Die DNA wird wei­ter­ge­wo­ben

Mit dem Projekt «Jean-Paul» entwirft die ARGE EM2N Architekten und Jaeger Baumanagement für den UZH-Campus Irchel in Zürich ein Scharnier zwischen Lehre und Forschung. Die Integration in das ursprüngliche Konzept des Architekten Max Ziegler ist Programm und überzeugte die Jury.

Publikationsdatum
21-03-2024

Neubau Forschungs- und Lehrgebäude der Universität Zürich «Portal UZH» auf dem Campus Irchel, Zürich

Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Wer mit dem Auto auf der Winterthurerstrasse am Tramdepot der VBZ vorbei in Richtung Tierspital fährt, merkt kaum, dass er gerade einen Hochschulcampus durchquert. Ein schmaler Streifen überspannt die stark befahrene Strasse und verbindet den Irchelpark mit den Universitätsgebäuden. Hier stehen Laborforschung und Lehre in natur-, human- und veterinärwissenschaftlichen Fächern im Vordergrund, die eine spezialisierte Infrastruktur erfordern.

Bereits vor 60 Jahren platzte die Universität Zürich im Stadtzentrum aus allen Nähten: Ein Teil sollte deshalb auf das Gelände der Landwirtschaftsschule «Strickhof» am westlichen Fuss des Zürichbergs verlegt werden. Den 1965 ausgeschriebenen Ideenwettbewerb gewann der Architekt Max Ziegler mit einem soliden städtebaulichen Konzept (vgl. SBZ 51/1969), woraus sich der «Ziegler-Richtplan» ent­wickel­te. Die in vier Bauetappen realisierte modulare Grundstruktur verzahnt sich mit der Landschaft, eine zentrale Hauptachse führt vom Zürichberg über den Irchelpark zum Milchbuck und prägt den Campus bis heute. Den Wettbewerb für den 15 ha grossen Irchelpark gewannen 1977 Eduard Neuenschwander und Atelier Stern + Partner. Die Park­an­­la­ge beidseits der Winterthurer­stras­se ist heute im ISOS (Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz) eingetragen. Die Bauten der ersten Etappe (UZI 1) entstanden 1973–1979 nach den Plänen von Ziegler und sind heute ebenfalls inventarisiert.

Die grosse Rochade

50 Jahre später nun das Déjà-vu: Der Campus Irchel ist seinen Kinderschuhen entwachsen. Die Zahl der Studierenden steigt stetig, die Campusbauten sind in die Jahre gekommen und die Forschungsschwerpunkte verändern sich.

Basierend auf der Testplanung  von Giuliani Hönger Architekten mit Appert Zwahlen Partner und KCAP Architects & Planners aus dem Jahr 2014 entstand der «Masterplan Campus Irchel». Nach einer Ver­tie­fungsstudie erarbeiteten EM2N und Schmid Landschaftsarchitekten zwei Jahre später ein Richtprojekt als Grundlage für den kantonalen Gestaltungsplan «Campus Irchel», der 2022 Rechtskraft erlangte – da­für musste die Bau- und Zonenordnung (BZO) der Stadt Zürich angepasst und der kantonale Richtplan abgeändert werden.

Für den Gestaltungsplan wurde das Universitätsareal in vier Teile gegliedert: Auf der Stadtseite beherbergt Irchel-­West wie bis anhin den Irchelpark. Im Süden stehen die Originalbauten des Strickhofs von 1672 – hier sollen kleinteilige Nutzungseinheiten für Forschung und Lehre den heterogenen Ausdruck ergänzen. Die bestehenden denkmalgeschützten Bauten von Max Ziegler, die parallel zum Hang stehen, prägen Irchel-­Mitte. Teil von Zieglers Masterplan war auch ein Hochhaus, um dem Campus mehr städtische Wirkung zu verleihen. Gebaut wurde es nie – und wird durch den neuen Schutzvertrag auch in den nächsten 40 Jahren nicht gebaut werden. Im Norden des Geländes wird ein wesentlicher Teil der bestehenden Bebauung abgerissen und durch eine grossformatige Struktur ersetzt.

Die Transformation des stark frequentierten Campus soll bei laufendem Betrieb erfolgen. Die Rochade wird durch den Neubau «Portal UZH» als Schlüsselprojekt für die Entwicklung und Erneuerung des Campus Irchel ermöglicht. Das Tempo ist hoch: Bereits nächstes Jahr soll ein Vorprojekt vorliegen, der Baubeginn ist für 2029/2030 geplant. Direkt an der von Ziegler entworfenen Mittel­achse positioniert, wird das Gebäude den talseitigen Abschluss des Campus markieren. Bis heute fehlt dem Campus ein eigentliches Zentrum, die Adressbildung ist ungenügend und die verwinkelten Gänge sorgen für Verwirrung. Das «Portal UZH» soll deshalb für eine bessere Orientierung auf dem Universitätsgelände sorgen und die Identität stärken.

Nachhaltigkeit und Materialökonomie als Architektursprache

Nach einer Präqualifikation setzte sich die ARGE EM2N und Jaeger Baumanagement im Wettbewerb gegen 13 weitere Generalplanerteams durch: Der Neubau besteht aus einem zusammenhängenden Baukörper in Z-Form und wirkt optisch wie aus einem Guss. Formal ordneten die Planenden den Entwurf, der Lehre und Forschung eng miteinander verbindet, dem Schema Max Zieglers unter. Die Fluchten nehmen Bezug auf den Bestand, so der Kopfbau auf das denkmalgeschützte UZI 1 und das Staatsarchiv; der Labortrakt schliesst in der Flucht der bestehenden nörd­lichen Trakte ab. Nicht überzeugt war die Jury von der Ausformulierung des Eingangsbereichs und der Adressbildung. Gelungen sei hingegen die Öffnung und Belebung in Richtung Irchelpark.

Mit einer Collage illustriert das Siegerteam die Verbindung zur Mittelachse und den angrenzenden Höfen auf überzeugende Weise. Auch wenn die Hochterrasse nicht mit den begrünten Höfen mithalten kann, hat sie einen hohen Nutzwert, so die Jury. «Jean-Paul» versteht sich als Gebäude, das vom Park umspielt wird. Was im Osten durch gute Wegbeziehungen funktioniert, wirkt im Westen durch die steilen Böschungen etwas holprig. Der Freiraum zwischen der Winterthurerstrasse und dem Neubau kommt leider nicht über den Status «Abstandsgrün» hinaus. 
Von aussen betrachtet ist der Bau dezent, die Fassaden nehmen architektonische Themen des Bestands auf und übersetzen diese in eine zeitgemässe Architektursprache. Im Innern hingegen schöpft das Projekt aus dem Vollen und zieht dank der sorgfältig analysierten Zieg­ler-Architektur Asse aus dem Ärmel: Das Thema der Höfe und der räumlichen Transparenz wird neu interpretiert, die Holz-Hybrid-Kon­struktion entfaltet eine imposante, fast sakrale Raumwirkung. Dennoch gibt es einige Schwächen wie die Belichtung über den Innenhof und die Anordnung der vertikalen Kerne. Dafür bietet «Jean-Paul» eine grosse Vielfalt an Orten der Interaktion, abwechslungsreiche Aussenräume und fast filmreife Auftritte mit Wendeltreppen im Gegenlicht.

Ein weiterer Vorteil der beiden verbundenen länglichen Baukörper ist die geringe Raumtiefe, die eine gute Tageslichtnutzung ermöglicht. Besonderes Augenmerk legten die Planenden auf die Flexibilität, die in den nächsten Jahren unabdingbar sein wird. Das wirtschaftliche Tragsystem als eine Art Raumregal mit Abfangebenen ist pragmatisch und an die jeweilige statische, räumliche oder technische Situation angepasst.

Im Gegensatz zum Siegerteam arbeitete die zweitplatzierte ARGE Bollhalder + Eberle und Burkhard Meyer mit zwei voneinander losgelösten Baukörpern. Die zurückhaltende Platzierung von «Youkoso» ­öffnet den Blick auf das bestehende Ensemble. Auch die Adressierung erscheint überzeugender als beim Siegerprojekt. Die Jury würdigt ­zudem die städtebaulich und topo­grafisch sensible Setzung der Bauten, vermisst aber «eine gewisse Kraft». Auch die feingliedrige Portalarchitektur sei zwar sympathisch, einem Universitätsbau aber nicht angemessen.  
Mit «Jean-Paul» schafft das Siegerteam ein überzeugendes Auftaktgebäude für den Campus Ir­chel und schottet diesen gleich­zeitig gegen die stark befahrene Kantons­stras­se ab. Die «hochwer­tige ortsbauliche Einbettung in die Gesamtanlage» überzeugte die Jury zu Recht.

-> Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch.

Rangierte Projekte

1. Rang, 1. Preis: «Jean-Paul»
ARGE EM2N Architekten / Jaeger Baumanagement, Zürich; Balliana Schubert Landschaftsarchitekten, Zürich; EBP Schweiz, Zürich; Laborplaner Tonelli, Gelterkinden; soltic, Basel; Timbatec Holzbauingenieure Schweiz, Zürich; Trans­solar Energietechnik, Stuttgart; Mebatech, Baden; Oderbolzpartner, Frauenfeld; HKG Consulting, Aarau
2. Rang, 2. Preis: «Youkoso»
ARGE Bollhalder + Eberle, Zürich / Burkard Meyer Architekten, Baden; Confirm, Zürich; MOFA urban landscape studio, Zürich; Borgogno Eggenberger + Partner, St. Gallen; Gode, Zürich; Boxler Engineering, Rapperswil-Jona; Amstein + Walthert, Zürich; MedPlan Engineering, Schaffhausen; Ralog Engineering, Zofingen; Gruner, Zürich; Bakus Bauphysik & Akustik, Zürich; axet, Embrach; Amstein + Walthert Sicherheit, Buchs; Staubli, Kurath & Partner, Zürich
3. Rang, 3. Preis: «Pars pro toto»
ARGE E2A Piet Eckert und Wim Eckert Architekten / Nickl & Partner Architekten Schweiz, Zürich; Caretta Weidmann, Zürich; Stauffer Rösch, Basel; Leonhardt, Andrä und Partner, Zürich; Amstein + Walthert, Zürich; Laborplaner Tonelli, Gelterkinden; soltic, Basel; Reba Fassadentechnik, Chur; Schneiter Verkehrsplanung, Zürich; Soda Group, Fürth (D); Staubli, Kurath & Partner, Zürich
4. Rang, 4. Preis: «Raumwandler»
ARGE Christ & Gantenbein, Basel / S + B Baumanagement, Olten; Neuland ArchitekturLandschaft, Zürich; Conzett Bronzini Partner, Chur; Proengineering, Basel; eicher + pauli, Liestal; Laborplaner Tonelli, Gelterkinden; soltic, Basel; Aegerter & Bosshardt, Basel; BAKUS Bauphysik & Akustik, Basel; CSD Ingenieure, Zürich; PPEngineering, Basel; B + S, Zürich; axet, Embrach; Künzler & Partners, Uster; Staubli, Kurath & Partner, Zürich

Fachjury

David Vogt, stv. Kantons­baumeister, Hochbauamt, Baudirektion, Zürich (Vorsitz); Alex Jaeggi, Amt für Städtebau, Stadt Zürich; Roger Boltshauser, Architekt, Zürich; Regula Lüscher, Architek­tin, Winterthur; André Schmid, Landschaftsarchitekt, Zürich; Claus Frei, Abteilungsleiter Baubereich D, Hochbauamt, Baudirektion, Zürich; Dieter Bachmann, Architekt, Zürich (Ersatz); Sacha Wiesner, Teamleiter Baubereich D, Hochbauamt, Baudirektion, Zürich (Ersatz)

Sachjury

Michael Schaepman, Rektor Universität Zürich; François Chapuis, Direktor Immobilien und Betrieb, Universität Zürich; Roland Sigel, Dekan Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät, Universität Zürich; Wolfgang Annighöfer, Teamleiter Hochschulen, Generalsekretariat Bildungsdirektion; Christian Hardmeier, stv. Amtschef, Leiter Portfolio­management, Immobilienamt; Nadine Müller, Leiterin Bauprojektmanagement, Universität Zürich (Ersatz); Johannes Müller-Lotze, Leiter Portfolio- und Assetmanagement, Universität Zürich (Ersatz)
 

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