Ein Haus für Stu­die­ren­de

Neubau HIC, Campus Hönggerberg, ETH Zürich; selektiver Projektwettbewerb

Auf dem Campus Hönggerberg will die ETH Zürich studentische ­O­rganisa­tionen und unternehmerische Initiativen in einem Neubau zusammen­führen und Synergien nutzen. Die zukünftigen Nutzer wünschen sich eine Wohngemeinschaft mit privaten und öffentlichen Räumen.

Publikationsdatum
29-10-2020

Einen Neubau für unterschiedliche Nutzergruppen, um deren Zusammenarbeit zu fördern, plant die ETH Zürich auf ihrem Campus Hönggerberg. Zu den künftigen Nutzern zählen studentische Organisationen, die die Studierenden vertreten und im Studium sowie im Alltag unter­stützen, und das Entrepreneurship Center, das eine Brücke von der Hochschule zur Privatwirtschaft schlägt. Entstehen soll ein inter­disziplinärer Begegnungs- und Ausbildungsort mit Büros, Mehrzweck­räumen und Werkstätten für die Studierenden. Die Verbindung von Innovation und Unternehmergeist soll helfen, Synergien zu nutzen und die Entwicklung markt­reifer Produkte und die Gründung von Spin-offs und Start-ups zu fördern. Der Neubau HIC, so hiess es im Auftrag, wird «zu einem pulsierenden Treffpunkt für Stu­dierende und Mitarbeitende der ETH Zürich und trägt so positiv zum ‹ETH-Spirit› bei».

Um Lösungsansätze für die Aufgabenstellung zu erhalten, hat die Abteilung Immobilien der ETH Zürich einen einstufigen Projektwettbewerb im selektiven Verfahren für Generalplanerteams ausgeschrieben. Die Ordnung für Architektur- und Ingenieurwettbewerbe SIA 142 galt subsidiär zu den Bestimmungen des öffentlichen Beschaffungswesens. Die Teams mussten Kompetenzen in den Bereichen Gesamtleitung, Architektur, Baumanagement, Landschaftsarchitektur, Bauingenieurwesen, HLKKS-Planung, Elektroplanung, Fachkoordination Gebäudetechnik, MSRL-Planung, Brandschutzplanung und Nachhaltigkeitsplanung nachweisen. Aus den 59 Bewerbungen hat das Preisgericht zwölf Teams ausgewählt, davon drei Teams mit jungen Architektinnen und Architekten zur Nachwuchs­förderung.

Virtuose Schichtung

Das Preisgericht empfiehlt mit grosser Mehrheit den Beitrag «Equilibres» zur Weiterbearbeitung. Der Neubau fasst den Campus im Westen zum Hönggerbergring und schafft einen möglichst grossen Freiraum im Osten zum bestehenden Gebäude HIB. Der ganz verglaste Baukörper wird durch umlaufende Terrassen und weit auskragende Ausstell­markisen geprägt. Beim architek­tonischen Ausdruck hatte das Preisgericht anfangs Zweifel, «ob der Charakter nicht zu designt und repräsentativ sei und im Widerspruch zum innovativen Lebensgefühl der darin arbeitenden Nutzer stehe». Das Projekt konnte aber schliesslich mit der funktionalen und flexiblen Architektur sowie dem einladenden und offenen Charakter überzeugen.

Das Erdgeschoss nutzt den Geländesprung geschickt und erstreckt sich über zwei Geschosse. Das untere dient der Anlieferung und gibt den Makers und Compe­tition Teams einen unabhängigen Zugang vom Hönggerbergring, während im darüber liegenden Geschoss die Bereiche Event und Community untergebracht sind. Die Veranstaltungsräume werden durch eine ­breite Brücke vom Campus her erschlossen und können verschieden unterteilt oder für Grossan­lässe zusammenhängend genutzt ­werden. Die Vertikalerschliessung besteht aus zwei an der Fassade liegenden Kernen. Die Horizontalerschlies­sung variiert je nach Ausbildung des Tragwerks und den Bedürfnissen der Nutzer. Sie ist als Kommunikationszone mit transparenten Wänden ausgebildet. Im ersten Obergeschoss liegen die Seminarräume und die allgemeinen Bereiche. Um den Austausch zwischen den verschiedenen Nutzergruppen zu fördern, verbinden Wendeltreppen und Atrien das zweite und dritte Obergeschoss.

Auffallend ist das skulp­turale Tragwerk (Schlaich Bergermann Partner), das sich von der brachialen Stützenstruktur im Untergeschoss bis zur filigranen Pergola auf dem Dach über die Geschosse situativ entwickelt. Auf einer massiven Stützenstruktur tragen sechs Vierendeelträger in Querrichtung die Vertikallasten ab. Dieser Kraft­akt erlaubt es, das Erdgeschoss auskragen zu lassen, sodass die bestehende Tiefgarage von baulichen Massnahmen unberührt bleibt. Im ersten Obergeschoss verlaufen die Vierendeelträger in Längsrichtung und reduzieren sich auf drei Träger. Während das Tragwerk bis ins erste Obergeschoss in Beton vorgesehen ist, wechselt die Primärstruktur in den weiteren Obergeschossen auf eine Verbundkonstruktion von Holz und Beton. Die Decken über dem ­Unter- und Erdgeschoss sind als Spannbeton-Hohlkasten ausgebildet, die Decken darüber bestehen aus Brettschichtholzträgern mit ­Lignatur-Deckenelementen.

Technik und Konstruktion

Das mit dem zweiten Preis ausgezeichnete Projekt «News from Parnaso» vom Team Studio Burkhardt formt zusammen mit dem bestehenden Forschungs- und Ausbildungsgebäude HIB eine städtebauliche Einheit. Verschiedene Treppenanlagen vernetzen die unterschiedlichen Niveaus des Campus und stärken den öffentlichen Charakter des zwischen den beiden Gebäuden aufgespannten Platzes. Das Erdgeschoss ist über die beiden Eingänge im Süden und im Osten zugänglich, die zu zwei Foyers führen. Die Cafeteria dient als Bindeglied zwischen den beiden Foyers. Der grosse Saal kann in zwei Räume unterteilt und von den beiden Foyers separat erschlossen werden. Mit dieser einfachen Disposition entsteht ein sehr flexibles Raumgefüge. Der Haupteingang an der Albert-Einstein-Strasse ist grosszügig überdacht und direkt an die Ringstrasse angebunden.

Auch bei diesem Beitrag ist das Tragwerk (Indermühle Bau­ingenieure) raumbestimmend. Das dreibündige Holzfachwerk der Obergeschosse ermöglicht ein offenes Erdgeschoss mit nur wenigen Stützen. Die Eingriffe in die bestehende Tiefgarage zur Abtragung der Vertikallasten werden minimiert. Stützen und Fachwerkelemente wie ­Gurte und Diagonale weisen denselben Querschnitt auf, was die Kon­struktion durch repetitive Elemente vereinfacht. Durch die Wahl der Festigkeitsklassen oder verschie­dener Holzarten werden die unterschiedlichen statischen Bean­spruchungen berücksichtigt. Die Wohn- und Arbeitszimmer sind im Osten in den beiden zweigeschossigen Hallen untergebracht, die sich über die ganze Länge des Gebäudes erstrecken. Gemeinschafts- und Erschliessungszonen verbinden die Hallen mit dem mittleren Bereich. Über Wendeltreppen sind die kleinteiligeren Räume und frei unterteilbaren Büros im Westen angebunden. Auch dieses Projekt sieht einen extensiven Dachgarten mit beweglichen Photovoltaikelementen vor.

Der grösste Mangel des Projekts liegt in der unzulässigen Verschattung des Nachbargebäudes HIN. Auch das starre Tragsystem, der technoide Ausdruck und die als Paillettenkleid mit Seilzügen vor die Fassade gehängte Solaranlage hat das Preisgericht bemängelt. Andererseits lobt es die schlüssige und effiziente Tragstruktur, die Poesie der begrünten Fassaden als vielfältiges Herbarium und die gut umgesetzten Nutzeranforderungen. Der Beitrag vereint die scheinbaren Gegensätze von rationaler Konstruk­tion und Poesie. Das stürzt die Jury offenbar in ein Dilemma. Sie beschreibt die Widersprüche zwar im Jurybericht akkurat, fasst sie aber in einem kryptischen Fazit wie folgt zusammen: «Insgesamt entsteht der Eindruck, dass der Technik der Konstruktion mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde als der Konstruktion der Technik.»

ETH-Spirit

Die beiden vorgestellten Beiträge entwickeln eine spezifisch auf ihren Entwurf zugeschnittene Tragkon­struktion. Das Siegerprojekt «Equilibres» von ARGE Buchner Bründler Planer / Rapp Architekten präsentiert sich trotz der eigenwilligen Statik ausgewogener als der Beitrag des Teams von Studio Burkhardt. Zu den Empfehlungen des Preisgerichts für die Weiterbearbeitung gehört denn auch, die Tragstruktur plausibler zu gestalten, was ihre Leistungsfähigkeit und Form betrifft. Der Beitrag «Equilibres» überzeugt mit einem grosszügigen Aussenraum, den beiden Zugängen vom Hönggerbergring und von der Albert-Einstein-Strasse und einem elaborierten Tragwerk. Zusammen mit den vielversprechenden Genen Funktionalität, Flexi­bilität und Offenheit entspricht das Projekt wohl am ehesten dem «ETH-Spirit».

Pläne und Jurybericht zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Auszeichnungen

1. Rang: «Equilibres»
ARGE Buchner Bründler Planer /Rapp Architekten, Basel; Fontana Landschaftsarchitektur, Basel; Schlaich Bergermann Partner, Stuttgart; Abicht Zug; HKG Engi­neering, Pratteln; Quantum Brandschutz, Basel
2. Rang: «News from Parnaso»
ARGE Studio Burkhardt + Confirm Baumanagement, Zürich; Maja Leonelli Architettura del Paesaggio, Zürich; Indermühle Bauingenieure, Thun; Basler & Hofmann, Zürich
3. Rang: «Umwelt und Innenwelt»
Baukunst, Forest (B); Eggel & Partner, Zürich; Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, Zürich; Bollinger und Grohmann ZT, Wien; Amstein + Walthert, Zürich
4. Rang: «Denkwerk»
ARGE EM2N + Güntensperger, Zürich; Schmid Landschaftsarchitekten, Zürich; Dr. Deuring + Oehninger, Winterthur; Abicht Zug; Elektro-­Ingenieure Meyer + Partner, Stäfa; Pirmin Jung Schweiz, Rain
5. Rang: «Trigon»
ARGE Miebach Oberholzer/b + p Baurealisation, Zürich; Atelier Loidl Landschaftsarchitekten Berlin; B + G Ingenieure Bollinger und Grohmann, Frankfurt; Todt, Gmür + Partner, Schlieren; pbp Engi­neering, Zürich; Boxler Engi­neering, Jona; BG Ingenieure und Berater, Zürich; Raumanzug, Zürich
6. Rang: «Innovationsschüür»
Cobe A/S, Kopenhagen; Gruner Wepf St. Gallen, Teufen; Amstein + Walthert, Zürich; Gruner, Zürich

FachJury

Mireille Blatter, Leiterin Bauberatung, Denkmalpflege, Amt für Städtebau, Stadt Zürich; Wim Eckert, E2A Architekten, Zürich; Matthias Krebs, Krebs und Herde Landschaftsarchitekten, Winterthur; Bruno Krucker, Büro Krucker, Zürich; Anne-Marie Wagner, Bachelard Wagner Architekten, Basel; Sebastian Lippok, Waldrap, Zürich (Ersatz)

SachJury

Prof. Dr. Ulrich Weidmann, Vizepräsident für Infrastruktur, ETH Zürich (Vorsitz); Prof. Dr. Sarah M. Springman, Rektorin, ETH Zürich; Prof. Dr. Detlef Günther, Vizepräsident Forschung & Wirtschaftsbeziehungen, ETH Zürich; Daniel Bucheli, Direktor Abteilung Immobilien, ETH Zürich; Dr. Judith Zimmermann, Leiterin strategische Projekte, Stab Rektorin, ETH Zürich (Ersatz)

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