«Ei­ne rei­ne Ge­fühls­sa­che»

Auf Flüssen und Ozeanen: Ein Surfer erklärt die Faszination des Wellenreitens.

Publikationsdatum
31-12-2014
Revision
21-11-2017

TEC21: Herr Heier, wie hat Ihre Leidenschaft fürs Surfen begonnen? 
Jakob Heier: Ich hatte zuvor schon Windsurfen betrieben. Als ich dann als Wissenschafter zwei Jahre in Kalifornien lebte, bot sich das Wellenreiten an. 

TEC21: Kamen Sie damals schon auf die Idee, auch im Binnenland wellenzureiten?  
Jakob Heier: Damit habe ich erst angefangen, als meine Freundin in München lebte –– das Eldorado der Flusssurfer. Insgesamt gibt es dort in der Isar fünf Fluss­wellen! Mein Traum war eigentlich, die berühmte Eisbachwelle zu surfen. Aber ein Surfboardhändler in München riet mir ab, das sei nichts für Einsteiger. So bin ich an die Flosslände gekommen. 

TEC21: Jetzt leben Sie in der Schweiz. Wie sieht es hierzulande mit Flusswellen aus? 
Jakob Heier: Bei meiner Internetrecherche stiess ich relativ schnell auf die Welle in der Reuss bei Bremgarten. Von Zürich aus ist das die einzige Welle, die ich schnell mal an einem Nachmittag erreichen kann. Der Fluss ist wesentlich breiter als in München, aber die Surfmöglichkeiten sind abhängig von der natürlichen Wassermenge, die die Reuss führt. Am verlässlichsten ist es im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze einsetzt. Ende September ist für mich die Saison zu Ende. Aber ob es nun Sommer oder Winter ist, ist fürs Surfen eigentlich egal. Das Reiten auf der Welle berührt einen ganz ursprünglichen Instinkt des Menschen. 

TEC21: Was unterscheidet das Wellenreiten im Meer vom Surfen auf dem Fluss? 
Jakob Heier: Die Flusswelle hat immer die gleiche Form – zum Ausprobieren und Lernen ist das ein echter Vorteil. Unter der Woche, wenn wenig Andrang ist, kann ich in Bremgarten alle fünf Minuten auf der Welle stehen. Das Meer dagegen ist faszinierend, am Pazifik in Kalifornien beispielsweise sind die Wellen weitaus vielfältiger und haben deutlich mehr Druck, aber die surfbaren Wellen kommen ganz unregelmässig. Manchmal muss ich zwanzig Minuten darauf warten, und dann heisst es womöglich erst noch, einem besser positionierten Surfer die Vorfahrt zu lassen. Es gibt genaue Regeln, damit man sich nicht gegenseitig gefährdet. Auf der Flusswelle geht es darum, die richtige Balance zu finden – dann kann man minutenlang auf der Welle stehen und seine Tricks verfeinern. In Bremgarten wird nach etwa zehn Minuten «abgeklopft» –– die Wartenden am Ufer schlagen dann auf ihre Boards, weil sie auch mal drankommen möchten. Im Meer ist es eher eine Frage der Dynamik, da ist es entscheidend, im richtigen Moment Fahrt aufzunehmen. Sobald die Welle am Ufer bricht, ist der Spass vorbei. 

TEC21: Welche Rolle spielt die Witterung für Wellenreiter?
Jakob Heier: Am Meer gibt es Tage, an denen die Wellen einfach nichts hergeben. Dort gibt es inzwischen hochentwickelte Vorhersagesysteme, die einen informieren, wann für die eigenen Möglichkeiten das ideale Surfwetter ist. Bremgarten ist surfbar bei einer Wassermenge von 180 bis 600 m3/s. Über 380 m3/s ist es eine Sache für Könner, aber zwischen 240 und 380 m3/s ist die Welle von fünf Uhr morgens bis Sonnenuntergang eigentlich immer von mindestens drei, vier Surfern besucht – egal, ob es regnet oder ob die Sonne scheint.  

TEC21: Was für Menschen sind das eigentlich, die in ihrer Freizeit auf der Flusswelle stehen?
Jakob Heier: Auf der Reuss surfen die unterschiedlichsten Leute, von 12 bis 70. Die meisten sind zwischen 20 und 30. Ich denke schon, dass es eine Surferszene gibt, ähnlich wie bei den Skateboardern. Persönlichen Kontakt habe ich aber nicht zu anderen Surfern. Es gibt Clubs und Interessenvereine, aber auch viele Einzelkämpfer wie mich. 

TEC21: Wie sehen Sie das Thema Sicherheit? 
Jakob Heier: Wellenreiten ist eine relativ sichere Sportart. Das grösste Risiko ist, dass man sich mit der «Leash», dem Fangriemen am Fuss, am Flussgrund verfängt. Am Eisbach kann das passieren, und dann wird es kritisch. Diese Gefahr besteht in Bremgarten nicht. Dort muss man am ehesten auf treibende Baumstämme und Wirbel aufpassen. Die Surfer warnen sich untereinander, das funktioniert gut. Allein sollte man aber nie surfen gehen. Wenn nicht mindestens ein, zwei andere da sind, sollte man sich nicht auf die Welle wagen.  

TEC21: Spielt es für Ihren Freizeitsport eine Rolle, dass Sie selbst Physiker sind? 
Jakob Heier: Nein – wenn ich auf der Welle stehe, denke ich nicht über die physikalischen Zusammenhänge nach. Wellenreiten ist für mich eine Frage der Verbundenheit mit dem Wasser. Eine reine Gefühls­sache also!
 

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