«Das Ge­bäu­de muss neue Rol­len er­fül­len»

Energiestrategie 2050

Eine zentrale Rolle innerhalb der Energiestrategie 2050 hat der Gebäudebestand, den es energetisch zu sanieren gilt. Prof. Urs-Peter Menti, Leiter Zentrum für Integrale Gebäudetechnik (ZIG) der Hochschule Luzern, zeigt mögliche Wege auf.

Publikationsdatum
16-12-2014
Revision
18-10-2015

TEC21: Herr Menti, welche Herausforderungen stellen sich im Rahmen der Energiestrategie 2050 bezüglich der Gebäude?
Urs-Peter Menti: Neubauten werden die Ziele der Energiestrategie 2050 aufgrund der entsprechenden gesetzlichen An­forderungen erfüllen, die Lösungsansätze sind bekannt und erprobt. Die Herausforderung liegt beim Gebäudebestand. Hier sind grosse Anstrengungen nötig, um bis 2050 die hohen energetischen Vorgaben einzulösen. Hauptaspekte sind eine gut wärmegedämmte Gebäudehülle, eine energieeffi­ziente Gebäudetechnik inklusive Beleuchtung und ein hoher Anteil an erneuerbaren Energien. 

Was sind die grossen Hemmnisse?
Menti: Beim Bestand fehlen die nötigen Anreize und Vorschriften, damit massive Verbesserungen erzielt werden. Hemmnisse sind oft nicht technische Herausforderungen, sondern Eigentumsverhältnisse, Wirtschaftlichkeitsfragen sowie Unwissenheit oder fehlende Erfahrung bei den Eigentümern, aber auch bei Architekten oder Planern. Nicht vergessen werden darf dabei, dass sich nur schon mit einer Betriebsoptimierung der Anlagen ohne grosse Investitionen die ersten 10 bis 20% an Energie einsparen lassen.

Welche Lösungsansätze zeichnen sich beim Umgang mit dem ­Gebäudebestand ab?
Menti: In diesem Bereich laufen diverse Anstrengungen. Ein möglicher Ansatz liegt in der elektrischen und thermischen Vernetzung von Gebäuden. Ziel ist dann nicht mehr, jedes einzelne Gebäude auf die Anforderungen der Energiestrategie 2050 zu trimmen, sondern Gebäudeparks, also Areale und Quartiere. Einzelne Gebäude wie Ersatzneubauten leisten einen überdurchschnitt­lichen Beitrag und kompensieren so denkmalgeschützte Bauten, die nur einen unterdurchschnittlichen Beitrag beisteuern. Solche Ideen werden im soeben gestarteten Swiss Competence Center for Energy Research, Future Energy Efficient Buildings & Districts entwickelt und getestet.1 Ob dieser Lösungsansatz der Königsweg ist, wird sich noch zeigen müssen. 

Man liest oft von energieautarken Gebäuden. Ist das kein Ansatz für die Energiestrategie 2050?
Menti: Nein! Energieautarkie bedeutet vollständige Selbstversorgung, also eine komplette Netzunabhängigkeit. Der Begriff der «Autarkie» darf nicht ver­wechselt werden mit einer «Null­energiebilanz». Ein Nullenergie­gebäude ist sehr wohl an ein Netz angeschlossen, sicher an ein elektrisches, eventuell auch an ein thermisches. Kriterium für ein «Nullenergiegebäude» ist einzig, dass die übers Jahr auf dem Grundstück produzierte Energie grösser oder gleich ist wie die übers Jahr vom Gebäude konsumierte Energie. Beim Nullenergiegebäude wird meistens im ­Sommer mehr Energie produziert als konsumiert, im Winter ist es umgekehrt. Das Netz sorgt für den nötigen Ausgleich und die saiso­nale Speicherung. Aber auch der kurzfristige Lastausgleich der Energie wird so externalisiert. 

Ist also das Nullenergiegebäude oder gar das Plusenergiegebäude die Lösung für die Energiestrategie 2050?
Menti: Ja und nein. Es ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Wichtiger als eine ausgeglichene oder gar positive Energiebilanz übers Jahr sind eine möglichst geringe Netzbelastung und ein tiefer Energiebedarf im Winter, wenn die Sonne nicht stark scheint und die Heizanlagen viel leisten. Damit wird die dezentrale Speicherung von thermischer und/oder elektrischer Energie ein zentrales Thema. Weder aus ökologischer noch aus wirtschaftlicher Sicht ist es sinnvoll, diese Spei­cher­aufgaben jedem einzelnen Ge­bäude zu übertragen. Um solche Infrastrukturen gut auszulasten, ist die Vernetzung der Bauten entscheidend. Das Gebäude der Zukunft wird neue Rollen im Verbund einnehmen – also nicht mehr nur Energieverbraucher sein, sondern auch Energieproduzent und/oder
-speicher. Diese Dienstleistungen wird das Gebäude nicht nur für sich beanspruchen, sondern anderen Bauten anbieten. Vor allem in den Bereichen de­zentrale Energiedienstleistungen und Speichertechnologien sind noch grosse Entwicklungen nötig, damit diese in das Energiesystem Schweiz integriert werden können.  

Braucht es daneben noch weitere technische Entwicklungen, um den heutigen Gebäudepark in einen energieeffizienten, schadstoffarmen zu transformieren?
Menti: Es sind sicher noch technische Lösungen nötig, die Sanierungen einfach und kostengünstig realisierbar machen. Die Sanierungsquote von unter 1% zeigt, dass wir noch keine Lösung für eine breite Anwendung haben. Ein Beispiel ist der Ersatz von dezentralen Elektroheizungen. Heute sind davon noch hunderttausende installiert, sie sollten baldmöglichst ersetzt werden. Doch es fehlen Konzepte und Produkte, die dies problemlos er­möglichen. Bei Lösungen, die in Richtung Vernetzung auf Areal- oder Quartierebene gehen, braucht es eine erhöhte Integration der verschiedenen Elemente mit übergeordneter Intelligenz – Stichwort «Smart Grid».2 Nur so lassen sich solch komplexe Systeme sicher und energieeffizient betreiben.  

Kann die Architektur eine ­Lösung für die angesprochene Problematik bieten?
Menti: Architektur und Energieeffizienz müssen sich ergänzen. Früher mussten Gebäude wegen der knappen Energie­ressourcen so gebaut sein, dass mit möglichst wenig Energieaufwand ein behagliches Raumklima erreicht werden konnte. Im letzten Jahrhundert mit seinem Energieüberangebot war dieser Aspekt nicht mehr so wichtig – es wurde eine Architektur möglich, die erst mit hohem technischem und energetischem Aufwand zu behaglichem Klima führte oder die Funktionalität der Gebäude gewährleistete. Heute aber sind Architektur und Stadtplanung gefordert, auf die Anforderungen einer hohen Energieeffizienz am Gebäude und im Quartier zu reagieren und diese im Entwurf zu integrieren. 

Anmerkungen

  1. Informationen: www.feebd.ch
  2. Vgl. TEC21 12/2011

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