Ein Strom­ba­sar zur Ab­schre­ckung

Kommentar

Die Bundespolitik beschliesst eine dringliche PV-Neubaupflicht, damit die Solararchitektur eine tragende Rolle für die Energiewende spielen kann. Aber warum darf der aktuelle Strommarkt die dezentrale Stromproduktion behindern? Ein Kommentar zu den praktischen Regeln für das solare Bauen.

Publikationsdatum
20-03-2023

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Im Puschlav baut eine Privatperson für seine Familie ein Haus und will die Gunst der Stunde nutzen. Dazu packt er das ganze Gebäude in Solarmodule ein und erzielt einen fast autarken Betrieb. Er ist nun Produzent in eigener Sache und muss die nächsten 25 Jahre nurmehr so viel Strom extern einkaufen, wie zuvor für ein ganzes Jahr. Sein Solarhaus funktioniert so, wie für die nachhaltige Energiezukunft erwünscht: krisensicher und emissionsarm. Einzig auf das von ihm bestellte Elektroauto, dessen Batterie den Nachtbetrieb des Eigenheims sicherstellen soll, wartet er seit über einem Jahr.

Am Zürichsee baute eine Privatperson für seine Familie ein Haus und nutzte die Gunst der Stunde ebenso: Die Energie für Heizung und Warmwasser soll aus ökologischen Quellen stammen und zu verlässlichen Preisen verfügbar sein. Ein Balkon voller PV-Module sowie ein Wärmespeicher im Keller reichen aus, um fast die Hälfte des erwarteten Eigenbedarfs selbst zu erzeugen. Ein «ach ja» auch hier: Lieferprobleme bei den Wechselrichtern verzögerten die Inbetriebnahme des ausgeklügelten Versorgungssystems.

Wirtschaftliche Bremse

Im Limmattal erkannte eine Genossenschaft die Zeichen der Zeit ebenso und nahm sich vor, den Neubau einer Wohnsiedlung mit Photovoltaik zu schmücken. Der aktive Energiegewinn sollte dazu dienen, sich vor Ort komplett CO2-neutral mit Wärme und Strom zu versorgen. Der Konjunktiv verrät, dass nicht alles ganz so reibungslos verlief wie anfänglich gedacht: Kurz vor Ausführung zog die Bauherrschaft die Bremse. Zwei der vier Hauswände genügen für den Eigenbedarf. Mehr Solarstrom selbst erzeugen als vor Ort benötigt, sei unwirtschaftlich, so die Begründung.

Solche Beispiele sind typischerweise jeweils viel privater Eigeninitiative zu verdanken. Die Beteiligten denken und wirken engagiert mit, aber sind oft auch resilient genug, um Kinderkrankheiten im Planungsprozess oder in den Lieferketten zu tolerieren. Nichtsdestotrotz nimmt die Zahl realisierter Gebäude mit PV-Integration zu – und ebenso belegen deren Qualitäten: Architektur und Technik lassen sich beim solaren Bauen vielfältig und geschickt miteinander verbinden. Die von der Politik beschlossen Solarpflicht sollte also niemanden beunruhigen.

Geringer Mehraufwand – eigentlich!

Diese Vorfreude aber trübt ein steigendes Missverhältnis zwischen planbaren Kosten und unsicherem Ertrag: Solare Bauherrschaften sind gute Rechner und nehmen den Mehraufwand für gut gestaltete Sonderanfertigungen durchaus in Kauf. Aber wenn es um den aktuellen Basar bei den Stromtarifen geht, dringen laute Klagen durch: Wie viel Wert lokal erzeugte Solarenergie sein soll, ist unübersichtlich geworden. Die Preise für die Netzeinspeisung von eigenen Überschüssen ändern bisweilen an den Grenzen einer Gemeinde, einer Region oder eines Kantons. Schweizweit schwanken die Vergütungstarife derzeit zwischen 4 und 22 Rappen pro Kilowattstunde. Unter welchen Bedingungen dezentrale Stromerzeuger ihre nicht selbst verwertbaren Erträge an einen Netzbetreiber verkaufen können, lässt sich oft nur schwer erklären.

Offiziell lautet die für alle Stromversorger verbindliche Regel: Strom vom Dach oder einer Fassade ist zwingend und entschädigungsberechtigt abzunehmen. Doch das Gesetz setzt nur einen Mindestpreis fest, der auf regionale Eigenheiten Rücksicht nimmt und deutlich unter 10 Rappen liegt. Das offerierte Minimum deckt allerdings fast nirgends die Kosten, die eine PV-Bauherrschaft zu amortisieren wünscht. Gleichzeitig darf man sich wundern, dass lokaler Solarstrom an sehr vielen Orten nicht unter 30 Rappen aus dem Netz bezogen werden muss. Wie soll eine solche Marge für die Verteilnetzbetreiber irgendwie nachvollziehbar sein?

Wie viel Risiko will ein Solarhausbesitzer tragen?

Was im Überschusshandel zusätzlich missfällt: Einspeisetarife werden nicht immer fix ausgehandelt, sondern folgen einer nur Insidern bekannten Marktlogik. So warten Solarhausbesitzer nach dem Einspeisen oft mehrere Monate, bis der Preis für die abgekaufte Strommenge bekannt gegeben wird. Und wenn Ende Jahr die Steuerbehörde ihren Anteil aus dem Stromerlös eintreiben will, folgt eine nächste, nicht wirklich nette Überraschung.

Dezentrale Stromproduzenten tun unmittelbar Gutes für die Energiezukunft, weil sie den Bedarf an endlichen Ressourcen senken. Doch dafür eine marktwirtschaftliche Belohnung erwarten sollten sie lieber nicht. Vielmehr provoziert jeder Verkauf von Überschüssen den nachfolgenden Abwehrreflex: Solarhausbesitzer erzeugen nur so viel Ertrag, wie sie selbst benötigen. Jeder zusätzliche PV-Quadratmeter wird sonst ein Verlustgeschäft; die möglichst hohe Eigenverbrauchsquote wird demgegenüber zur Versicherung gegen ein solches Risiko. Wenige, ausgewählte Flächen – am Balkon, auf dem Dach oder an der Fassade – genügen, um das wirtschaftliche Optimum aus den installierten Solarpanels herauszuholen.  

Marktmodelle, die mehrere Interessen berücksichtigen

Wenn Politik und Energiemarkt im Gegensatz dazu interessiert wären, möglichst viel Solarstrom innerhalb der Siedlungsfläche zu produzieren (was die Annahme der meisten Energieprognosen ist), sollten sie dringendst etwas daran ändern. Etwa bei den öffentlichen Fördergeldern: Ein Zustupf für Solarhäuser mit drei bis vier PV-Fassaden kann bereits helfen, mehr Strom im Winter zu erzeugen. Aber noch wirksamer sind attraktive Regeln, um den Absatz von dezentral erzeugter Energie im lokalen Umfeld zu fördern. Es geht nicht darum, die Investitionen von privaten Hausbesitzern zu vergolden. Es reicht schon, wenn solche Marktmodelle übersichtlicher werden und sie auf die Interessen verschiedener Kreise – der Produzenten und der Netzbetreiber – Rücksicht nehmen.

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