Bal­krish­na Do­shi: fle­xi­ble und of­fe­ne Ar­chi­tek­tur

Die Ausstellung «Balkrishna Doshi – Architektur für den Menschen» im Vitra Design Museum zeigt eine Auswahl bedeutender Projekte aus der Zeit zwischen 1958 bis 2014. Doshi verfolgt das Ziel, Orte für Menschen und für Begegnungen zu schaffen. Lokale Traditionen sind dabei in Einklang mit den Grundsätzen der modernen Architektur verwoben.

Publikationsdatum
28-05-2019

«Wenn ich den Auftraggeber treffe, nehme ich mir Zeit, frage ihn, was er liebt, ob er gern unterwegs ist, befrage ihn zu seiner Familie, zu seinen Freunden. Ich will wissen, ob er liest und Musik hört – ich will ihn kennen lernen. Das Bauprogramm ist kein Thema, auch nicht das Budget oder die Termine. Ich nehme mir Zeit, brauche ein Jahr, um eine Lösung zu finden, ich arbeite frei, ohne Konzept. Ich kenne nun die Person und gestalte ein Haus, das ihm gefällt. Ich weiss das, weil ich ihn nun kenne und weil es eigentlich ein Haus für mich selber ist.»

Dies war die Antwort von Balkrishna Doshi auf die anlässlich der Ausstellungseröffnung von Philip Ursprung gestellte Frage nach den Grundsätzen seiner Arbeitsweise. Diese Haltung ist für ihn bezeichnend. Die Neugier auf seine Umgebung, auf Menschen und ihre Bedürfnisse treibt ihn an und bringt ihn zu seinen Entwürfen. Diese verbinden Einflüsse der Moderne des 20. Jahrhunderts mit den tradierten Bauweisen Indiens.

Das Grosse und das Kleine mit Respekt gestaltet

Die Retrospektive ist in vier übergeordnete Themen aufgeteilt: Bauten für die Bildung und das Lernen, Wohnsiedlungen und Wohnbauten, institutionelle Bauwerke und Stadtplanung. Ebenfalls dokumentiert ist sein eigenes Büro. Der Hauptraum entspreche einer Verdoppelung des Büros von Le Corbusier in Paris, erzählte Doshi.

In einem kleinen abgetrennten Raum ist ein Film zu sehen, in dem Balkrishna Doshi seine Herkunft aus einer hinduistisch geprägten Handwerkerfamilie erläutert, seine Arbeitsweise und sein Denken. An einer Stelle schildert er das Erlebnis, wie in der Werkstatt seines Vaters aus dem Holz eines Baums Türen, Fenster und Möbel entstanden.

Für Doshi ist das eine Metapher für den stetig stattfindenden Wandel. Er betonte, wie wichtig das immer wiederkehrende Verwandeln und Umwandeln ist, wie für ihn und sein Werk daraus das Neue entspringt, stetig und folgerichtig wie in einem fortwährenden Vorwärtsschreiten. Und aus den gezeigten Dokumenten geht hervor, wie seine Bauten – ob gross oder klein – mit gleichbleibender Sorgfalt überlegt, gestaltet und ausgeführt sind.

Der Weg über London und Paris nach Ahmedabad 

Der berufliche Werdegang Doshis ist durch glückliche Zufälle gezeichnet. Der 1927 in Puna geborene Balkrishna Vithaldas besuchte ab 1945 für zwei Jahre eine Malklasse in Mumbai. Er beschliesst, seine Studien in London fortzusetzen, nimmt als Gasthörer am 8. CIAM-Kongress in Hoddesdon (England) teil und vernimmt dort vom Auftrag für den Bau einer neuen Stadt in Indien, Chandigarh, den Le Corbusier erhalten hat. Doshi reist nach Paris, arbeitet acht Monate lang unbezahlt für Le Corbusier. Acht Monate Brot, Oliven und Käse, hat Doshi dazu lakonisch bemerkt. Aber das Darben trägt Früchte.

Ab 1954 ist Doshi wieder in Indien, überwacht Baustellen in Chandigarh, so etwa den Bau des Gouverneurspalasts. 1956 gründet er sein eigenes Architekturbüro «Vastu Shilpa». Das Büro nimmt seine Arbeit mit zwei Mitarbeitern auf und beginnt mit dem Projekt einer Wohnsiedlung für Textilarbeiter in Ahmedabad (1957–1960) und dem Bau des Indian Institute of Management mach dem Entwurf von Louis I. Kahn in Bangalore. Doshi firmierte dafür als sein Partner. Heute wird das Büro Vastu Shilpa Consultants von fünf Partnern geführt und beschäftigt bis zu 60 Mitarbeiter. Seit der Gründung wurden über hundert Projekte entwickelt.

Architektur für den Menschen

Der Titel der Ausstellung trifft den Kern des Schaffens von Balkrishna Doshi. Seine Projekte stellen stets die Bedürfnisse der Nutzer in den Mittelpunkt, lassen gleichzeitig mögliche Entwicklungen zu, und sie verbinden die indische Bautradition mit den Ideen der Moderne. Doshi schafft grosse und offene Räume mit breiten Durchgängen und immer wieder mit Treppen, Auf- und Abgängen zu Galerien und Fenstern. Der Campus des «Centre for Environmental Planning and Technology» (CEPT) in Ahmedabad kann dabei als Schlüsselprojekt gesehen werden. In über 40 Jahren realisierte er hier einige seiner bedeutendsten Bauwerke.

Doshi hat die Universität CEPT gegründet, hat sie gebaut und geleitet. Das ist etwas eminent Wichtiges in seinem Wirken und Leben. Über das CEPT knüpfte Doshi Kontakte zu Architekten weltweit, und das wiederum hatte Einfluss auf diese Universität.

Aufschlussreich auch die Wohnsiedlung Aranya in der Millionenstadt Indore. Hier sollen Obdachlose und Slumbewohner Unterschlupf finden und zu einem neuen Leben finden. Der Aufbau der Siedlung basiert auf einem ausgeklügelten System mit Baufeldern von je 30 Quadratmetern pro Haus und bietet mit Sockel, Sanitäreinrichtungen und Stromanschluss die notwendige Infrastruktur. Der Ausbau bleibt frei, gestalterische Vorschriften gibt es nicht. In gegenseitiger Absprache wuchern Balkone und Dachterrassen und formen das Ganze zu einer lebendigen Gemeinschaft.

Wesentlich war auch die Mischung der Bewohner: Hindus, Muslime, Christen unterschiedlicher Kasten und Einkommen, völlig untypisch für Indien. Damit ging auch in sozialer Hinsicht die Rechnung auf, nach zwanzig Jahren zählten die Bewohner zur Mittelschicht, führten kleine Handwerksbetriebe und Läden. Klassen- und Kastenschranken wurden unwichtig und bremsten nicht mehr das gesellschaftliche Miteinander.

Freiheit des Denkens und Gestaltens

Doshi drückt seine Haltung klar aus: «Als Architekt muss man nicht in Elementen denken. Wichtig ist, dass man ganzheitlich wirkt und alles überblickt. Auch daran denkt, was in einem, in zwei, in fünf, in zehn Jahren passiert. Häuser und Siedlungen müssen sich verändern und den Bedürfnissen der Menschen anpassen können. Umfassendes Denken, das ist Nachhaltigkeit.»

Balkrishna Doshi hat ausschliesslich in Indien gebaut. Seine Projekte sind nicht auf Anhieb als Bauten aus seiner Hand erkennbar. Eher das Gegenteil ist der Fall. Der Atelier- und Ausstellungskomplex «Amdavad Ni Gufa» (1994) zum Beispiel, der teilweise unter der Erde gebaut ist, trägt Kuppeln, die von ungelernten Handwerkern aus Abfallprodukten erstellt wurden und die in nichts mehr an seine am Brutalismus angelehnten Werke erinnern.

Die thematisch aufgebaute, durch Khushnu Panthaki Hoof kuratierte Ausstellung «Architektur für den Menschen» war zuerst in Neu-Delhi und Schanghai zu sehen. Rolf Fehlbaum von Vitra machte das Team des Design Museums darauf aufmerksam, und noch bevor Doshi mit dem Pritzker-Preis geehrt wurde, stand das Projekt für das Vitra Design Museum fest, die erste umfassende Ausstellung ausserhalb Asiens über diesen ausserordentlichen Architekten. 

Jolanthe Kugler hat die Schau gemeinsam mit Khushnu Panthaki Hoofan die örtlichen Gegebenheiten angepasst und im Gebäude von Frank Gehry in Weil am Rhein überzeugend inszeniert. Pläne, Fotografien, Modelle und begehbare Rauminstallationen machen sie zum Erlebnis und zu einer Reise mitten in die Architektur von Balkrishna Doshi.

Die Ausstellung ist noch bis 8. September 2019 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen.

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