«Ge­mein­nüt­zig, aber ef­fi­zi­en­ter»

An der Berner Mutachstrasse entsteht eine gemeinnützige Wohnsiedlung. Die Stadt hat diese Aufgabe einem Entwickler übertragen, der eigens dazu eine Genossenschaft gründete. Wie ungewöhnlich ist diese Doppelrolle? Interview mit Herbert Zaugg, Geschäftsführer der Wohnbaugenossenschaft Huebergass und Leiter Business Development deutsche Schweiz bei der Halter AG. 

Publikationsdatum
19-12-2019

Miteinander oder gegeneinander? Zwar ist der Immobilienmarkt hart umkämpft. Trotzdem wollen private Entwickler, institutionelle Investoren und Wohnbaugenossenschaften nicht nur die Klingen kreuzen, sondern ab und an zusammenarbeiten. Anstatt sich bei der Bewerbung um neue Wohnareale ständig zu überbieten, erkennen frühere Konkurrenten immer häufiger die Vorteile einer Partnerschaft. Vor allem in den Stadtregionen Zürich und Genf wird ein Mit- und Nebeneinander unterschiedlicher Bauträgerschaften zum gewohnten Bild.

An einigen Standorten zieht sich die Trennlinie zwischen privaten, renditeorientierten und gemeinnützigen Eigentümerschaften sogar mitten durch dasselbe Haus. Die ungewohnte Nähe ist durchaus nachvollziehbar: Private und institutionelle Investoren haben meistens das nötige Kleingeld zur Akquisition von begehrten Grundstücken. Derweil bringen «Gemeinnützige» viel soziales und ökologisches Know-how ein, um einen Neubaustandort, fernab von historisch gewachsenen Siedlungszentren, nachhaltig beleben zu können.

Mehr Wohneinheiten steigern den Ertrag

Ein weiteres Merkmal vieler geteilter Entwicklungsprojekte ist: Städtebau, Architektur, Aussenraum und Energieversorgung sind einheitlich entworfen und aufeinander abgestimmt. Charakter und Mietkonditionen der unterschiedlich finanzierten Miet- und Genossenschaftswohnungen lassen sich kaum unterscheiden. Auch Grundausstattung und Baukosten sind an solchen Orten fast identisch; und selbst auf suffiziente Raumkonzepte scheint man sich einigen zu können.

Kleine Abweichungen gibt es durchaus, wie ein Blick auf bereits realisierte Partnerprojekte beweist. So verzichten institutionelle Investoren eher auf Gemeinschaftsräume und beharren auf einem konservativen Wohnungsspiegel mit kleinflächigen Wohnangeboten. So lässt sich ein ökonomischer Vorteil aus der Flächeneffizienz ziehen: Die überbaubare Nutzfläche wird auf mehr Wohneinheiten aufgeteilt. Und mehr Wohneinheiten steigern Ertrag und Rendite.

Gemeinsame Entwicklungsmodelle versprechen aber noch mehr: Investoren, die sich bislang nur Marktfragen stellen, und Genossenschaften, die sich bevorzugt mit eigenen Ideen beschäftigen, wollen plötzlich voneinander lernen. Während private und institutionelle Investoren sich so wesentliche Grundelemente des nachhaltigen Bauens aneignen, entdecken Wohnbaugenossenschaften ihren Nachholbedarf beim effizienten Bauen. Heute schon werden viele gemeinnützige Siedlungen von Total- oder Generalunternehmungen realisiert.

Das Beste aus beiden Welten?

Die Wohnbaugenossenschaft «wir sind Stadtgarten» in Bern erprobt nun eine weitere Kooperationsvariante. Im Quartier Ausserholligen opfert die Stadt ein Familiengartenareal für preisgünstigen Wohnraum. Die Behörde wünscht sich «ein eigenständiges Quartier mit hohem Identifikationspotenzial und urbaner Qualität» und suchte dafür eine Bietendengemeinschaft, die die ­Verantwortung für Planung, Finanzierung, Realisierung und Betrieb selbst übernimmt.

Der Wettbewerb für etwas über 100 Wohnungen in nachhaltiger Bauweise wurde Ende 2017 entschieden (vgl. «Siedlung statt Tomaten»); der Spatenstich erfolgte im Sommer 2019. Die Trägerschaft ist, wie von der öffentlichen Grundeigentümerin gewünscht, ein gemeinnütziges Unternehmen. Die Stadtgarten-Wohnbaugenossenschaft, die den Investoren- und Projektwettbewerb gewonnen hat, war allerdings eigens dazu von einem Grossentwickler gegründet ­worden. Doch wie packt es die hybride Ge­nossenschaft mit dem inzwischen geänderten Namen «Huebergass» nun an, das Beste aus zwei Welten – die rationelle, ­kostenbewusste Realisierung und ein ökologisch und sozial nachhaltiges Wohnkonzept – mit­einander zu verbinden?
 

TEC21: Herr Zaugg, was hat das private Entwicklungsunternehmen Halter veranlasst, am Wett­bewerb für Baugenossenschaften teilzunehmen? 

Herbert Zaugg: Von den bekannten gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften wollte sich keine mit uns zusammentun, sondern sich allein bewerben. Zwei Mitarbeiter gaben sich damit aber nicht zufrieden und gründeten mit externen Personen eine Wohnbaugenossenschaft. Unser Anliegen war, die Erfahrung in der Immobilienentwicklung und -realisierung sowie unsere Marktkenntnisse einbringen zu können.

TEC21: Was unterscheidet die Wohnbaugenossenschaft von herkömmlichen gemeinnützigen Bauträgerschaften?

Herbert Zaugg: Wir haben den Charakter einer Mietergenossenschaft; die künftigen Huebergass-Bewohner müssen deshalb Anteilscheine zeichnen. Die Organisation ist zudem top-down strukturiert. Um die Wohnungen effektiv preisgünstig erstellen und anbieten zu können, schränken wir die Partizipation der Mieter ein. Individuelle Wünsche bei Ausstattung oder Oberflächen lassen sich hier nicht berücksichtigen.

TEC21: Sie haben sicher einiges gelernt: Was machen ­Ge­nossenschaften besser als private Investoren? 

Herbert Zaugg: Wir schätzen den gemeinschaftlichen und sozialen Gedanken. Wohnbaugenossenschaften wählen in vielen Themen einen gesamtheitlichen Ansatz. So, wie sie die finanziellen Mittel in einem Siedlungsprojekt verwenden oder den partizipativen Charakter im Alltag fördern, sind sie vielen privaten Investoren voraus. Im Projekt Huebergass tragen wir jedoch zwei Hüte: Die Wohnbaugenossenschaft ist kompetent bei Umwelt und Gesellschaft, und Halter ist für Realisierung, Kosten, Termine und Qualität verantwortlich. Die TU baut, und die Wohnbaugenossenschaft haucht dem Projekt Leben ein.

TEC21: Und was machen private Investoren besser als ­Gemeinnützige? 

Herbert Zaugg: Private Investoren bauen nur, was vermarktet werden kann. Sie wirtschaften zudem ohne vergünstigten Boden und können nicht mit Darlehen der öffentlichen Hand rechnen. Aus unserer Erfahrung können wir diejenigen Themen benennen, bei denen es noch Vermittlungsbedarf gibt. So ist ein gewisser Verzicht auf Rendite bei solchen nachhaltigen Standortentwicklungen in Kauf zu nehmen, wobei die gemeinnützigen Qualitäten in vielen Fällen unverzichtbar sind. Im Gegenzug dürfen einzelne Wohnbaugenossenschaften lernen, dass Konkurrenz belebt und eine Differenzierung und Weiterentwicklung der Genossenschaftsszene nichts Negatives ist.

TEC21: Ist vermehrt damit zu rechnen, dass private Inves­toren auf dem Feld des gemeinnützigen Wohnungsbaus aktiv werden wollen?

Herbert Zaugg: Durchaus; wir halten dieses Geschäftsmodell für eine ehrliche und transparente Antwort auf die politische Forderung nach günstigem Wohnraum. Private Entwickler können massgeblich günstiger bauen als die öffentliche Hand. Aber zu beachten ist: Die Grundsätze der Wohnbaugenossenschaften müssen gerade von uns eingehalten werden. So werden die Wohnungen nur an anspruchsberechtigte Personen und Familien vergeben. Die WBG Huebergass steht deshalb für Einkommens- und Vermögenslimiten sowie Belegungsgrundsätze ein.

TEC21: Verlangt ist eine preisgünstige Überbauung. Wie innovativ ist die Trägerschaft hier unterwegs?

Herbert Zaugg: Wir setzen auf schlanke Planungsprozesse und vermeiden eine rollende Planung. Die Zielwerte, die die Stadt Bern im Wettbewerbsprogramm formuliert hat, erreichen wir auf jeden Fall. Als durchschnittliche Wohnfläche waren 40 m² bei spezifischen Baukosten von 187 Fr./m² vorgegeben. Das Ausführungsprojekt ist deutlich besser; die aktuellen Werte für die insgesamt 103 Wohnungen liegen weit unter 30 m² und bei durchschnittlich 180 Fr./m². Die «Huebergass» bewegt sich also im preisgünstigsten Wohnsegment mit minimalem Flächenverbrauch. Trotzdem wird die Überbauung von hoher Qualität sein.

TEC21: Worin besteht die Qualität?

Herbert Zaugg: Dazu zählen gemeinschaftliche Flächen in den Häusern und im Aussenraum. Es sind unter anderem Jokerzimmer, Quartierräume, Co-Working-Plätze und Räume für die Kinderbetreuung geplant. Ein Gesellschaftsgärtner soll zudem die Ideen der künftigen Bewohner moderieren. Unsere Mieterschaft besteht aus Familien, älteren Generationen, Menschen mit Migrationshintergrund, wie auch ­Menschen mit Beeinträchtigungen. Die Siedlung wird zwar nicht mit einem Energiestandard zertifiziert. Dennoch wollen wir die Zielwerte von Minergie-A anstreben und führen ein Energiecoaching mit den Genossenschaftern durch. Und noch dies: Im Mietpreis inbegriffen ist ein Anteil am öV-Abo, weil nur wenige Autoparkplätze angeboten werden.

TEC21: Und wie steht es um die Architektur?

Herbert Zaugg: Die Architektur arbeitet mit Repetition und Reduktion. Technisch wird wenig Innovatives gebaut, sondern auf bewährte Konstruktionen und Bauteile gesetzt. Allerdings realisieren wir weder Schuhschachteln, noch setzen wir auf banale Lösungen.

Die Wohnüberbauung Huebergass besteht aus zwei leicht verwinkelten Zeilen und insgesamt fünf Gebäuden. Der Wohnungsmix beinhaltet kleine und grosse Wohnungen; die meisten sind für Familien (mit 4.5 bis 5.5 Zimmer) oder Wohngemeinschaften reserviert. Auch in der architektonischen Gesamtkonzeption spielt die hohe Flächeneffizienz eine wichtige Rolle. Erreicht wird sie durch eine Reduktion von Volumen: Die Untergeschossflächen sind minimiert. Eine laubengangähnliche Leichtkon­struktion dient der Hauserschliessung, und bietet Platz für die Balkone.

Die viergeschossigen Wohnhäuser sind kompakt und auskragungslos geformt sowie als Einsteinmauerwerk konstruiert. Die Oberflächen sind einfach und dauerhaft materialisiert, mit mineralischem Wandputz und Linoleum oder Kautschuk für die Böden.
 

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Wohnbaugenossenschaft Huebergass Bern

Totalunternehmung
Halter Bern

Architektur
GWJ Architektur, Bern

Aussenraum
ASP Landschaftsarchitekten, Zürich

Siedlungsleben
Martin Beutler, Sozialplaner, Bern

Status
Baubeginn: 2019
Eröffnung geplant: 2021

 

Mit Unterstützung von energieschweiz sind bei espazium –Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte erschienen:

Nr. 1/2018 «Immobilien und Energie: Strategien im Gebäudebestand – Kompass für institutionelle Investoren»
Nr. 2/2019 «Immobilien und Energie: Strategien der Vernetzung»

 

Die Artikel sind im E-Dossier «Immobilien und Energie» abrufbar.

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