Bam­bus statt Stahl

An der Professur für Architektur und Konstruktion von Dirk E. Hebel am ETH Future Cities Laboratory FCL in Singapur werden Wege gesucht, die begrenzte Verwendbarkeit von Bambus als Konstruktionsmaterial mit neuartigen Bambus-Verbundwerkstoffen zu verbessern. Dadurch sollen neue Anwendungsbereiche für Bambus erschlossen werden – insbesondere in der Betonindustrie.

Publikationsdatum
22-08-2013
Revision
30-10-2015

Bambus wird seit Jahrhunderten rund um den Globus als vernakulärer Baustoff genutzt. Viele seiner technologischen Eigenschaften wie die hohe Zugfestigkeit sind jenen moderner Hightech-Werkstoffe ebenbürtig, preislich ist er konkurrenzlos. Auch sein rasches Wachstum und die Fähigkeit, grosse Mengen CO2 aus der Atmosphäre zu binden, machen ihn für das Bauwesen attraktiv. Seit Jahrzehnten versucht die Baustoffforschung, das Potenzial von Bambus für das Bauwesen zu erschliessen und ihn von einem lokal verwendeten Material in ein industrielles Erzeugnis zu transformieren. Die wenig erforschten technologischen Materialeigenschaften schränken aber den Einsatz von Bambus in vielen Bereichen bis heute ein. Insbesondere seine Dauerhaftigkeit ist nicht immer ausreichend. Auch als Bewehrung im Beton schien er bisher nicht geeignet. Die Baustoffforschung sucht deshalb neue Wege für die technische Nutzung dieses Naturprodukts. 

Bambus und Beton – eine unbeständige Verbindung

Das Interesse an Bambus als industriell nutzbarem Baustoff geht auf das Jahr 1914 zurück, als Prof. H. K. Chow am MIT Boston erstmals die Eignung von dünnen Bambusstangen und -streifen als Bewehrungen für Beton prüfte. Aber erst 1950 startete Prof. H. E. Glenn am Clemson Agricultural College of South Carolina eine ambitionierte und umfangreiche wissenschaftliche Forschungstätigkeit zur Eignung von natürlichem Bambus als Bewehrung in Betonbauwerken.1 Mit seinem Forschungsteam baute er auf früheren Erfahrungen mit bambusbewehrten Betonbalken auf und erstellte zahlreiche Gebäude im Massstab 1 : 1. Er verwendete ausschliesslich dünne Bambusstangen und -streifen (die Durchmesser lagen in der Grössenordnung von Stahlbewehrungen) und demonstrierte damit die prinzipielle Machbarkeit von Bambusbewehrungen. Allerdings wiesen sie im Vergleich zu Stahlbewehrungen grosse Nachteile, teilweise auch völliges Ungenügen auf bezüglich Elastizitätsmodul, thermischem Ausdehnungskoeffizient, Schrumpf- und Quellverhalten sowie Widerstand gegen Insekten- und Pilzbefall. Die mit unbehandeltem Bambus bewehrten Tragkonstruktionen versagten einige Zeit nach ihrer Erstellung, weil sich der Bambus vom umgebenden Beton löste. Nach diesen niederschmetternden Ergebnissen kam die Forschungstätigkeit weitgehend zum Erliegen. 

Fast 40 Jahre später initiierte Prof. Khosrow Ghavami an der Pontificia Universidade Católica in Rio de Janeiro eine Versuchsreihe zur Bestimmung der mechanischen Kennwerte verschiedener Bambusarten. Damit sollten die am besten als Bewehrung für neu entwickelte Leichtbau-Betonbalken geeigneten Bambussorten eruiert werden.2–4 Es gelang zwar, die Tragkraft der Balken damit deutlich zu erhöhen, doch das Langzeitverhalten von Bambus in Beton wurde weiterhin nicht untersucht. Neben den durch die unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten bedingten Trenneffekten muss auch berücksichtigt werden, dass Bambus als natürlicher Baustoff im Kontakt mit Frischbeton Wasser aufnimmt und quillt. Die Volumenzunahme des Bambus bewirkt die Bildung von Mikrorissen in der Betonmatrix. Im Lauf der Zeit dringt hier Feuchtigkeit ein und ermöglicht biologische Angriffe aus der Umgebung auf den unbehandelten Bambus.

ETH-Forschung in Singapur

Angesichts der beschriebenen Einschränkungen könnte die in Südchina in den letzten Jahrzehnten entwickelte «Woven Strand Bamboo»-Technologie (WSB) eine Alternative aufzeigen. Die ursprünglich als Bodenbeläge für bewitterte Terrassen eingeführten Produkte zeichnen sich durch gute Wasser- und UV-Beständigkeit aus – Eigenschaften, die auch Ziele der Forschung am FCL sind. Dank einer weiterentwickelten Technologie am FCL Singapur wird Bambus zum Verbundwerkstoff, der die hervorragenden physikalischen Eigenschaften nutzbar macht, ohne gravierende Nachteile aufzuweisen. Bei der Herstellung des Verbundmaterials werden natürlich verarbeiteter Bambus und organischer, formaldehyd- und VOC-freier Klebstoff zu einem wasserbeständigen, nicht quellenden und äusserst langlebigen Werkstoff vereinigt. 

Im Gegensatz zum südchinesischen Verfahren klärt die Forschung in Singapur sanftere Methoden für die Behandlung des Bambus ab. Um die ursprünglichen Eigenschaften des Bambusgrases zu erhalten, muss sichergestellt werden, dass die Fasern und die Zellstruktur des Bambus während des Verarbeitungsprozesses intakt bleiben. Um dies zu untersuchen, ist ein Forschungslabor, das Advanced Fiber Composite Laboratory (AFCL) in Singapur, eingerichtet worden. Es beinhaltet sowohl Produktions- als auch Prüf- und chemische Analysekomponenten, um die Forschung in schnellen Rückkopplungsintervallen vorantreiben zu können. 

Ermutigende erste Ergebnisse

Erste Versuchsergebnisse in Singapur zeigen, dass die für das Werkstoffverhalten entscheidenden Faktoren im Labor gesteuert werden können. Ein Forschungsziel ist die Etablierung eines schonenden Produktionsprozesses im Industriemassstab, um Beschädigungen oder Zerstörungen einzelner Bambuszellen oder -fasern zu verhindern. Das ist wichtig für die Zugfestigkeit, neben der thermischen Ausdehnung die entscheidende Werkstoffeigenschaft für den Einsatz als Betonbewehrung. Besondere Aufmerksamkeit wird auch den Oberflächeneigenschaften der Bambusfasern in Verbindung mit Klebstoffen gewidmet. Hier gilt es, sowohl adhäsive (zwischen Komponenten) als auch kohäsive (innerhalb der Komponenten) Eigenschaften zu verstehen und zu verbessern. 

Der Klebstoff ist ebenfalls in die Untersuchung einbezogen. In Zusammenarbeit mit einem europäischen Hersteller von chemischen Baustoffen werden geeignete Klebstoffe für verschiedene Anwendungen evaluiert. Im Vordergrund der Untersuchung stehen die Wasser- und Bakterienbeständigkeit, die thermische Ausdehnung, das Brandverhalten und das Potenzial für die Produktion im grossen Massstab. Ein multidisziplinäres Team aus Ingenieuren, Chemikern, Werkstoffwissenschaftlern und Architekten geht diesen Fragen nach. Weltweit sind rund 1400 Bambusarten mit sehr unterschiedlichen Werkstoffkennwerten bekannt. Eine Aufgabe des Forschungsteams ist daher auch die Entwicklung von Normen und Standards für die Durchführung der Arbeiten unter wissenschaftlichen Bedingungen. 

Globale Perspektiven für Bambus

Wenn die Forschung in Singapur an einem neuen Bambuswerkstoff ihre Ziele erreicht, kann sie eine Technologie auf der Grundlage einer weit verbreiteten natürlichen Ressource zur Verfügung stellen. Heute wird Bambus zu einem Bruchteil der Kosten von Stahl gehandelt. Allein in Südostasien ist das Potenzial für die Herstellung von Bambus-Verbundwerkstoffen – unter Einbezug aller mit Bambus bewachsenen Flächen – rund 25-mal grösser als der aktuelle Bedarf an Baustahl.5 Zudem ist diese erneuerbare Ressource für ihre grosse Kapazität als Kohlenstoffspeicher bekannt. Sie kann deshalb, insbesondere wenn man die Energieeinsparung bei der Produktion im Vergleich zu Stahl mit berücksichtigt, eine wichtige Rolle bei der weltweiten Senkung der CO2-Emissionen spielen. Die Technologie an sich ist als «low-tech» mit injizierten Hightech-Kenntnissen und -Komponenten zu bewerten. Sie kann daher leicht in Regionen mit natürlichem Bambusbestand, die häufig in Entwicklungsländern liegen, eingerichtet werden.

Dank ihres tropischen Klimas könnten diese Länder einen alternativen Baustoff produzieren und sich von der Last massiver Stahlimporte befreien. Der Aufbau lokaler Wertschöpfungsketten kann auch die Bindungen zwischen städtischen und ländlichen Gebieten stärken und alternative, auf erneuerbaren Ressourcen beruhende Technologien als Schlüsselindustrien in Entwicklungsregionen installieren.
Als Ansatz des «umgekehrten Modernismus» könnte der sogenannte «Süden» für einmal die treibende Kraft hinter einer technologischen Entwicklung sein und die erzeugten «grünen» Güter in den sogenannten «Norden» exportieren. In diesem Sinn versteht sich das FCL als transdisziplinäres, auf urbane Nachhaltigkeit im globalen Rahmen fokussiertes Forschungszentrum. 

Anmerkungen
1 Oscar Hidalgo López, Bamboo. The Gift of The Gods. Bogotá 2003.
2 Khosrow Ghavami, «Ultimate load behaviour of bamboo-reinforced lightweight concrete beams», in: Cement and Concrete Composites 17 (1995), S. 281–288.
3 Khosrow Ghavami, «Cement composites reinforced with bamboo and vegetable fibers». Conference on Concrete and Development, Teheran 2001.
4 Khosrow Ghavami, «Bamboo as reinforcement in structural concrete elements», in: Cement and Concrete Composites 27 (2005), S. 637–649.
5 Dunkenberg, K., «Bamboo as Building Material», IL 31, Institut für leichte Flächentragwerke, Stuttgart 1985.

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