Der An­fang von et­was: die Spo­re In­itia­ti­ve

In Berlin-Neukölln fordert eine private Stiftung mit Veranstaltungen rund um das Thema der biokulturellen Vielfalt zum aktiven Miteinander auf. AFF Architekten aus Berlin und Lausanne haben dafür einen starken Stadtbaustein gesetzt.

Publikationsdatum
14-08-2023

Der Zweck dieser Stiftung ist nicht ganz leicht zu entschlüsseln – es ist ein Vorstoss in ein noch unbekanntes Terrain: Grob gesagt, geht es um das Bewahren und Weitergeben von ganzheitlichem Wissen rund um Kultur und Naturerfahrungen. Dabei sind praktische Kursangebote wie auch Forschungen und spirituelle Konversationen quer über Orte, Kulturen und Generationen hinweg eingeschlossen.

Das dafür neu gebaute Haus zeigt die unterschiedlichen Anforderungen in drei übereinandergestapelten Abschnitten: Während der ebenerdige Verteiler zu Projekträumen und einem Auditorium im Untergeschoss maximal transparent ist, schliesst sich darüber eine geschlossene Ausstellungsebene an. In der Fassade ist die Raumhöhe der «white cubes» durch die Verwendung von rezykliertem Klinker ablesbar. Zwei weitere Etagen beherbergen eine spezifische Bibliothek, Seminarräume, Büroräume und zwei Künstlerapartments: Diese Krone ist mit Flachformatziegeln versehen. Zusammen mit den regelmässigen Fensteröffnungen transportieren sie den kleinteiligeren Massstab des Innenraums.

Über einen Teil der Ausstellungsetage im 1. Obergeschoss erstreckt sich eine Dachterrasse, die durch eine Aussentreppe auch unabhängig von den Öffnungszeiten der oberen Räume zu erreichen ist. Terracottafarben pigmentierter Beton mit einem rauen Schalungsmuster hält die unterschiedlichen Fassadenteile des Baukörpers optisch zusammen.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Sommerserie «Hella in Berlin». TEC21-Redaktorin Hella Schindel wird für uns den Sommer über in loser Folge über Trouvaillen aus der deutschen Hauptstadt berichten.

Der öffentliche Raum als Schablone

Die städtebauliche Setzung zwischen einem berlinerisch-rotzigen urbanen Gefüge und einem Friedhofsgelände bot den Planenden einen Gestaltungsspielraum, den sie weidlich nutzten. Zusammen mit einem weiteren Neubau («Haus für Journalismus & Öffentlichkeit»), der ebenfalls von AFF Architekten geplant und bis Ende 2024 fertiggestellt wird, schmiegt sich das Volumen in die Verlängerung einer Blockrandbebauung und löst die klare Linie sowohl in der Höhe als auch in der Länge auf. Dem Anliegen entsprechend, einen möglichst zugänglichen Ort zu schaffen, wird der Hof zwischen den Neubauten zu einem Teil des öffentlichen Raums.

Auch im weiteren Verlauf weitet sich der Bürgersteig neben der stark befahrenen Strasse immer wieder auf. Auslöser für die Findung der baulichen Skulptur waren zwei Leuchtfeuermasten, die noch zum nahe gelegenen ehemaligen Flughafen Tempelhof gehören und unter Denkmalschutz stehen. Um sie herum hält der Neubau jeweils gebührend Abstand und lagert hier untergeordnete Zugänge in das Erdgeschoss an.

Bionik im Bau

Raumhohe Verglasungen lassen das weitläufige Foyer, in das demnächst ein Café einzieht, mit dem Aussenraum verschmelzen. Im Vorbeigehen fällt der Blick auf einen zentralen Betonkörper mit grossem Fenster, der einen innenliegenden Ausstellungsraum umschliesst. Wie eine Membran liegt das Foyer, das sich an mehreren Stellen öffnen lässt, zwischen dem öffentlichen und dem zwar häufig zugänglichen, aber doch geschützt liegenden Innenraum.

In der gleichen Semantik ist auch der Entwurf der Decke zu sehen, die zusammen mit den Bauingenieuren von Schnetzer Puskas entstanden ist: Hier erinnern die Betonrippen an ein mykotisches Geflecht, das den vernetzten Forschungsansatz der Stiftung auf kultureller und ökologischer Ebene versinnbildlicht.

Bewusster Umgang mit dem Material

Zugleich ermöglicht die Reduktion der Betonstärke entsprechend dem Kräftefluss einen sorgfältigen Umgang mit dem kritischen Baustoff. Auf den ersten Blick wirken die im Erdgeschoss vorherrschenden Materialien Beton, Aluminium und Glas wie ein Gegensatz zum zukunftsgerichteten Gedankengut der Bauherrschaft. Im Gespräch betont die Projektarchitektin die Bemühungen, möglichst rezyklierte und wenig schädliche Baustoffe zu verwenden. Mit dem hohen Gestaltungsanspruch und unter dem Zeitdruck der Ausführung war dies nicht immer umzusetzen.

Stattdessen lag der Fokus offensichtlich auf Materialien mit einer langen Lebensdauer, was besonders in den Innenräumen zu einer gediegenen Erscheinung beiträgt. Und die auffallend schönen Möbel unterschiedlicher Epochen, die durch die Bauherrschaft zusammengesammelt wurden, kommen in dieser Umgebung bestens zur Geltung.

Die verwendeten Materialien sind möglichst sparsam und so verbaut, dass man sie später entkoppeln und weiterverwenden kann. In einzelnen Bereichen ist die Zweitverwendung innerhalb der Baustelle gelungen und führt zu ungewöhnlichen Ergebnissen. So sind zum Beispiel die Schalungsbretter der Erdgeschossdecke als Unterkonstruktion eines Sonnenschutzes auf der Dachterrasse wiederzufinden. Überschüssige Mengen des pigmentierten Betons haben die Bauarbeitenden in Säcken aufgefangen. AFF Architekten interpretieren diese Betonkissen als so kunstvolle wie geeignete Sitzobjekte für den Aussenraum, wo sie jetzt auf Unterkonstruktionen aus Paletten stehen und eifrig genutzt werden.

Gebaute Wertschätzung

Der Übergang in das parkartige Friedhofsgelände ist offen und bildet teils durch Blickachsen, teils durch Integration bestehender Friedhofsmauern einen prägenden Teil der baulichen Figur. So spiegelt sich die Haltung gegenüber der Natur und ephemeren Kulturgütern, die der Initiative zugrunde liegt, in einzelnen Details wider.

In diesem wilden Teil der Stadt sind die Qualität der Materialien und der Architektur eine Überraschung. Sie vermitteln auf respektvolle Art das langfristige Engagement der Initiative für die übergeordneten Ziele, aber vor allem für die Aktivierung der unmittelbaren Nachbarschaft. Das vielsprachige Kursangebot richtet sich einerseits an die Schulen und Kinder im Stadtteil und ist kostenlos.  An den Wochenenden gibt es andererseits aber auch Workshops zu Lehmbau und Angebote vom Verein der Baufachfrauen. Das Haus ist so konzipiert, dass es für eine Entwicklung mit den Veranstaltenden und Teilnehmenden offen ist.

Neubau «Spore Initiative», Berlin

 

Bauherrschaft
Schöpflin Stiftung, Lörrach

 

Architektur
AFF Architekten, Berlin

 

Bauleitung
Sedeño Bauplanung, Berlin

 

Tragkonstruktion
Schnetzer Puskas International, Berlin

 

Landschaftsarchitektur
POLA Landschaftsarchitekten, Berlin

 

Planung TGA
W33 Ingenieurgesellschaft, Berlin

 

Lichtplanung
Licht Kunst Licht, Berlin

 

Produktdesign
Ilja Oelschlägel, Leipzig

 

Projektsteuerung
SMV Bauprojektsteuerung­, Berlin

 

Küchenplanung Café
Heike Laser, Berlin

 

Wettbewerb

10/2018; 1. Preis Realisierungswettbewerb als kooperatives Verfahren mit Ideenteil für Haus gemeinnütziger Journalismus

 

Verwandte Beiträge