«Wir ha­ben uns ein­ge­webt und an­ge­schlos­sen»

Mit der Erwärmung der Städte erhält die Landschaftsgestaltung eine neue Bedeutung, was oft mit kostspieligen Anpassungen und Neuanlagen verbunden ist. Auf einem Spaziergang durch die Englischen Anlagen in Bern erläutert Brigitte Nyffenegger vom Büro Umland ihr Vorgehen nach kreislaufwirtschaftlichen Prinzipien bei der Sanierung des städtischen Waldstücks – eine Chance durch Zurückhaltung.

Publikationsdatum
26-05-2022

Die Englischen Anlagen erstrecken sich an einem steilen Waldhang mitten in der Stadt Bern, zwischen Helvetiaplatz und Schwellenmätteli. Die zweite Hälfte des waldigen Hangs geht zurück auf das 19. Jahrhundert, als die angrenzende Gegend für eine Wohnbebauung erschlossen wurde. Inzwischen ist das schattige Waldstück als Gartendenkmal geschützt und unterliegt der forstlichen Gesetzgebung. Uns hat interessiert, wie sich die Nachhaltigkeits­ideen von Büro Umland in den Anlagen niederschlagen.

Das «kreative Unterlassen», gepaart mit dem Blick auf die Wiederverwendbarkeit und stille Ergänzung von einzelnen architektonischen Elementen, ­leitete die Herangehensweise der Landschaftsplanenden.

Wir starten den Rundgang an der Oberkante des Areals. Von hier reicht der Blick über die tief unten liegende Aare hinweg auf die Altstadt von Bern. Die Strasse ist nicht von Trottoirs eingefasst und verbindet als Promenade das Wohngebiet mit dem Steilhang.

TEC21: Frau Nyffenegger, bezieht sich der Name «Englische Anlagen» ­auf die Eigenart englischer Parks derselben Epoche?

Brigitte Nyffenegger: Ja, die Gestaltung des Walds ist den englischen Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts nachempfunden, das ist gut erkennbar an der obersten Hangkante mit den Bänken und dem Holzzaun. Der Prallhang der Aare ist in der Vergangenheit oft abgerutscht, heute ist dies dank den vor längerer Zeit erfolgten Hochwasserschutzmassnahmen und der Bepflanzung kaum mehr der Fall. Abgesehen von dem Teil Richtung Bärengraben, wo es einen Bestand an alten Buchen gibt, ist der Bewuchs als Edellaubmischwald noch nicht so alt. Später wurde er zu einem Teil der Promenade erklärt.

Welche Strategie liegt der Sanierung zugrunde?

Beim Bestand bleiben, sanieren und flicken.

Wie tief greifen Sie dabei in die Natur ein?

Den aktuellen Anlass für das Projekt gab der Zustand der Mauern und Wege. Pflanzenschutz und Artenvielfalt standen nicht unbedingt im Mittelpunkt. Vor allem haben wir die baulichen Anteile saniert. Wir befinden uns hier an einer Aufweitung der Stras­se. Eine Sitzbank umschliesst einen neu gepflanzten Baum an der Promenade Englische Anlagen (vgl. Nr. 1 auf der Karte in der Gallery). Zusammen mit der Bauherrschaft von Stadtgrün Bern sind an diesem Ort exemplarische Entscheide gefallen. Zum Beispiel war der Platz durch eine Asphaltfläche versiegelt, jetzt hat er den gleichen Belag wie die Waldwege. Ein einfacher Hag aus un­behandeltem Fichtenholz fasst den Wald gegen das Wohnquartier ein. Die in einem Stahlfuss verschraubten Holzpfosten sind ohne grossen Aufwand austauschbar. So brauchen wir weniger Material und vermeiden Eingriffe ins Erdreich, das sonst aufgrund der Hanglage immer wieder ins Rutschen käme.

Seine Wirkung als geschlossene Balustrade ist wohltuend. Vor ein paar Jahren hätten wir da wohl einen dauerhaften Zaun gewählt, der wenig Unterhalt erfordert. Auch wir als Planungsbüro sind suffizienter geworden. Der Entscheid zu dem Hag kam von Stadtgrün Bern.

Begeben wir uns ins Waldinnere. Die Mauern an den Wegen sind die markantesten, aber auch sanierungsbedürftigsten Bauteile im Wald. Wie sind Sie damit umgegangen?

Es herrscht ein Nebeneinander im Bestand. Die wegbegleitenden Mauern bestehen aus alten und neuen Steinen unterschiedlicher Formate. Zum Teil sind sie aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert, mit unterdessen ziemlich verwitterten Oberflächen. Anfang des 20. Jahrhunderts sind einzelne Hang­partien abgerutscht und wurden erneuert, sodass baulich Überlagerungen entstanden. Bei kleineren Eingriffen hat man vermutlich genommen, was im Depot der Stadtgärtnerei zu finden war. An manchen Stellen gibt es auch Betonblöcke zwischen den Steinen, die haben wir weiterverwendet. Das Mit­einander wirkt sehr unbeschwert. Dazu kommen glattere Steine aus Sandstein, die wohl bei der Sanierung um 1950 zugefügt worden sind.

Als Wegbelag wählten wir Mergel. Je mehr er begangen wird, desto dichter wird er. Dort, wo das Hangwasser herunterkommt, haben wir Drainagen eingebaut. Die teils vorhandenen Wegfundamente haben wir ergänzt.

Wie haben Sie entschieden, welches Material Sie neu hinzufügen?

Mithilfe vom Steinmetz haben wir die zu erhaltenden von den zu ersetzenden Steinen unterschieden. Wir haben pro Wegverlauf ein Konzept erstellt, das sich an dem aktuellen Erscheinungsbild des Bestands orientiert. Wo nötig haben wir Sandstein aus dem Steinbruch in Ostermundigen genommen, das Format individuell angeglichen und abschnittweise mit glatten Blöcken ergänzt. Die Anlage ist in Etappen entstanden, und jede hat ihre eigene Sprache. Da haben wir uns eingewebt und angeschlossen. Wir machen keine ästhetischen Korrekturen. Mit ihren verschieden alten Abschnitten hat jede Mauer einen eigenen Ausdruck. Ihre geschlossene Erscheinung ist der Stärke des Handwerks zu verdanken. Am Uferweg (vgl. Nr. 2 auf der Karte) haben wir Kalk­sandstein vorgefunden und entsprechend ergänzt. Der Stein ist härter als der Ostermundiger. Das ist unten am Wasser sinnvoll, damit er in der feuchten Umgebung nicht so schnell verwittert.

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Haben Sie Zeichnungen von den alten Mauern und den zu ergänzenden Steinen gemacht?

Nein, wir entschieden das vor Ort. Unsere Vorgabe war, dass es für die nächsten 40 Jahre halten soll. Das Ziel war der grösstmögliche Erhalt des Bestands. Die durch die öffentliche Ausschreibung beauftragten Unternehmen haben das Konzept dann umgesetzt.

Tragen die Unternehmen die Gewährleistung für eine Mauer, die sie ergänzt haben?

Der begleitende Bauingenieur hat festgelegt, welche Mauern zusätzlich unterfangen werden müssen. Das Unternehmen ist verantwortlich für den Stein, den es einsetzt, nicht für die Mauer.

Auf dem Platz (vgl. Nr. 3 auf der Karte) sind gewöhnliche Bänke der Stadt aufgestellt. Die Blickachse zur Altstadt ist leicht ausgelichtet. Die Platzkante zum Abhang ist nur mit Johannisbeersträuchern unten im Boden gefasst. Das begrenzt den Raum zwar, wären aber sicherheitstechnisch nicht Geländer erforderlich?

Das wäre der Fall, wenn die Stützmauern darunter mehr als einen Meter hoch sind. Nach Vorgabe des Juristen der Bauherrschaft konnten wir an einzelnen Stellen sogar dort auf Geländer verzichtet, wo die Stützmauern diesen Grenzwert leicht übersteigen. Falls hier jemand stürzt, hindern ihn die Bäume am Hinunterrutschen.

Dagegen haben wir die zerbrochenen Schwellen, die auf diesem ansteigenden Weg ­ (vgl. Nr. 4 auf der Karte) lagen, ausgetauscht und die Steigung angepasst. Dazu haben wir ein Geländer eingefügt, das die drei wichtigen Abgänge akzentuiert und sie von unten besser sichtbar macht. Der mit einer klaren Kante versehene Weg (vgl. Nr. 5 auf der Karte) ist nun hindernis­arm und kann in einen Plan für Sehbehinderte auf­genommen und über Apps aufgerufen werden.

Was haben Sie bei der Quellfassung (vgl. Nr. 6 auf der Karte) vorgefunden?

Das ursprüngliche Türchen war durchgerostet und wurde durch ein baugleiches Teil ersetzt. Die Oberfläche ist verzinkt wie bei den anderen neu zugefügten Metallelementen in der Anlage. Statt der Betonbasis fügten wir einen Sandsteinsockel aus dem französischen Jura ein – der gleiche Stein, aus dem der Topf ist. Durch den erneuerten Ablauf fliesst das Wasser unter dem Weg durch, verschwindet im Boden und strömt dann durch diesen in alte Sicker­röhrchen in Richtung Wasserbecken (vgl. Nr. 7 auf der Karte). An einer Stelle der Stützmauer am Teich leitet ein Lehmkeil das Hangwasser durch die Stützmauer. Moose werden hier wachsen, Quelltuff kann sich bilden, und eine optische Überraschung entsteht. In der Rückwand des Teichs sieht man jetzt, wie das Wasser oberhalb des Keils durch die Mauer ins Becken sickert. Der Teichboden ist als gestufte Betonplatte gegossen. Die ein Meter breiten Stufen sind zur Sicherheit für die Menschen. Für Kleinsäuger und Frösche sind kleine Rampen als Ausstiege seitlich im Beckenrand eingelassen.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 17/2022 «Einfache Landschaften».

Englische Anlagen, Bern

 

Landschaftsplanung
Büro Umland, Zürich

 

Bauherrschaft
Stadtgrün Bern

 

Bauleitung
Hänggi Basler Landschaftsarchitektur, Bern

 

Baustatik
Tschopp Ingenieure, Bern

 

Geotechnik
Geotest, Zollikofen

 

Baumeisterarbeiten
Schibler+Haldi, Frauenkappelen

 

Steinmetz
M&M Rothen Natursteine, Bern

 

Gärtnerarbeiten
Meyer Gärten, Belp

 

Kunstschlosserei
Roth Metallbau&Kunstschmiede, Thun

 

Metallbau
Hans Liechti, Signau

 

Geländer und Handläufe
Zaunteam Spahni, Laupen

 

Steinlieferant
Carlo Bernasconi, Bern

 

Forstingenieure
Hasspacher&Iseli

 

Auftragsart
Einladungsverfahren

 

Zeitraum Gutachten bis Abschluss Ausführung
2011–2021

 

Fläche
4.3 ha

 

Wege
1600 m instand gestellt

 

Kosten
2.6 Mio. Fr.

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