Erlenmatt, Basel: Auf anregende Nachbarschaft
Gute Beispiele
Basel erkundet seit fast zwei Jahrzehnten, ob klimafreundliches Wohnen funktioniert. Inzwischen sind daraus äusserst vielfältige, nachhaltige Standorte entstanden.
Wer hat's erfunden? Die 2000-Watt-Gesellschaft ist in einem Denklabor der ETH Zürich ausgetüftelt worden. Und wer konnte die ersten Erfolge verbuchen? Es sind die Basler, die sich seit 2001 «2000-Watt-Pilotregion» nennen und sich bis heute als Pioniere für das nachhaltige Bauen rühmen dürfen.
Zu Recht. Den jüngsten Beweis erbringt die Erlenmatt im Norden der Grenzstadt am Rhein. Das fast 15 ha grosse Areal war bis vor 20 Jahren Güterumschlagplatz und Hoheitsgebiet der Deutschen Bahn. Nun neigen sich die Bauarbeiten ihrem Abschluss zu; ein hochwertiges Stadtquartier ist das sichtbare Resultat einer grossräumigen Transformation.
Die Zutaten umfassen einiges, was es zum verdichteten, durchmischten Leben braucht: grosszügige Aussenflächen und ein abwechslungsreiches Siedlungsbild. Die Mitte besetzt ein grüner, offener und öffentlich zugänglicher Stadtpark. Den seitlichen Abschluss im Osten und Westen bilden mehrteilige Wohnsiedlungen mit teilweise kräftigem Ausdruck. Beide Standorte wurden separat entwickelt und von unterschiedlichen Investoren und Bauträgerschaften überbaut.
In beiden Fällen hat man innovative und ökologisch hochwertige Standortkonzepte ausgewählt. Erlenmatt West ist eines der ersten Areale mit 2000-Watt-Zertifikat; Erlenmatt Ost versammelt die bislang grösste Eigenverbrauchsgemeinschaft der Schweiz. Im Endausbau bis 2023 wollen die dannzumal über 600 Bewohnerinnen und Bewohner über 70 % ihres Wärme- und Strombedarfs aus eigenen erneuerbaren Quellen beziehen. Lokal werden die Sonne und das Grundwasser dafür genutzt.
Die Nachbarn im Westen sind schon vollzählig und seit fast drei Jahren vor Ort. Auch sie wohnen äusserst klimafreundlich, obwohl hier auf eine eigene Energieernte verzichtet wird. Die Energie zum Heizen und für die Wassererwärmung stammt aus dem emissionsarmen Fernwärmenetz der Stadt Basel, das mehrheitlich Biomasse und die Abwärme aus der Kehrichtverbrennung nutzt.
Die insgesamt sieben, teilweise gemischt genutzten Gebäude tragen ein Minergiezertifikat. Zwar werden die Dächer lokal für Photovoltaik genutzt; die Erträge fliessen aber ins öffentliche Stromnetz. Die knapp 1000 Wohneigentümer und -mieter im Westen haben sich trotzdem dazu verpflichtet, ihrerseits nur Öko-strom zu beziehen.
Im Ostteil der Erlenmatt hat man dagegen auf ein Ökolabel für einzelne Gebäude respektive das Areal verzichtet. Dennoch hatten die Architekten den Auftrag gefasst, die Kennwerte des Standards Minergie-P-Eco anzustreben. Die Energieperformance dieser Siedlungshälfte wird bis Ende 2019 in einem internen Messprogramm kontrolliert.
Bemerkenswert am Vis-à-vis dieser beiden jungen und innovativen Entwicklungsstandorte ist auch die Vielfalt der Initianten und der internen Organisation. Um das 2000-Watt-Areal Erlenmatt West kümmern sich professionelle und institutionelle Investoren. Ein Totalentwickler hat die vier Baufelder vorbereitet und auf zehn Parteien aufgeteilt; diese Eigentümer sind nun im Verein «2000-Watt-Gesellschaft Erlenmatt West» zusammengeschlossen.
Erlenmatt Ost ist noch kleinteiliger organisiert: Alle zwölf Wohnhäuser sind auf ebenso viele Stiftungen, Genossenschaften oder Hausgemeinschaften aufgeteilt. Gemeinsam bilden sie eine Energiegemeinschaft, die als Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) staatlich geregelt und teilweise gefördert wird. Die Bewohnerschaft musste sich dazu verpflichten, primär den Strom zu konsumieren, der vor Ort produziert wird. Im Gegenzug hat der lokale Energielieferant, ein Dienstleister im Mandat, eine hundertprozentige Versorgungssicherheit zu garantieren.
Erlenmatt West wartet seinerseits mit überraschenden Sozialfaktoren auf: Zum einen dürfen sich die Bewohner zu ehrenamtlichen «Ambassadoren» wählen lassen, wenn sie sich für das Gemeinschaftsleben engagieren wollen. Zum anderen wurde das interne Kommunikationsnetzwerk «erlenapp» installiert. Dieses dient dazu, den persönlichen Energiekonsum zu veranschaulichen respektive sich im Alltag unkompliziert mit der Nachbarschaft auszutauschen. Vor über 20 Jahren wurde die 2000-Watt-Gesellschaft als Energievision erfunden. Inzwischen ist das Konzept um einige innovative Aspekte wie «Kommunikation» und «Kooperation» reicher geworden.
Erlenmatt West, Basel
Nutzung: 7 Gebäude (Miet- und Eigentumswohnen, Dienstleistung, Gastronomie)
Eigentümer: Verein aus zehn institutionellen Investoren
Arealentwicklung: Losinger Marazzi, Bern
Beteiligte/Bewohnerschaft: Verein 2000-Watt-Gesellschaft Erlenmatt West
Bausumme: ca. 220 Mio CHF
Realisierung: 2011–2016
Energiebezugsfläche: 66 000 m2
Energiestandards: Minergie, 2000-Watt-Areal in Betrieb
Energiequelle Wärme: Fernwärme IWB
Energiequelle Strom: 90 % Wasserkraft, 10 % Windstrom
Erlenmatt Ost, Basel
Nutzung: 13 Gebäude (Wohnen, Gewerbe, Studentenwohnungen, Gastronomie, Schule)
Eigentümer: Stiftung Habitat; gemeinnützige und institutionelle Bauträger als Baurechtsnehmer
Arealentwicklung: Stiftung Habitat, Basel
Grundstücksfläche: 30 000 m2
Bausumme: 200–250 Mio CHF
Realisierung: 2016–2019 (1. + 2. Etappe, 3. Etappe ab 2023)
Energiestandard: interne Nachhaltigkeitsbilanz
Energieversorgung Wärme: Grundwasser (mit Wärmepumpe)
Strom: 40 % Eigenstrom; 60 % externer Strom (erneuerbar); Planwerte
Zusammenschluss zum Eigenverbrauch
Energielieferant: ADEV Energiegenossenschaft, Liestal BL
Der Artikel ist erschienen im Sonderheft «Immobilien und Energie II». Weitere Beiträge in unserem digitalen Dossier.