An­re­gen­de Ge­gen­sät­ze in der Bau- und Lern­kul­tur

Wo lernen angehende Architektinnen und Architekten besser: in geschickt hergerichteten ehemaligen Industriehallen oder in einem wuchtig gestylten Neubau? Die Schweizer Fachhochschullandschaft ist an den Orten Muttenz und Winterthur mit Gebäuden von unterschiedlicher Intimität präsent.

Publikationsdatum
15-11-2018
Revision
18-11-2018

Forcierte Expressivität: Neubau der Fachhochschule Nordwestschweiz

Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik, Life Sciences und Soziale Arbeit, Pädagogische Hochschule und Studiengang Mechatronik der Hochschule für Technik – dass im jüngsten Neubau der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zusammenkommt, was zusammengehört, lässt sich schwerlich behaupten. Doch das Konglomerat an Ausbildungsgängen, das am Standort Muttenz zusammengepresst wurde, ist Resultat von hochschulpolitischem Aktionismus. Und von freundeid­genössischem Föderalismus, der einen Baselbieter Standort neben Basel, Olten und Windisch unverzichtbar macht.

Auf dem Weg vom Bahnhof Muttenz zum neuen FHNW-Campus im Basler Vorort passiert man das dunkel-rigide Strafjustizzentrum (Kunz und Mösch Architekten, Basel, 2014) und suburbanes Wohngebiet: Lebendige Stadtlandschaften sehen anders aus. Vor diesem Hintergrund wird die Strategie von pool Architekten verständlich, mit der sie die Jury im Wettbewerb vor sieben Jahren überzeugt haben: Der ehemals gewerblich genutzte Perimeter zwischen Wohnquartier und Bahn­­­trassee ist nicht grossflächig überbaut, sondern nimmt nur das zum kompakten Volumen komprimierte Raumprogramm auf.

Dadurch bleibt Platz für einen grossen, von Studio Vulkan gestalteten grünen Park, hinter dem der Hochschulneubau nahezu in Würfelform aufragt: 64 m breit, 72 m lang, 64 m hoch. Platz genug für 3700 Studierende und 870 Mitarbeitende, und alles in einem Haus. Kein Campus mithin, sondern ein Solitär dank umlaufender Fassade, ein Monument. Und, so bleibt zu ­hoffen, dank genügend kritischer Masse in Zukunft auch ein Inkubator für das umliegende Quartier.

Die feingliedrige Rasterstruktur der 14-geschossigen Fas­saden aus Glas und anodisiertem ­Aluminium zeigt eine gewisse Zurückhaltung und verweigert sich der allzu grossen Geste, gibt aber Aufschluss über den inneren Aufbau des Gebäudes. Über dem allseits verglasten Eingangs­geschoss sind zwei geschlossene Ebenen angeordnet, hinter denen sich die Hörsäle verbergen. Das ­vollflächig verglaste dritte Ober­geschoss bildet eine Zäsur, die zu den neun Normgeschossen mit ihrer engen Fensterreihung über­leitet. Ein Technikgeschoss bildet den oberen Abschluss. Ebenfalls ablesbar an den Fassaden sind die Vertikalen der vier Erschliessungsschächte. Sie bilden die Tragstruktur des als Geviert um ein zentrales Atrium organisierten Gebäudes.

Die Zurückhaltung weicht forcierter Expressivität, sobald man im Atrium steht. Sechs Treppenläufe aus Beton sind in unterschiedli­chen Winkeln quer durch das Atrium ­geführt und verbinden das Erd­geschoss mit den beiden Hörsaal­geschossen und der darüber be­findlichen Bibliotheksebene – ein räum­liches Erlebnis ohne Vergleich in der Schweiz. Der eigentliche Clou, der den Sog in die Höhe intensiviert: Über dem dritten Obergeschoss verändert sich die Logik des Gebäudes: Ein Mittelriegel tritt hinzu, der ingenieurtechnisch als stützenfreie Brückenkonstruktion die Mitte des Atriums überspannt.

Das Atrium spaltet sich auf in zwei breit gelagerte Lichthöfe, um die herum sich die Institutsbereiche abwickeln, mit den Büros im Westen und Osten und den studentischen Arbeitsbereichen im Norden und Süden sowie im Mittel­reiter. In den drei unteren Ebenen des Mittelreiters finden sich Labors, ganz oben lädt ein offenes Dachatrium zur Pause.

Besonders eindrücklich sind die in die Lichthöfe ausgestülpten Wendeltreppen, als Skulptur für sich selbst und als Erlebnis bei deren Nutzung: Man blickt nicht nur auf die Innenfassaden ringsum, sondern auch in die schwindelerregende Tiefe. Hier steht, leicht aus dem Zentrum verschoben, die 11 m hohe Stele «Dreamer» von Katja Schenker, die das Thema der Monumentalität aufgreift und aus einem Konglomerat von Materialien eine Oberflächenstruktur geschaffen hat, die zwischen Organischem und Anorganischem wechselt. (Hubertus Adam)

ZHAW Winterthur: ­aufgestockt, angedockt und verdichtet

Einen Gegenpol zum kompakten FHNW-Standort in Muttenz bildet die Bauschule der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) am Lagerplatz in Win­ter­thur. In mehreren ehema­ligen In­dustriehallen wird ein ­breites Repertoire zur Umnutzung und Ertüchtigung durchexerziert. Auch der jüngste Umbau von gadolaringli ­Architekten beweist: Je ­weniger man tut, umso inspirie­render wird es für die Nutzer; angehende Architek­tinnen und Architekten finden viel Luft und Atmosphäre zum Studieren.

Der Standort ist eines der grössten Transformationsareale der Schweiz: Vor 184 Jahren begann der Metallbaukonzern ­Sulzer, sich in der Nähe des Hauptbahnhofs Winter­thur auszubreiten. Inzwischen ist vieles davon Industrie­geschichte; in den ehemaligen Hallen und Werkstätten siedeln sich andere produktive Institutionen an. So haben sich hier mehrere ZHAW-­Abteilungen einquartiert. Die Ausbildungs- und Unterrichtsräume des Departements Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen finden Platz in der einstigen Kesselschmiede; die 120 m lange, 40 m breite und 14 m hohe Halle 180 wurde mit reduziertem Aufwand umgenutzt.

Letztes Jahr wurde die Ausweitung zum zusammenhängenden Komplex «Haus Albert Frey» abgeschlossen. Dieser Name erinnert an den aus Winterthur stammenden Architekten und Wegbegleiter von Le Corbusier. Die Anpassung und Umnutzung der Erweiterungsbauten respektieren abermals den Charakter des Industriebestands.

Die Haupthalle mit der typischen Backsteinhülle und dem Sheddach bildet mit zwei rund 70 Jahre alten, teilweise turmartigen Anbauten einen zusammenhängenden Raumkomplex; darin sind Hörsäle, Seminar- und Ausstellungsräume, Büros, ein Archiv sowie die Mensa untergebracht. Die Atelierplätze profitieren von viel Tiefe und Luft nach oben; Nutzungseinheiten lassen sich bei Bedarf mit Vorhängen verkleinern. Weiterhin bestechen die Räume durch ihre rohe Robustheit und eine grosszügige Wirkung. Das interne Gefüge, das die Räume multi­funktional vereint, ist punk­tuell ­aufgestockt, intern verdichtet so­wie geschickt angedockt; teil­weise ­ergänzte Galerie- und Zwi­schen­geschosse fügen sich zu einer horizontal und vertikal durchgängigen Raumabfolge.

Die architektonische Trans­forma­tion begnügt sich mit mikro­invasiven baulichen Eingriffen. Die Einbauten beschränken sich auf zwei Zusatzgeschosse und zwei Treppenanlagen. Eine davon befindet sich im Gebäudekopf, dem knapp 20 m hohen einstigen Kohleturm. Dieser dient neuerdings nicht nur zur Erschliessung, sondern ist auch mit Service-, Archiv- und Restaurationsräumen belegt. Sechs Beton­trichter ragen nun spektakulär und ikonisch von oben in die helle Mensa hinein. Die Wände sind mit gros­sen Fenstern durchsetzt. Noch eindrücklicher ist der Blick nach ­aussen im Dachgeschoss, zwei Etagen höher. Dieser Platz ist mit einem Grossraumbüro der Schul­leitung belegt.

Die baulichen und technischen Verbesserungen der Akustik, des Komforts und der Gebäudesicherheit ordnen sich mehrheitlich dem re­duzierten Ausbaustandard unter. Ledig­lich fensterlose Nebenräume sind mechanisch belüftet; ansonsten wird der Luftwechsel in den Arbeits- und Schulräumen be­darfs­orientiert über automatische Fensteröffner organisiert. Im Gegensatz dazu hinterlässt der Wärmeschutz fast die einzigen sichtbaren Spuren einer Gebäudeerneue­rung.

Der Sockel der Aussenfas­saden, bereits im Ausgangszustand mit zweckmässigem Charakter, ist mit einem Aussen-Wärmedämmverbundsystem abgedichtet worden. Die kleinteilig gerasterten, einfach verglasten Scheiben hat man be­lassen, aber Wärmeschutzfenster vorgesetzt. Und der über die Haupthalle ragende Kohleturm ist eben­falls neu eingepackt; die Beplankung aus ­gewelltem Profilblech erzeugt weiterhin eine industrielle Wirkung.

Die Bauherrschaft will wei­tere ­ehemalige Sulzer-Bauten auf vergleichbare Weise baulich anpassen. Das neueste Projekt soll aber in eine Blechhülle eingepackt werden, ­ die ein Recyclingprodukt ist und aus einer Bauteilbörse stammt.


Was wirkt inspirierender?

Die Fachhochschulen in der Schweiz trauen sich architektonisch einiges zu und verfügen offensichtlich über die geistigen und materiellen Ressourcen, ihre dezentrale Präsenz selbstbewusst zu markieren. Die Re­­sultate können, wie die beiden Por­träts zeigen, kaum bestechender, aber auch kaum gegensätzlicher ausfallen. In Mut­tenz wird ein makellos komponiertes Haus zelebriert; in Winterthur rich­tet man sich in offenen, veränderlichen Strukturen ein. Wie sehr das Fertige oder das Unfertige die Kreativität der Studierenden inspiriert, ist ein Prozess, den es nicht nur mit einem Augenzwinkern zu beobachten gilt.
(Paul Knüsel)

FHNW Muttenz – am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft
Kanton Basel-Landschaft
 

Architektur
pool Architekten, Zürich
 

Bauingenieur
Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich
 

Gebäudetechnik
Kalt + Halbeisen Ingenieurbüro, Basel
 

Gebäudeautomation
Drees & Sommer, Zürich
 

Kunst am Bau
Katja Schenker, Zürich
 

Daten
Energiebezugsfläche: 5300 m2
Energiekennzahl: 60 kWh/m2
Umbauzeit: 2016–2018

ZHAW Winterthur, Haus Albert Frey (Hallen 180, 189, 191) – am Umbau Beteiligte
 

Bauherrschaft
Stiftung Abendrot, Basel
 

Architektur
Hallen 189/191: gadolaringli architekten, Zürich, mit MS2B, Dübendorf (Halle 180: Mäder + Mächler Architekten Zürich); Eppler, Maraini, Schoop, Baden
 

Bauphysik
bws Bauphysik, Winterthur (Hallen 189/191)

Mehr zum Projekt im Sonder­heft «Immobilien und Energie Nr. 1: Strategien im Gebäudebestand – Kompass für institutionelle Investoren».

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