
Wilmina GmbH

 

Ort 
Kantstrasse 79, Berlin-Charlottenburg


Fertigstellung 
2022

 

Architektur
Grüntuch Ernst Architekten

 

HLKKS-Planung
Ingenieurbüro Weltzer, Berlin

 

Tragkonstruktion
GTB-Berlin Gesellschaft für Technik am Bau, Berlin; StudioC Nicole Zahner, Berlin

 

Beratung in Fragen der Freianlagen und Gartengestaltung
Marc Pouzol (atelier le balto) und Christian Meyer, beide Berlin

 

Brandschutz
hhpberlin, Berlin


 

Bauphysik
Müller-BBM GmbH, Berlin (Bauphysik)

 

Auszeichnungen
Gewinner des Deutschen Nachhaltigkeitspreises Architektur 2022 vom DGNB
 

BDA Preis Berlin 2021

Publikation

Das Buch zur Entstehungsgeschichte liegt in den Zimmern aus. Ein Interview mit den Architekten, Statements von Wegbegleiterinnen und Fotos vom ursprünglichen Zustand und der Bauphase geben Einblick in den sensiblen Transformationsprozess.

 

Hg. Almut Grüntuch-Ernst und Armand Grüntuch, Wilmina. Deutsch/Englisch, Flexcover mit Leinen, 24 30 cm, 176 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, erschienen im Mai 2022 bei DISTANZ, ISBN 978-3-95476-474-7. € 38 (D)

 

Mehr Informationen zum Hotel gibts hier.

Verwandte Beiträge