«Was über die rei­ne Funk­ti­on hin­aus­geht, bleibt dem Zu­fall über­las­sen»

Interview mit Andreas Sonderegger, Obmann des Bundes Schweizer Architekten BSA Zürich, und Daniel Ménard Contratto, Präsident der Sektion Zürich des SIA

Baufachverbände des Kantons Zürich suchen das Gespräch mit den Behörden. Was sie erreichen wollen, erläutern die Sektionspräsidenten des SIA und des BSA. Mit Sorge beobachten sie, dass die öffentliche Hand ihre Kompetenz als Bauherrschaft vermehrt abgibt – in der ganzen Schweiz.

Publikationsdatum
12-02-2015
Revision
05-10-2015

TEC21: In Zürich arbeiten Planer­verbände unterschiedlicher Disziplinen zusammen, um den Dialog mit den Behörden zu intensivieren. Warum?
Daniel Ménard: Die neun Verbände – SIA Winterthur und Zürich, BSA, usic, SVI, fsu, fsai, BSLA und STV – möchten ihre Kompetenz gebündelt einbringen. In der Konferenz der Baufachverbände sind sich die Planerinnen und Planer der verschiedenen Fachgebiete näher gerückt, etwa bei der Diskussion für die Vernehmlassung der Bau- und Zonenordnung der Stadt Zürich oder des Kantonalen Richtplans.
Andreas Sonderegger: Wir engagieren uns nicht nur fachlich, sondern auch politisch. Im Kanton Zürich zeichnet sich eine bedenk­liche Entwicklung ab. Der kantonalen Baudirektion sollen Kompetenzen entzogen werden – mit der Folge, dass es keine Gewähr mehr gäbe, dass die Qualitätsstandards bei der Vergabe, Planung und Realisierung von öffentlichen Bauten erfüllt werden.

Was geht konkret vor?
Sonderegger: Die Gesundheits- und die Bildungsdirektion möchten ihre Bauten zunehmend selbst erstellen. Das stellen wir infrage. Als Planer setzten wir uns für professionell geführte, saubere Verfahren ein, für ein funktionierendes Wettbewerbswesen und für eine zuverlässige Qualitätssicherung. Gerade bei öffentlichen Bauten ist das zentral. Die Baudirektion verfügt über die nötigen Strukturen und Kompetenzen. Bei den anderen Direktionen dagegen sind die entsprechenden Strukturen schlicht nicht vorhanden – was nicht erstaunt, da ihre Kompetenzen anders gelagert sind.

Beschränkt sich dieses Problem auf den Kanton Zürich?
Sonderegger: Nein, Ähn­liches ist in der ganzen Schweiz zu beobachten. Ein häufiges Defizit bei öffentlichen Bauten ist die Betreuung der Nutzer: Wie professionell werden ihre Bedürfnisse evaluiert, priorisiert und umgesetzt? Es sind Prozesse im Gang, um dies zu verbessern, etwa im Gesundheitswesen. In den letzten Jahrzehnten haben die Baubehörden oft einfach umgesetzt, was die Gesundheitsbehörden bestellt hatten; heute stehen die Kantone unter Spardruck und schauen genauer hin. Doch nur ein Kostendach einzuführen reicht nicht. Es gilt, den ganzen Prozess professionell zu steuern.
Ménard: Die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW ist ein gelungenes Beispiel: Es gab einen Staatsvertrag zwischen den vier beteiligten Kantonen, mit verbindlichen Vorgaben für jeden über Programm und Kosten.
Sonderegger: Im Gegensatz dazu steht das Hochschulquartier in Zürich, wo sich Bauten des Universitätsspitals, der ETH und der Universität konzentrieren. Das Gebiet soll verdichtet werden, und das wirft Probleme auf. Ein prominenter Fall ist das geplante Herzzentrum des Unispitals: Wenn das Bedürfnis danach nicht erst in letzter Minute angemeldet worden wäre, hätte man vielleicht einen geeigneten Standort gefunden. Nun aber soll ein denkmal­geschützter Park geopfert werden, weil es offenbar keine Alternative mehr gibt.

Stimmt der Eindruck, dass die öffentliche Hand häufig unter Zeitdruck reagiert, anstatt vorausschauend zu agieren? Braucht es eine langfristigere Planung?
Wer müsste dafür aktiv werden 

Sonderegger: Grundsätzlich finden wir, dass das Bauen bei den Profis bleiben soll. Im Kanton Zürich ist das die Baudirektion. Es macht wenig Sinn, wenn die anderen Ämter eigene Bauab­teilungen als Parallelstrukturen aufstellen. Vor allem wäre es zeitraubend und unökonomisch.

«Wenn ein grosser Bauträger wie der Kanton Zürich den Standpunkt einnimmt, dass er nicht mehr über die nötigen Mittel verfügt, um selbst zu bauen, kommt das einer Kapitulation gleich.»

Allgemein scheint die öffentliche Hand immer weniger daran interessiert, Bauten zu realisieren. Stattdessen mietet sie sich in private Bauten ein. Deren Eigentümer sind zwar bereit, die Bauten an die funktionalen Bedürfnisse der Mieter anzupassen. Was sie dagegen gezielt nicht berücksich­tigen, ist die identitätsstiftende Funktion der Gebäude. Weil diese nach Ablauf des Mietvertrags möglicherweise anders genutzt werden, dürfen sie nicht nach dem aussehen, was sie sind, zum Beispiel nach einer Hochschule, sondern möglichst neutral. Das Ergebnis sind Bauten, die im engsten Sinn des Worts nichtssagend sind.
Sonderegger: Das stimmt leider. Ein Beispiel ist die Zentralbibliothek der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW in Winterthur. Dieser Bau ist für den Campus von vitaler Bedeutung; trotzdem tritt der Kan­ton nicht als Bauherr auf. Der Eigentümer ist ein General­unternehmer, der den Umbau auch erstellt hat. Als Privater war er nicht verpflichtet, einen Wettbewerb durchzuführen, und hat einen Direktauftrag vergeben.
Ménard: Die Konferenz der Planerverbände hat vor diesem Vorgehen gewarnt, ohne Erfolg.
Sonderegger: Wenn ein grosser Bauträger wie der Kanton Zürich den Standpunkt einnimmt, dass er nicht mehr über die nötigen Mittel verfügt, um selbst zu bauen, kommt das einer Kapitulation gleich.

Was können Fachverbände tun?
Ménard: Stellung beziehen und betonen, dass die Mehrheit der Fachleute diese Haltung ablehnt. Wir sind nicht auf Konfrontation aus, aber wir haben eine Meinung, die wir begründen können, und möchten unsere Argumente in die Diskussion einbringen. Wir versuchen, eine Partnerschaft zwischen der öffentlichen Hand und den Planerverbänden zu etablieren.

Woher kommt die Tendenz, wichtige und repräsentative Aufgaben wie den Bau von Bildungsinstitutionen an Private zu delegieren?
Ménard: Grundsätzlich kann man fragen: Was ist ein Staat, und was sind seine Aufgaben? Die finanzielle Realität ist aber, dass der öffentlichen Hand oft schlicht die nötige Liquidität fehlt, um Immobilien selbst zu erwerben.

«Indem der Staat zentrale Bauaufgaben aus der Hand gibt, drückt er doch aus, dass er baukulturelle Aspekte als sekundär einstuft.»

Hat sie in fetten Jahren zu wenige Reserven gemacht?
Ménard: Ja. Deswegen ist sie jetzt auf Private angewiesen, um die Finanzierung ihrer Bauten zu sichern, und bezahlt jahr­zehntelang hohe Mieten. Für die Privaten, meist grosse General­unternehmer und Immobilienfirmen, ist das ein ausgezeichnetes Geschäft: Zum einen sichern sie sich den Bauauftrag, zum anderen erzielen diese Immobilien eine gute, stabile Rendite.
Sonderegger: Das Interesse der Privaten, Geschäfte zu machen, ist völlig legitim. Ich sehe das Problem eher bei der öffentlichen Hand. Indem der Staat zentrale Bauaufgaben aus der Hand gibt, drückt er doch aus, dass er baukulturelle Aspekte als sekundär einstuft. Ihn interessiert nur, dass die funktionalen Anforderungen erfüllt sind; was darüber hinausgeht, bleibt zu oft dem Zufall überlassen. Das hat in Zürich zu guten Bauten wie dem Toni-Areal geführt, aber auch zu fragwürdigen Ergebnissen wie dem Wunschprogramm der Institutionen für den Masterplan des Hochschulquartiers – und dem entsprechend zu erwartenden politischen Hickhack.

«Es gibt ein kultiviertes Publikum, das gute Architektur schätzt; nur Geld dafür ausgeben will es kaum.»

Warum diese Beschränkung auf das rein Funktionale? So schlecht geht es der Schweiz nun auch wieder nicht, dass man auf jeglichen kulturellen Anspruch verzichten müsste.
Sonderegger: Dieser Trend ist international: Alle Lebensbereiche werden derzeit ökonomisiert. Jeder Mehraufwand, jede zusätzliche Investition muss durch besseres Funktionieren gerechtfertigt werden. Das Problem ist, dass ein kultureller Mehrwert kaum quanti­fizierbar ist und als Argument ausscheidet; man muss immer einen funktionalen Gewinn nachweisen, um eine gestalterische oder städtebauliche Verbesserung durchzubringen.
Ménard: Die Bereitschaft, kulturelle Werte anzuerkennen, ist kaum vorhanden. Darum will auch fast niemand darin investieren. Zum Beispiel fällt auf, dass Wohnungen, die von berühmten Architekturbüros entworfen wurden, zwar schneller verkauft werden als andere, aber nicht teurer.«Es gibt ein kultiviertes Publikum, das gute Architektur schätzt; nur Geld dafür ausgeben will es kaum. 
Es ist auch bezeichnend, dass die Baukunst in der Kulturbotschaft des Bundesrats lang gar nicht vorgekommen ist. Der SIA hat erreicht, dass sich das ändert, aber die gesellschaftliche Anerkennung für den kulturellen Beitrag der Baufachleute ist noch lang nicht so, wie sie aus unserer Sicht sein sollte. 

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