«Der Ein­satz der Far­be ver­än­dert sich»

Die Kunst- und Architekturhistorikerin Verena M. Schindler im Gespräch mit TEC21.

Vom 7. bis 10. Juni 2011 fand an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) der ­internationale Kongress «Interaction of Colour & Light in the Arts and ­Sciences» statt. Veranstaltet wurde er von der Association ­Internationale de la Couleur (AIC). TEC21 sprach im Vorfeld mit Verena M. Schindler über die Verbindung von Licht und Farbe und über nationale Schwerpunkte in der Forschung.

Publikationsdatum
30-12-2011
Revision
26-08-2016

TEC21: Frau Schindler, Sie sind für die Ausrichtung des Midterm Meetings 2011 der AIC in Zürich verantwortlich und haben auf Ihre Ausschreibung hin über 300 Beiträge aus mehr als 40 Ländern erhalten. Gibt es in der Ausrichtung der Forschung grosse nationale Unterschiede?
Verena M. Schindler: Die thematische Ausrichtung der Beiträge hängt sehr von den Interessen der nationalen Farbvereinigungen ab. Manche arbeiten verstärkt in der Optik wie in Italien und Spanien, andere in der ­Architektur und Gestaltung wie in Chile oder Portugal. Manche sind mehrheitlich universitär geprägt, procolore in der Schweiz hingegen hat ein sehr breites Mitgliederspektrum. Als ich das Vortragsprogramm zusammenstellte, sortierte ich die Beiträge zunächst nach Themen – unbeabsichtigt gerieten Forschungsbeiträge aus Japan in eine Session, die aus Deutschland und den USA in eine andere. Japaner forschen besonders intensiv im Bereich der Computertechnologie. In Korea und Taiwan sind hauptsächlich psychologische Faktoren ein Schwerpunkt, beispielsweise wie Menschen auf Bilder im Internet reagieren. Es gibt also definitiv nationale Schwerpunkte, doch ist es eine der ­Bedingungen, dass eine nationale Vereinigung interdisziplinär ausgerichtet sein muss. In ­Taiwan, wo 2012 der nächste Kongress stattfindet, liegt der Fokus auf Umweltthemen: wie wir auf unsere Umwelt reagieren und wie wir sie gestalten, damit wir zufrieden sind und in Harmonie leben können.

Seit der Gründung 1967 sind viele Länder mit ihren Farbvereinigungen der AIC ­beigetreten. Sehen Sie heute alle Kontinente gut vertreten?
V. M. S.: Es gibt immer noch ein Übergewicht von Europa, Nordamerika und Asien in der AIC. Südafrika – als einziges afrikanisches Land – hat 2006 eine spannende Farbkonferenz organisiert, die Farbvereinigung existiert aber nicht mehr. Das heisst allerdings nicht, dass es dort keine Farbforschung gibt. Neu haben wir Chile und Mexiko gewinnen können. Gern würden wir das forschungsstarke Russland als Mitglied haben, und auch Indien wäre mit seiner Farb- und Textilindustrie ein interessanter Partner.
Oft liegt es an der Politik und an den gesellschaftlichen Strukturen, wenn keine Vereinigung zustande kommt. Es ist aber auch nicht immer einfach, eine Vereinigung aufzubauen, weil die Mitglieder – entsprechend dem AIC-Prinzip der Interregionalität und der Interdisziplinarität – aus verschiedenen Städten kommen und zudem in unterschiedlichen Gebieten forschen müssen. Wenn es in grossen Ländern mehrere Gruppen gibt, die unterschiedliche Fach­bereiche abdecken, schliessen sich diese meist zu einer Dachorganisation zusammen. In Deutschland gibt es beispielsweise eine technisch (Deutsche farbwissenschaftliche Gesellschaft e.V.) und eine gestalterisch (Deutsches Farbenzentrum) ausgerichtete Gruppe, die Dachorganisation Deutscher Verband Farbe ist Repräsentantin bei der AIC.
Mit dem Beitritt von Taiwan zur AIC hatten wir lange Zeit grosse Probleme, weil Taiwan von China als chinesische Region betrachtet wird. Seit 2001 gibt es dort eine sehr aktive Farbvereinigung, die Mitglied der AIC werden wollte. China weigerte sich mit dem Hinweis auf die Statuten, nach denen es pro Land nur eine AIC-Vertreterin geben darf. Also änderten wir letztes Jahr die Statuten so, dass auch regionale Gruppierungen zulässig sind, wenn keine Einigung erzielt werden kann. Taiwan ist bislang unser jüngstes Mitglied.

Bei Lichtfachplanern gibt es unterschiedliche Meinungen, welcher Ausbildungsweg der richtige sei. Gibt es für Farbfachleute Ihrer Meinung nach eine ideale Ausbildung?
V. M. S.: Was Farbe betrifft, gibt es kaum Möglichkeiten für eine spezielle Ausbildung – ­vielleicht am ehesten noch am Haus der Farbe in Zürich, im Ausland ist mir nichts bekannt. Viele Leute, die ich kenne, die im Farbbereich arbeiten, haben Kunst studiert. Natürlich ­haben auch Architektinnen und Architekten ein Farbgefühl. Aber die Farbausbildung ist in den Architekturschulen kein Schwerpunkt, und mir scheint, dass Architekten mit Farbfragen oft überfordert sind. Spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts weiss man, dass man ­Farbigkeit und die Gesetze der Farbkombinationen bis zu einem gewissen Punkt auch ­erlernen kann. Ein ausgeprägtes visuelles Empfinden bleibt eine wichtige Voraussetzung.

Farbe kommt heute in der Architektur nicht nur als Körperfarbe, sondern immer mehr als Lichtfarbe zum Einsatz. Ist diese Inszenierung der Gebäude und Anlagen eine Bereicherung?
V. M. S.: Weltweit sehen wir eine Zunahme an Lichtinstallationen und Fassadenbespielungen. Mir geht das häufig zu weit. Eine der ersten Installationen mit farbigem Licht habe ich 2001 in Schanghai erlebt, da wurde die Unterseite einer Brücke blau beleuchtet. Die Chinesen, mit denen ich unterwegs war, ­fanden das schön, ich empfand es als sehr grell. Doch nicht nur Farbe und Helligkeit werden unterschiedlich wahrgenommen, der Einsatz der Farbe verändert sich auch über die Jahre. Zur Weihnachtszeit erstrahlt Paris heute in Blau und Weiss, früher waren die Weihnachtsfarben Rot und Gelb. Das sind interessante Entwicklungen in der Symbolik – wir gestalten unsere Umwelt, was wiederum unsere Wahrnehmung verändert. Als in Japan infolge des Fukushima-Unglücks zeitweise die Stromversorgung ausgesetzt wurde, blieben von den sonst flimmernden, farbigen Bildschirmen nur noch die technischen «Skelette» übrig – ganze Strassenzüge wirkten damit tot. Grosse Fassaden mit Leuchtwerbung sind der Tod des städtischen Raumes – die Gebäude verschwinden, und für Soziales bleibt kein Platz mehr, weil die Technik so stark und überwältigend ist.

Wobei das wiederum mit einer von Nation zu Nation unterschiedlichen Wahrnehmung von Licht und Farbe zu tun hat. In Europa gibt es weit weniger Exzesse im Umgang mit ­Beleuchtung als in Asien oder vielleicht in Amerika.
V. M. S.: Ja, immer mehr Städte werden sich bewusst, was eine gute Beleuchtung leisten kann. Wurde in Zürich früher scheinbar wahllos beleuchtet, sind es heute nur noch wenige, für das Stadtbild wichtige Bauten, die inszeniert werden. Auch in Frankreich findet dieser Wandel statt: Die Notre-Dame in Paris wurde lange Zeit einfach mit gelbem Licht angestrahlt, 2002 jedoch realisierte Roger Narboni ein neues Beleuchtungskonzept, sodass die Struktur der Fassaden im kühleren und punktuell eingesetzten Licht nun viel besser zur Geltung kommt. Auch bei zeitgenössischen Bauten wird der Beleuchtung heute mehr Beachtung ­geschenkt. Yann Kersalés (1) Lichtinstallation am Musée du Quai Branly (Jean Nouvel, 2006) während der «Nuit Blanche» 2006 veränderte die Wirkung des Gebäudes sehr stark. Tagsüber sah man das Gebäude, das ganz in warmen Rot-, Ocker- und Brauntönen gehalten ist. Nachts hingegen wurde blaues und violettes Licht über Plexiglasstäbe an die Unterseite des Gebäudes projiziert – es entstand der Eindruck einer unterirdischen Wassergrotte. Ein anderes Beispiel dafür, was Licht bewirken kann, sind die Docks en Seine in Paris ­(Jakob + Macfarlane, 2008), die die Cité de la Mode et du Design beherbergen. Die Beton­struktur der ehemaligen Lagerhäuser blieb erhalten, sie wurde mit einer grünen, schlangenförmigen Metallstruktur überzogen. Seit Kersalés Beleuchtung integriert ist, leuchtet dieses Gebäude wie ein grünes Glühwürmchen über der Seine, mit magischer Anziehungskraft.

Worin sehen Sie die Hauptforschungsaufgaben der nächsten Jahre bezüglich Farbe und Licht?
V. M. S.: Auf der technischen und der optischen Seite wird das Sehen im Alter ein grosses Thema sein. Es gibt immer mehr ältere Menschen, und es ist wichtig, auf das veränderte Farbsehen im Alter zu reagieren. Welche Farben muss man benutzen, damit Schilder auch für die ­Älteren erkennbar sind? Welche Farben sollten Architektinnen und Architekten nutzen, damit sich Menschen in Wohnungen, Altersheimen und Spitälern zurechtfinden und nicht die ­Orientierung verlieren? Diese Forschung ist auch im Computerbereich sehr intensiv: Welche Farben müssen Schriften und deren Hintergrund haben, damit auch ältere Leute am ­Computer lesen können? Oder im Allgemeinen: Wie kann man die Bildqualität verbessern 
Ein weiteres wichtiges Thema wird die Ökologie sein. Man weiss, dass viele früher häufig verwendete Anstrichfarben giftig waren, und entwickelt heute solche, die besser für unsere Wohn- und Arbeitsräume geeignet sind. Dieses ökologische Denken betrifft selbstverständlich auch die Farbexperten in der Industrie. Schöne leuchtende Farben, wie das Cadmiumgelb, sind bei uns für industrielle Anwendungen verboten, und Chromgelb, ein Bleichromat, ist giftig und soll krebserregend sein.
Nicht zuletzt werden Licht und Farbe einen immer grösseren Stellenwert im Städtebau erhalten. Die Bevölkerung wächst ständig, und wir leben immer enger beisammen. In allen Städten gibt es Quartiere, die ohne Beachtung von Vegetation und Farben errichtet wurden. Heute ist es ein Bedürfnis, eine Umwelt zu gestalten, in der man sich wohlfühlt. Farbe ist dabei ein wichtiges Element, aber auch Tag- und Nachtbeleuchtung gehören dazu. Projekte für neue oder zu sanierende Quartiere müssen zukünftig wohl verstärkt von interdisziplinären Teams aus Architektinnen, Landschaftsarchitekten, Farbgestalterinnen und Lichtexperten etc. bearbeitet werden, damit alle für die späteren Bewohnerinnen und Bewohner wichtigen Aspekte bei der Planung und Realisierung einbezogen werden. 

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