Bil­dung – wert­voll oder teu­er?

Schule Waidhalde, Kirche Wipkingen; Konzeptwettbewerb im selektiven Verfahren

Gratis ist nicht das Gleiche wie umsonst: Zur Schule gehen ist meist gratis, bei manchem aber auch umsonst. Wertvoll ist nicht das Gleiche wie teuer. Bildung ist wertvoll, aber müssen Schulräume deswegen teuer sein?

Publikationsdatum
13-04-2023

Die Idee ist ja bestechend: In eine nicht mehr genutzte alte Kirche – die auch noch aussieht, wie man sich Kirchen vorstellt – Schulräume einzubauen. Warme Mahlzeiten für die Kinder statt Abendmahl, Geschrei oder vielleicht eher Handytöne statt Kirchenorgel, Kollegen statt Konfirmanden.

In Zürich Wipkingen soll genau das geschehen. Die 1909 gebaute reformierte Kirche steht direkt neben der Schule Waidhalde und wird seit 2019 nicht mehr für Gottes­dienste verwendet. Der Pfarrhof wird bereits von der Schule genutzt.

Nun soll das Kirchgebäude selbst eine neue Funktion bekommen: Raum für Mittagsverpflegung (min. 90 m²) und Betreuung (min. 82 m²), ein Mehrzweckraum (min. 90 m²) und eine Bibliothek (min. 90 m²) sollen entstehen – reversibel und unter den Gesichtspunkten des Denkmalschutzes. Dabei steht bereits jetzt fest, dass nicht das gesamte Gebäude beheizbar sein wird – dies wäre energetisch zu aufwendig. Eine genau festgelegte Nutzungsdauer geht aus den Wettbewerbsanforderungen nicht hervor, nur ein vager Wunsch, das Ganze kostengünstig umzu­setzen – bei einem veranschlagten ­Budget von maximal neun Millionen Franken inkl. Mehrwertsteuer für den Baukostenplan 1–9.

Eine Frage der Verhältnismässigkeit

Neun Millionen für Innenausbauten, die eventuell in wenigen Jahren als ein Provisorium angesehen werden? Das ist, gelinde gesagt, recht üppig. Wohlgemerkt, im Projekt ist keine sündhaft teure Profiküche für die Verpflegung enthalten, nur eine Abwaschküche ist vorgesehen – das Essen für die 150 Schülerinnen und Schüler kommt von der bereits vorhandenen Schulküche nebenan. Als Gegenrechnung sei in den Raum gestellt: Für neun Mil­lionen Franken könnten 150 Schulkinder etwa 20 Jahre lang ein Mittagsmenu à 15 Fr. in einem Restaurant einnehmen – an jedem Schultag und ohne eine Ver­zinsung des Geldes einzurechnen. Kinder und deren Bildung sind wertvoll – das ist nicht zu diskutieren. Aber man kann sich manchmal des Eindrucks kaum erwehren, dass bei den Bauten in einigen Fällen etwas über das Ziel hinausgeschossen wird. Ob hier die Verhältnismässigkeit gewahrt ist, kann durchaus bezweifelt werden.

Den Projektverfassenden ist dies nicht vorzuwerfen; sie passen sich an die Vorgaben an und haben in diesem Fall ansprechende Lösungen vorgelegt.

Mise en scène

Die praktische Nutzbarkeit macht ein Erdgeschoss so wertvoll. Dies erkennen Vécsey Schmidt Architekt*innen aus Basel und ordnen hier alle geforderten Nutzungen an. Dadurch können sie einen zusätzlichen beeindruckenden Raum unter dem Kirchengewölbe freispielen, der unbeheizt im sommerlichen Halbjahr grosszügige Nutzungen er­möglicht. Die Brüstungen werden in diesen Raum miteinbezogen – sie sind prädestiniert für Zuschauerplätze bei Veranstaltungen unter dem Gewölbe. Der frühere Eindruck als Kirchenraum bleibt so unter dem Dach weiterhin erhalten und ist vielleicht sogar unmittelbarer erfahrbar.

Akari

Gänzlich anders sieht die Lösung von Hull Inoue Radlinsky Architekten aus Zürich aus. Sie verteilen die Nutzungen auf drei Stockwerke und setzen hierfür einen kompakten, freistehenden Körper in den Kirchenraum. Die Brüstungen werden von der Konstruktion mit transluzenter Hülle nicht tangiert. Auf ihnen können daher sommerliche Aufenthaltsflächen entstehen – mit Ausblick auf den baldachinartigen Neubau.

Forum

Der Name ist beim drittrangierten Projekt vom Zürcher Büro Merett Architektur Programm. Mittig im heutigen Kirchenraum bleibt ein offener Raum wie bei einem römischen Forum, der als Verbindung die beheizbaren Nutzflächen erschliesst. Diese sind seitlich unter den Emporen und zweigeschossig an den Enden des Hauptschiffs angeordnet. Daraus resultiert eine wie eine Orgel anmutende Konstruktion.

Dumbo und Elefant

Die beiden Projekte von Weberbrunner Architekten (Dumbo, 4. Rang) und der ARGE Ehrl Bielicky Architects / Schneider Türtscher Arch. (Elefant, 5. Rang) bezeichnen sich zwar als Dickhäuter, hinterlassen aber deutlich unterschiedliche Spuren. Präsentiert sich Dumbo als beinahe passgenauer, dreigeschossiger Einbau aus Holz mit transluzenten Polycarbonatplatten, setzt Elefant einen asymmetrischen, auf Baumstämmen gesetzten Körper in den Kirchenraum.

Vielfalt trotz Vorgaben

Unter dem Gesichtspunkt der doch recht einschränkenden Projektvorgaben ist es beachtlich, dass fünf grundverschiedene Konzepte es in die Rangierung schafften. Und noch bemerkenswerter erscheint, dass auch die übrigen, nicht rangierten Beiträge interessante, differenzierte Lösungen präsentieren. Dies spricht für eine eingehende Betrachtung und intensive Bearbeitung der Aufgabe durch die beteiligten Büros. Mögen auch die Schüler und Schülerinnen eine solche Sorgfalt bei der Nutzung der Räume an den Tag legen. Denn das Projekt ist weder eine Selbstverständlichkeit noch ein finanzieller Pappenstiel.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 11/2023 «Öfter als gedacht».

-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.

Auszeichnungen

1. Rang, 1. Preis: «Mise en scène»:
Vécsey Schmidt Architekt*innen, Basel
2. Rang, 2. Preis: «Akari»:
Hull Inoue Radlinsky, Zürich
3. Rang, 3. Preis: «Forum»:
Merett Architektur, Zürich
4. Rang, 4. Preis: «Dumbo»:
Weberbrunner Architekten, Zürich
5. Rang, 5. Preis: «Elefant»:
ARGE Ehrl Bielicky Architects/ Schneider Türtscher Arch., Zürich

FachJury

Ursula Müller, Vorsitz, Amt für Hochbauten, Zürich; Anna Flückiger, Architektin, Basel; Gian Trachsler, Architekt, Zürich; Stefan Gasser, Amt für Städtebau

SachJury

Gabriela Rothenfluh, Schulkreis Waidberg; Matthias Haag, Reformierte Kirchgemeinde Zürich; Benjamin Leimgruber, Immobilien Stadt Zürich

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