«Wich­tig ist die ­Ver­ant­wort­lich­keit»

Qualitätssicherung im Betrieb

Falsche Annahmen, ein zu hohes Sicherheitsbedürfnis und auch das ­individuelle Verhalten der Nutzer prägen Konzept und Alltagsbetrieb von Gebäudetechnikanlagen. Aber nicht die Planung ist mangelhaft, sondern die Überwachung, sagt Martin Ménard.

 

Publikationsdatum
03-12-2015
Revision
03-12-2015

TEC21: Herr Ménard, als «Performance Gap» werden Abweichungen zwischen Gebäudeplanung und Gebäudebetrieb bezeichnet. Welchen Einfluss haben Planer, die Kluft in der Haustechnik so klein als möglich zu halten?
Martin Ménard: Generell halte ich das Niveau der Planung in der Schweiz für sehr hoch. Ein Performance Gap entsteht primär durch einen suboptimalen Betrieb der Anlagen. Bei Heizung und Warmwasser tragen zudem unrealistische Standardwerte in den Planungsnormen ihren Teil zum Performance Gap bei. Vereinzelt entstehen konzeptionelle Fehler in der Planung von bivalenten Systemen, bei denen Wärme oder Kälte aus kombinierten Anlagen erzeugt werden soll. Zum Beispiel werden vermeintlich überflüssige Komponenten weggelassen oder aus Spargründen Anlagen mit zu geringer Leistung gewählt.

TEC21: Tendieren Planer in ihren Annahmen für den Gebäudebetrieb eher zur Vorsicht oder zum Optimismus?
Ménard: Den Nutzer als Planungsgrösse zu berück­sichtigen ist extrem schwierig. Auch der Auftraggeber weiss selten, wie stark ein Gebäude effektiv genutzt wird, woraus zum Beispiel die internen Wärmelasten abzuleiten wären. Die Planer neigen daher dazu, bei der Dimensionierung der Anlagen den normativen Standardwerten mehr zu vertrauen als eigenen Erfahrungen. So wird der Warmwasserbedarf heute oft eher zu hoch an­gesetzt, der Heizwärmebedarf dagegen meistens unterschätzt. Sich jedoch von Normwerten zu entfernen erhöht für den Planer den Kommunikationsaufwand und das Risiko, bei einer Beschwerde nichts Verbindliches in der Hand zu halten. Die Risiko­aversion und das hohe Sicherheitsbedürfnis gegenüber Beschwerden sind wichtige Treiber für den hohen Energieverbrauch.

TEC21: Wenn das beauftragte Gebäude nicht genau so abgeliefert wird: Hat das planerische, technische oder auch andere Gründe?
Ménard: Oft wird vom Nutzereffekt gesprochen, insofern das individuelle Verhalten der Bewohner oder Gebäudenutzer die Diskrepanz zwischen Planung und Betrieb erhöhen kann. Doch dieser Hinweis greift zu kurz. Wie hoch der Energieverbrauch ist, hängt zum Beispiel stark von der Einstellung der Heizkurve und der Lüftungsregelung ab. Diese Einstellungen werden jedoch nicht vom Nutzer, sondern vom Betreiber gemacht. Der Betreiber wiederum verlässt sich auf seine Servicefirmen, die am liebsten die konservativen Grundeinstellungen der Hersteller übernehmen.

TEC21: Sie haben im Auftrag des Bundesamts für Energie Gebäude kontrolliert. Was ist Ihr Befund?
Ménard: Wir haben die Betriebsdaten von 220 Gebäuden mit und ohne Minergie-Zertifikat er­hoben. Ziel ist der Vergleich, wie der effektive Energieverbrauch für Heizung, Warmwasser, Lüftung und Kühlung von der geplanten Energiekennzahl abweichen kann. Der Schlussbericht ist noch nicht publiziert; was man aber bereits sagen kann: Relativ viele vermeintlich einfache Haustechniksysteme arbeiten ineffizient, weil die Anlagen mit den Sollwerten und der Grundeinstellung des Herstellers arbeiten und nicht an den effektiven Betrieb angepasst werden.

TEC21: Welche anderen technischen Betriebsmängel sind noch häufig?
Ménard: Die Wechselwirkungen erhöhen sich, wenn verschiedene Systeme parallel betrieben werden: Die Lüftung hat Einfluss auf die Heizung und umgekehrt. Mit der Kälteversorgung kommt ein weiterer Knoten dazu. Die automatische Sonnenschutzsteuerung und ein übergelagertes Gebäudeautomationssystem erhöhen die technische Komplexität weiter. Oder zum Beispiel: Ein träges Niedertemperatursystem auf die Lastbedürfnisse von unterschiedlich orientierten Wohnungen in einem grossen Mehrfamilienhaus für alle gleich optimal abzustimmen ist eine komplexe und vor allem zeitraubende Arbeit. Ein nicht zu unterschätzender Treiber für einen ineffizienten Betrieb sind zudem unklare Zuständigkeiten und das Abschieben von Verantwortung. So komplex ist der Betrieb solcher Systeme auch wieder nicht, dass damit eine Fachperson überfordert wäre. Wichtiger ist dabei die Verantwortlichkeit.

TEC21: Wie meinen Sie das?
Ménard: Wir sind zum Beispiel gerade mit der Betriebsoptimierung einer grossen Neubausiedlung beschäftigt. Mit Beginn der ersten Heizsaison tauchen Probleme an allen Ecke und Enden auf. Bei jedem Mangel schieben sich Totalunternehmer, Planer, Unternehmer und Contractor gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Unter diesen Umständen können nur noch die dringendsten funktionalen Probleme gelöst werden, und die energetische Optimierung bleibt auf der Strecke. Anstatt den hydraulischen Abgleich weiter zu optimieren, was viel Zeit benötigt, wird die Heizkurve erhöht. Daher lautet meine These: Die Organisation der Inbetriebnahme und die Zuteilung klarer Verantwortlichkeiten sind zentral, wenn es den Performance Gap zu überwinden gilt.

Den Nutzer als Planungsgrösse zu berücksichtigen ist extrem schwierig.

TEC21: Aber der Planer arbeitet ja eigentlich fachübergreifend – könnte dieser dem Performance Gap besser entgegenwirken?
Ménard: Wie gesagt liegt das Problem weniger bei der Planung, sondern im Betrieb bzw. bei der Inbetriebnahme. Bei Problemlösungen sitzen bis zu einem halben Dutzend Vertreter an einem Tisch.
Und alle halten sich zurück; es fehlt meist eine Person mit einem Verständnis der gegenseitigen Wechsel­wirkungen. Es fehlt der Koordinator für die Inbetriebnahme und Betriebsoptimierung dieser Anlagen. Der Bruch zwischen Bau und Betrieb manifestiert sich häufig auch an fehlenden, unmittelbar greif­baren Anlagendokumentationen.

TEC21: Ziel ist doch, dass Temperatur und Luftqualität stimmen und gleichzeitig keine Energie verschwendet wird. Wie kann man das in einem Gebäude ein oder zwei Jahre nach Inbetriebnahme überprüfen?
Ménard: Energieeffizienz lässt sich mit einer gewissen Spannbreite überprüfen. Ein hoher Verbrauch fällt aber nicht immer auf. Das Temperaturniveau
in den Wohnungen ist für Betreiber meistens eine unbekannte Grösse. Die Datengrundlage über das Lüftungsverhalten und die Einstellungen der ­Heizungsregler oder der Temperaturen sind nur in Ausnahmefällen verfügbar. Es ist oft mühsam, dar­über im Betrieb etwas in Erfahrung bringen zu wollen.

Es fehlt der Koordinator für die Inbetriebnahme dieser Anlagen.

TEC21: Eignet sich die Betriebsoptimierung überhaupt als eigenes Geschäftsfeld?
Ménard: Wenn Unternehmer separat hono­riert werden, damit sie die Einstellung der technischen Systeme optimieren, dann ja. In grossen Gewerbe- und Dienstleistungsgebäuden kann das Anpassen einiger ­Betriebsparameter schnell die Energiekosten im fünfstelligen Frankenbereich reduzieren. Aber der ­Wohnungsbau ist noch kein systematisches Betätigungsfeld für Betriebsoptimierer, auch aus wirtschaftlichen Gründen. Die Nutzer melden sich nur, wenn es zu kalt ist. Ob der Energieverbrauch hingegen gesenkt werden kann, ist nicht erkennbar.

TEC21: Wie verbessert man den Übergang zwischen Planung, Bau und Betrieb bei Gebäuden – wie gelingt es, den vorbildlichen Ansprüchen bis ans Ende der Ausführungskette gerecht zu werden?
Ménard: Eine gewisse Sättigung oder sogar Überforderung mit der Haustechnik ist oft spürbar. Daher sind entschlackte Gebäudetechnikkonzepte sowie technische Kompromisse gesucht. Die Wechselwirkungen zwischen dem Nutzer und dem Gebäude werden mit zunehmender Automatisierung aber noch komplizierter. Der Trend zu Gebäudeautomatisierung ist teilweise auch selbst Ursache neuer Probleme. Als praktischer Hinweis aber: Im ersten Betriebsjahr soll der Bauträger die Unternehmer weiterhin vertraglich einbinden, sodass die Technik optimal eingestellt wird und der Hausdienst daran auch beteiligt ist.

Verwandte Beiträge