Die Wie­der­be­le­bung der Di­no­sau­ri­er

Die Ausstellung «Suddenly Wonderful» in der Berlinischen Galerie feiert den Fortschrittsglauben der Technikmoderne in den 1970er-Jahren, und regt den Anschluss an die gegenwärtigen Architekturdebatte an.

Publikationsdatum
08-08-2023

Seit der jahrzehntelangen Amtszeit des Bausenators Hans Stimmann in der Nachwendezeit liegt ein Teppich aus steinernen Lochfassaden über der Stadt. Sicher, es hätte schlimmer kommen können. Aber Architekturgeschichte im Sinne einer kunsthistorisch erhellenden Epoche wurde damit nicht geschrieben. Immerhin ist das Gewebe locker genug, dass darunter einige Ikonen der Westberliner Imponierbauten der 1970er-Jahre überlebt haben: Im Wettstreit mit ostdeutschen Institutionen sind während des Kalten Kriegs grossformatige Bauten für Bildung, Forschung und Kultur entstanden, die der internationalen Bedeutung der halben Stadt als Wissenschaftsstandort Gewicht verleihen sollten.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Sommerserie «Hella in Berlin». TEC21-Redaktorin Hella Schindel wird für uns den Sommer über in loser Folge über Trouvaillen aus der deutschen Hauptstadt berichten.

Der politische Wille ermöglichte bizarre, zuweilen grössenwahnsinnige Bauten, die nie wirklich effizient waren, inzwischen durchwegs nicht mehr funktionieren und wegen ihrer verschwenderischen Grösse vom Abriss bedroht sind. Im Zuge des Nachdenkens über Wiederverwendung und Erhaltung von gebauten Strukturen sind sie wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Zwischennutzungen durch subkulturelle Veranstalter haben auch das Interesse der jüngeren Leute geweckt.

Erhalt ja, aber wie?

Der Berliner Senat hat verschiedentlich Ideenwettbewerbe zum Umgang mit den architektonischen Zeitzeugen veranstaltet und unterstützt nun diese Ausstellung, die Gelegenheit bietet, ältere Positionen und neu entwickelte Ideen zu studieren. Die Bandbreite erstreckt sich von künstlerischen Arbeiten wie den pseudo-seriösen Modellen von Tracey Snelling, hinter deren Fenstern kleine Filme ablaufen, bis zu ganz reellen Nutzungsideen zur Revitalisierung. Die schiere Grösse vom ICC-Kongresscenter oder dem sogenannten «Mäusebunker», den ehemaligen Zentralen Tierlaboratorien der Freien Universität Berlin, stärkt das Interesse an Wiederverwendung und die Problematik einer sinnvollen Nutzung gleichermassen. Der symbolhafte Charakter der Bauten rechtfertigt das erneute Nachdenken über ihren Schutz und Denkmalwert.

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Ein Vorteil der nicht so weit zurückliegenden Entstehungszeit sind die gut erhaltenen originalen Bauunterlagen: Filme, Collagen und expressive Zeichnungen mit dickem Filzestiftstrich illustrieren die radikalen Entwurfsabsichten aufs Schönste. Unter den neuen Positionen von 20 Berliner Architekturbüros sind Entwürfe von Graft, Barkow& Leibinger, Kleihues + Kleihues, Something Fantastic und Jürgen Meyer H. Obwohl sie in Sachen Mut zur Utopie nicht an die Originale heranreichen, ist durch ihre Visionen die Einbindung in die gegenwärtige Architekturdiskussion gelungen.

Die Ausstellung «Suddenly Wonderful» in der Berlinischen Galerie ist noch bis zum 18. September zu sehen.


Weitere Informationen:
berlinischegalerie.de

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