DFAB House: An­ge­wand­te For­schung

Wissenschaft in Holz

Wie verändert die digitale Fabrikation die Entwurfs- und Bauprozesse? Forschende von acht Professuren der ETH Zürich und Projektpartner aus der Industrie haben mit dem DFAB House einen Neubau erstellt,  der neueste Möglichkeiten ausreizt – bis hin zum Bauroboter am Ende  der digitalen Kette. Der Holzbau spielt dabei eine zentrale Rolle.

Publikationsdatum
13-06-2019

Das NEST-Gebäude der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt Empa in Dü­ben­dorf war bei seiner Eröffnung 2016 noch nicht fertig. Und es soll auch nie fertig werden. NEST steht für «Next Evolution in Sustainable Building Technologies» (vgl. TEC21 22/2016): Der wie ein riesiges ­Betonregal konzipierte Bau dient als temporäres Auflager für experimentelle Raummodule – sogenannte Units, in denen bautechnische Innovationen unter Praxisbedingungen getestet werden. Mit dem Wechsel der Raummodule ändert es seine Erscheinung periodisch. So auch im Frühling 2019, als die sechste Unit enthüllt und bezogen wurde: das DFAB House, ein selbst im NEST-Kontext eindrückliches Superkonzentrat von Forschungsergebnissen.

Von aussen fällt zunächst die ungewöhnliche Form des Neubaus ins Auge: Transluzente Flächen sind zu einem schräg geformten Körper mit zweifach gewundener Hülle zusammengesetzt, der auf einem Untergeschoss mit Glasfassade thront. Auch im Innern finden sich unkonventionelle Bauteile, etwa eine statisch optimierte Decke, deren plastisch gemaserte Untersicht einem topografischen Modell ähnelt. Andere Elemente wirken vergleichweise unspektakulär, bergen aber dennoch erstaunliche Technologien.

Im 200 m² grossen Gebäude haben Forschende aus acht Professuren der ETH Zürich im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Digitale Fab­rikation in Zusammenarbeit mehrere neuartige, digitale Bautechnologien real ausgeführt. Die ETH hat hier zum ersten Mal all diese unterschiedlichen Forschungseinheiten unter ein Dach gebracht: «Transluzente Leichtbaufassade», «Spatial Timber Assemblies», «Smart Slab», «Smart Dynamic Casting», «Mesh Mould» und «In situ Fabricator».

Jedes einzelne dieser Forschungsprojekte hätte eine ausführliche Besprechung verdient. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung im Holzbau ist ­«Spatial Timber Assemblies» jedoch von beson­derem Inter­esse: Die Forschenden konnten hier die Entwicklung eines innovativen, roboterbasierten Fabrika­tionsprozesses für Holzrahmenbaumodule vorantreiben. Die Fabrikation von Strukturen mit einer hohen Steifigkeit in alle Richtungen baut auf bestehenden Methoden für Holzrahmenbau auf.

Bei «Spatial Timber Assemblies» erfolgten jedoch nicht nur der Entwurf, die Ausführungsplanung, der Zuschnitt und die Baustellenlogistik mit digitalen Hilfsmitteln; auch bei der Vorfertigung waren Roboter beteiligt. Abgesehen von einzelnen Experimenten mit 3-D-Druck (vgl. TEC21 47/2016) hat es bis heute kaum ein anderes Projekt geschafft, die Durchgängigkeit der digitalen Kette so konsequent umzusetzen.

Entwurfs- und Fertigungsprozesse

Die Federführung für das DFAB House lag beim NFS Digitale Fabrikation der ETH Zürich unter der Leitung von Professor Matthias Kohler von Gramazio Kohler Research. Die Empa war die Bauherrin. Auch beim Teilprojekt «Spatial Timber Assemblies» war das Team der ETH-Professoren Fabio Gramazio und Matthias Kohler für die Forschung und die digitale Planung verantwortlich. Als Partner aus der Privatwirtschaft war Erne Holzbau entscheidend beteiligt: Die Firma fungierte als Generalplaner für das Gesamtprojekt DFAB House und als Industriepartner in der Ausführung von «Spatial Timber Assemblies».

Hier lag ihre Rolle in der technischen Unterstützung, um Fragen zum Umgang mit Holz, Verbindungsmitteln, Statik oder Brandschutz zu beantworten. Auch die technische Ausführbarkeit des Projekts war in der Zusammenarbeit immer ein wichtiges Thema.

Ein Vorläufer des DFAB House war das sequentielle Dach für das Arch_Tec_Lab, das Gebäude für das Institut für Technologie in der Architektur auf dem ETH-Campus Hönggerberg. Für das 2300 m² grosse Dach des 2016 fertiggestellten Gebäudes wurden 168 Fachwerkträger in einem automatisierten robotischen Fabrikationsprozess produziert; die Träger wurden in Lagen aus dünnen Balken aufgebaut.

Im Unterschied dazu hat das Team für die Holzbaumodule, die die oberen zwei Stockwerke des DFAB House bilden, einen digitalen Entwurfs- und Fabrikationsprozess für räumliche Holzfachwerke entwickelt. Diese wurden nicht nur an der ETH ausgearbeitet, sondern auch im Robotic Fabrication Laboratory des Arch_Tech_Lab gefertigt. Anschlies­send wurden sie per Lastwagen zum NEST trans­portiert und mit einem Hubkran montiert.

Roboter arbeiten zusammen

Ein grundlegender Fortschritt in der Produktion ist die Assemblierung komplexer Raumfachwerke und die kollaborative Zusammenarbeit von zwei Roboterarmen während der Montage. Die Roboter übernehmen vom Abbund des Rohmaterials bis hin zur 3-D-Assemblierung des Moduls alle komplexen Fertigungsschritte. Verschraubt werden die Balken weiterhin vom Monteur. Nach dem Abbund und der räumlichen Positionierung des Balkens sichert ein Roboter den Balken in seiner finalen Montageposition, während der andere Roboter das nächste Bauteil abbindet und assembliert. Sobald der Fertigungsschritt abgeschlossen ist, lassen beide Roboterarme los, und der Prozess beginnt von Neuem. Dank der kollaborativen Assemblierung braucht es keine temporäre Stützkonstruktion, und die Montagepräzision ist höher.

Die Entwicklung dieser parametrischen Arbeitsprozesse setzt eine sehr intensive Vorleistung durch den Programmierer voraus. Ein Algorithmus berechnet fortlaufend, automatisch und individuell für jeden Balken alle robotischen Fertigungsschritte – zum Beispiel, wie der Roboter das Bauteil von der Abbundstation zur Assemblierungsposition manövriert, ohne dabei mit dem zweiten Roboter oder der bereits gebauten Struktur zu kollidieren.

Alle Fertigungsparameter werden bereits während des digitalen Entwurfsprozesses auf ihre Plausibilität überprüft und dem Balken als Information hinterlegt. Um ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen Entwurf und Fertigung zu gewährleisten, hat das Team für den digitalen Entwurf und die digitale Fertigung ein Plug-in für die CAD-Software Rhinoceros entwickelt. Die Fertigungsdaten werden per Mausklick direkt zur Ausführung an die Roboteranlage gesendet.

Algorithmus der Architektur

Der Aufbau aus Holzrahmenmodulen selbst ist das Ergebnis eines algorithmischen Entwurfswerkzeugs. Aber auch die gesamte Architektur des DFAB House resultiert aus verschiedenen digitalen Entwurfsprozessen. Dafür wurden bestimmte Parameter definiert, aus denen das Team der beteiligten Architekten am Computer mittels Algorithmen die Form entwickelten. Mithilfe dieser Parameter kann der Architekt das digitale Entwurfsmodell anpassen, um die Form und die Aufteilung der Module individuell zu konfiguieren. Anzahl, Position und ­Orientierung der Stäbe bei den Holzmodulen sind Resultat einer statischen Optimierung.

Nach der Fertigstellung eines Moduls wurden zusätzliche Fräsbearbeitungen am dreidimensionalen Bauteil vorgenommen, um die ­Anschlüsse – etwa an die Verbindungselemente der darunter liegenden Bauteile – zu gewährleisten. Der Roboter und die programmierte Architektur erlauben einen hohen Grad an Komplexität des vorgefertigten Moduls und vereinfachen die bauseitige Montage.

Wird der Mensch überflüssig?

Bei der Entwicklung der neuen Bauprozesse stand auch immer die Qualitätssicherung im Fokus. Wie kann man sicherstellen, dass das Ergebnis qualitativ genauso überzeugt wie Module, die mit bereits etablierten Techniken hergestellt wurden? Hier kommt auch im Forschungsprojekt von Gramazio Kohler Research und Erne der Handwerker ins Spiel. Aus zweierlei Gründen ist der Mensch trotz Digitalisierung und robotisiertem Bauen weiterhin unverzichtbar.

Erstens  kann der Roboter noch nicht auf Fehler in der Konstruktion reagieren. Entsteht zum Beispiel eine Lücke zwischen den Balken, kann der Handwerker auf seine Erfahrung und sein logisches Denkvermögen zurückgreifen, um die Balken in Position zu ziehen. Diese für Menschen einfachen und minimalen Lösungsvorgänge sind komplex und aufwendig zu programmieren. Thomas Wehrle, Mitglied der Geschäftsleitung und Bereichsleiter Spezialbau bei Erne, erläutert die Schwierigkeit: «Der Roboter müsste die Lücke vermessen, ein Feedback an den Algorithmus geben und sich dann korrigieren. Dabei stellen sich  mehrere Fragen: Welchen der Balken soll er korrigieren? Den oberen oder den unteren? Wenn er einen der Balken verschiebt, was bedeutet das für den danach folgenden?» Solche komplexen Fragen können mit heutigen Algorithmen noch nicht abgebildet werden.

Zweitens trägt es viel zur Akzeptanz digitaler Technologien bei, wenn der Mensch eine aktive Rolle darin spielt. Das heisst: wenn er nicht durch die Roboter aus dem Bauprozess verdrängt wird, sondern lediglich andere, höher qualifizierte Arbeiten übernimmt – etwa die Steuerung der Roboter.

Aufgrund dieser zwei Aspekte hat das Team des Robotic Fabrication Laboratory sorgfältig abgewogen, was programmiert werden sollte beziehungsweise konnte und was von Hand zu erledigen war. Beim Bau der Holzelemente des DFAB House haben die Handwerker des Industriepartners die Qualitätssicherung über­nommen, die Holzbalken verschraubt und die Roboter bedient.

Lehren für Planung und Ausführung ...

Für das Gesamtprojekt DFAB House ging es im Bauprozess vor allem darum, die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Holzbau, Decke und Wand abzubilden. Denn sobald sich in der Planung eines dieser Forschungsprojekte etwas änderte, mussten die anderen darauf reagieren. Mit dem Planungsprogramm, das Gramazio Kohler Research für «Spatial Timber Assemblies» entwickelt hatte, konnten diese Änderungen direkt im Modell abgebildet werden.

Bei der Planung und dem Bau des DFAB House haben die unterschiedlichen Forschungseinrichtungen über dieses digitale Medium über ihre jeweiligen algorithmischen, parametrischen Planungsmedien miteinander kommuniziert. Wenn Änderungen am Tragraster des «Smart Slab» vorgenommen wurden, hat sich der algorithmisch definierte Holzbau automatisch angepasst. Der Prozess bildete im Sekundentakt alles ab und ermöglichte zugleich allen Beteiligten sofortigen Zugriff. Das Projekt hat bestätigt: Wenn alle an der Planung Beteiligten in einem gemeinsamen 3-D-Modell arbeiten, bei dem die verschiedenen Gewerke zusammengefügt sind, kann das ganze Projekt für alle besser verständlich dargestellt werden.

Auch der Industriepartner konnte Nutzen aus der Forschungsarbeit ziehen. Denn die interne Aufbereitung der Maschinendaten aus dem Architekturmodell für die Produktion entwickelte sich mit diesem Projekt einen ganzen Schritt weiter. «Der digitale Datentransfer vom Architekturmodell bis hin zur Maschine, die Herausforderungen, Prozesse, Schnittstellen und Zusammenhänge zu verstehen, das waren die grössten Lern­effekte für unsere Holzbaufirma», sagt Thomas Wehrle. «Durch dieses Projekt ist es möglich geworden, ganz neue architektonische Formen zu realisieren.» Die aufwendige Arbeit, jeden Stab einzeln zu bearbeiten und zu positionieren, würde im klassischen Bauverfahren viel Zeit und Geld kosten. Durch den Einsatz der Bauroboter, die die Position und Form jedes Bauteils kennen, wird die Realisierung komplexer Formen effizient, und die Kosten bleiben überschaubar.

... und Fragen an den Entwurf

Indem das DFAB House digitale Technologien im Holzbau auslotet, eröffnet es also auch gestalterische Möglichkeiten, die bisher aus Kostengründen nicht infrage gekommen waren. Diese auszuloten ist jedoch eine Her­ausforderung an den Entwurf: Wenn alles möglich ist, stellt sich die Frage nach der Angemessenheit umso dringender, und gestalterische Entscheidungen erhalten umso mehr Gewicht.

Wie das neue formale Vokabular des digitalisierten und robotisierten Holzbaus in Zukunft erprobt, ästhetisch weiterentwickelt und möglicherweise in eine neue, eigene Architektursprache überführt wird, ist letztlich keine technische Frage mehr, sondern eine baukulturelle Herausforderung.

Informationen zu diesen und weiteren Forschungsprojekten sowie eindrückliche Videos der Produktionsprozesse unter dfabhouse.ch/de/


Weitere Beiträge in unserem E-Dossier BIM

Konzeption Entwurf und Objektplanung
ETH Zürich, Nationaler Forschungsschwerpunkt (NFS) Digitale Fabrikation, Zürich

Bauherrschaft
Empa, Eidg. Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, Dübendorf

Generalplaner
Erne Holzbau, Laufenburg

Verwandte Beiträge