Bau­en im Be­stand – Schlüs­sel zur En­er­gie­wen­de

Swissbau 2014

Ist das Bauen im Bestand der eigentliche Schlüssel zur Energiewende? Eine Veranstaltung der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau an der Swissbau stärkte diese These mit nützlichen und teilweise erstaunlichen Forschungsresultaten.

Publikationsdatum
23-01-2014
Revision
25-08-2015

Dass Bauen im Bestand bald den grössten Teil der Bautätigkeit ausmacht, ist eine alte Prophezeiung. Das Schweizer Stimmvolk hat dem Trend mit dem Ja zum revidierten Raumplanungsgesetz zusätzlichen Schub verliehen: Gebaut wird künftig vor allem in bebauten Gebieten. Je dichter die Quartiere werden und je mehr Energiesanierungen das Gesicht der Gebäude verändern, umso dringender wird ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Bestand.

Langsam spricht es sich herum: Renovationen, die kulturelle Werte der Energieeffizienz opfern, sind nicht der nachhaltigste Weg. Denn Altbauten speichern Identität, Vertrautheit, Heimat, kulturelle Werte und graue Energie und tragen mit günstigen Räumen zur sozialen Nachhaltigkeit bei.

Um Potenziale im Bestand nutzen zu können, braucht es allerdings Verständnis für Altbauten und Kenntnisse über neuste Techniken der Energieeffizienz. Längst nicht alle Betriebe verfügen darüber, und Investoren wie Fachleute scheuen den Aufwand für massgeschneiderte Renovationskonzepte.

Umso verdienstvoller, dass die Forschungseinheit Holz- und Verbundbau der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau (BFH-AHB) Massnahmen erforscht, die energetischen wie denkmalpflegerischen Anforderungen genügen, und Werkzeuge erarbeitet, mit denen sich deren Effekte und Kosten vergleichen lassen. Am 22. Januar 2014 lud sie zu einer Vortragsreihe an die Swissbau. 

Fenster renovieren

Im Widerstreit zwischen Renditeerwartung und Denkmalpflege empfahl Dieter Schnell, Modulleiter Architekturtheorie an der BFH, beiden Seiten weniger missionarische Haltung und dafür mehr Innovation. Forschungsleiter Andreas Müller präsentierte neue Zahlen zum Effizienzvergleich von Sanierungsmassnahmen.

Konkreter wurde es in Barbara Wehles (Assistentin BFH-AHB) Beitrag zum Forschungsprojekt «Energetische Sanierung historischer Fenster»: Fenster werden oft ersetzt, wobei meist auch der Charme des Gebäudes verloren geht. Doch Fenster lassen sich energetisch ertüchtigen: Eine Glasebene wird aufgedoppelt, modernes Isolierglas eingesetzt, Dichtungen verbessert – die Möglichkeiten werden zahlreicher. Wärme-, Schall- und Luftdichtigkeit lassen sich wesentlich erhöhen, die Rahmen bleiben erhalten. Die Fachhochschule hat ein digitales Tool entwickelt, mit dem sich Effizienz und Kosten der möglichen Varianten berechnen und vergleichen lassen.

300 Jahre alte Passivfassaden

Überraschende Einblicke in seine private Forschung bot ein Gastreferent: Philipp Hostettler, Architekt in St. Gallen, hat sich auf das Renovieren von Altbauten und das Dämmen mit Zellulosefasern spezialisiert. In Altbauten findet und analysiert er traditionelle energiesparende Bautechniken. Seine Erkenntnis: Auch die Alten mussten sparen, und sie waren nicht dumm.

Ein Verdacht erhärtet sich: Die bekannte Kurve, die den Energiebedarf des Baubestandes nach Baujahr aufzeigt, ist bei den ältesten Bauten viel zu grob. Längst nicht alle Altbauten sind Energieschleudern. So zeigte etwa die Messung des Wärmeeintrags der nur 12cm dicken, aber von der Sonne geschwärzten Holzwände der Walserhäuser: Sie funktionieren als Passivfassaden. Heutige Normen behandeln jedoch eine Südwand im Tessin gleich wie eine Nordwand im Mittelland. Auch das ist zu grob und berücksichtigt wesentliche Kriterien nicht. 

Spürhund für Hohlräume

Philipp Hostettler mahnte zur Vorsicht mit heutigen Dämmtechniken, denn wir wissen nicht, wie sie altern. Er treffe 20-jährige Dämmungen an, die bereits saniert werden müssen. Alte Techniken dagegen seien sicher. Er finde intakte Bauten, die in 100 Jahren nie renoviert wurden - Beispiele echter Nachhaltigkeit. Zur energetischen Ertüchtigung sucht Hostettler einfache Methoden mit geringer Eingriffstiefe. Er plädiert dafür, nicht nur U-Werte zu messen, sondern Kaltluftströme zu unterbinden, die die Behaglichkeit stark beeinflussen und deren Einlassöffnungen bei Altbauten oft gar nicht gefunden werden.

Viel erreicht er mit dem Einblasen von Zelluloseflocken in Estrichböden, aber auch in die Hohlräume von Geschossdecken und Rollladenkästen, hinter Täferungen und mannigfache Abdeckungen. Es braucht dazu detektivisches Gespür, dafür sind die Massnahmen einfach. Die quasi chirurgischen Eingriffe sind günstig und schonen die Substanz.

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