Vor dem Vor­trieb erst er­kun­den

Weg unter dem Brenner

Schnell zum Törggelen nach Südtirol oder umgekehrt einmal auf die Münchner Wiesn? Mit der Eröffnung des Brenner-Basistunnels rückt diese Vision ab 2027 in erreichbare Nähe. 230 km Stollen werden bis dahin für die längste unter­irdische Eisenbahnverbindung der Welt ausgebrochen sein.

Publikationsdatum
17-05-2018
Revision
17-05-2018

Laien stellen sich unter einem Tunnel gewöhnlich eine Röhre mit einem Ein- und Ausgang vor. Prinzipiell ist das richtig, beschäftigt man sich aber mit dem Brenner-Basistunnel, bleibt von der Vorstellung sehr wenig übrig. Der Tunnel besteht zunächst aus drei Röhren, davon zwei Haupt­röhren im Abstand von 70 m mit einem Durchmesser von 8.1 m, die jeweils mit einem Gleis ausgestattet werden und in denen später die Züge richtungsgetrennt geführt werden. Mittig zwischen diesen, etwa 12 m nach unten versetzt, verläuft der kleinere Erkundungsstollen (d = 5 bis 6 m). Er läuft den Ausbrucharbeiten der Haupt­stollen immer voraus und dient während des Baus der Erkundung der Geologie und Hydrogeologie. In der Betriebsphase wird die Entwässerung über ihn stattfinden. Ausserdem ­werden möglichst viele betriebstechnische Einrichtungen in ihm unterkommen, um Unterbrüche der Verkehrsröhren etwa aufgrund von Wartungs­arbeiten minimieren zu können.

Alle 333 m sind die Hauptröhren mit einem Querschlag verbunden, der im Notfall als Fluchtweg in die andere Röhre dient. Eine Evakuierung von Personen über die Querschläge wird jedoch nach Möglichkeit vermieden. Ein Zug wird im Ereignisfall versuchen, den Tunnel zu verlassen oder aber eine der drei Not­haltestellen anzufahren. Diese befinden sich bei Inns­bruck, St. Jodok und Trens und sind jeweils über einen ­Zufahrtstunnel mit der Aussenwelt verbunden. In den 470 m langen Nothaltestellen ist zwischen den Verkehrsröhren ein Mittelstollen angeordnet, in den Passa­giere über alle hier im Abstand von 90 m angeordneten Verbindungsstollen (Querschläge) flüchten können.

Der Mittelstollen ist zweigeteilt. Im unteren Bereich finden die in Not Geratenen Platz, während über den oberen Bereich Rauchgase abgesaugt werden können. Um 45 m versetzt zu den Verbindungsstollen liegen die Abluftstollen, die im Kalottenbereich an den Mittel­stollen angeschlossen sind. Die Frischluftzufuhr über den Zufahrtstunnel erzeugt im unteren Passagier­bereich nun einen Überdruck, sodass dieser rauch­frei bleibt. Über die Abluftstollen entweichen die Rauch­gase in den oberen Bereich des Mittelstollens und werden an die Oberfläche abgeführt. Ein Rettungszug auf dem Gegengleis kann die Verunglückten evakuieren. Auch ein Entkommen über die Zufahrts­tunnel mittels eingesetzten Bussen ist möglich. Zu Fuss würde dies nämlich etwa eine Stunde Fussmarsch bergauf bedeuten.

Ein Tunnel, drei Portale, acht Einfahrten

Von Bozen können Züge über den Südzulauf direkt durch das Portal Franzensfeste in den Basistunnel einfahren. Der Bahnhof Franzensfeste wird dabei nur tangiert. Jedoch ist er ebenfalls über eine Zufahrt an den Tunnel angeschlossen, die im Bereich der Eisackunterquerung auf die Hauptröhren trifft. Nach Norden ermöglicht das Portal Innsbruck eine direkte Einfahrt in die Hauptstadt Tirols, was vor allem für Personenzüge von Interesse ist. Güterzüge des Transitverkehrs werden aber über zwei Verbindungstunnel (letzter Durchschlag 2017) unterirdisch in die seit 1994 bestehende Umfahrung Innsbruck Süd abgeleitet. Diese 9 km lange Umfah­rung kommt am Portal Tulfes wieder ans Tageslicht, ver­einigt sich dort wieder mit der Strecke aus Innsbruck und bildet, als Unterinntalstrecke bezeichnet, einen Teil des Nordzulaufs.

Die Verbindungstunnel kreuzen sich höhen­­frei. Der Grund ist die unterschiedliche Zugführung zwischen Italien und Österreich. In Italien, wie auch in der Schweiz oder Frankreich, fahren Züge von Süd nach Nord auf dem linken Gleis, während in Tirol und Deutschland Rechtsverkehr im Bahnbetrieb herrscht. Die Umfahrung Innsbruck Süd wies bisher noch keinen Rettungsstollen auf. Da mit der Öffnung des Brenner-­Basistunnels die Zug- und Personenanzahl im bestehenden Stollen zunehmen wird, wurde der Rettungstunnel Tulfes parallel im Abstand von 30 m hinzugefügt.

Bitte einsteigen – der Vortrieb fährt ab

Aus vier Zufahrtstunneln – Ampass, Ahrental, Wolf und Mauls – werden Zwischenangriffe aufgefahren. Der Rettungstunnel Tulfes etwa wurde sowohl von seinem Portal aus als auch von Ampass in Ost- und Westrichtung mittels Sprengvortrieb aufgefahren. Die Verbindungstunnel zwischen bestehender Umfahrung Innsbruck Süd und dem eigentlichen Basistunnel wurden ebenfalls in Sprengtechnik über die Zufahrt Ampass, aber auch über Ahrental vorgetrieben. An welcher Stelle die Gleise aus dem Basistunnel in die Südumfahrung einge­leitet werden, stand bereits seit 1994 fest. Beim Bau der Innsbrucker Umfahrung wurde eine Abzweigungs­kaverne angelegt. Die Querschnitte der nördlichen Hauptröhren des Basistunnels im Bereich der Zufahrt Ahrental werden mit Sprengungen nach der neuen ­österreichischen Tunnelbauweise aufgefahren.

Hingegen kommt für den vorauslaufenden Erkundungsstollen in Richtung Steinach eine offene, 200 m lange Gripper-Tunnelbohrmaschine zum Einsatz. Anders als die meisten ihrer Schwestern trägt sie, zu Ehren des Tiroler Landeshauptmann Platter, den männlichen Namen Günther. Derzeit hält die Maschine einen Rekord: Im Mai 2017 trieb sie in 24 Stunden 61.04 m des Erkundungsstollens im Quarzphyllit voran – Weltrekord im Tunnelvortrieb! Baumaterial, das für den Erkundungsstollen benötigt wird, hat bis zur Bohrmaschine schon eine Fahrt auf einem speziellen Fahrzeug  hinter sich. Sogenannte Multiservice Vehicles (MSV), gummibereifte Schwerlastzüge, bringen die Lasten, falls gewollt vollkommen selbstfahrend, zu ihrem Einsatzort.

Zur Basis, Bahn, Autobahn oder Deponie?

Der Zufahrtstunnel Wolf wurde als eigenes Baulos abgewickelt und veranschaulicht eindrücklich, welch grosser Aufwand erforderlich ist, um nur den Basis­tunnel zu erreichen. Schon das Auftragsvolumen des Loses Wolf von 104 Millionen Euro würde einer normalen Tunnelbaustelle zur Ehre gereichen.

Der Installationsplatz Wolf liegt auf dem Talboden südlich von Steinach. Für die Baustellenversorgung via Eisenbahn wurde eigens ein eigener Gleisanschluss erstellt, der an die bestehende Brenner­bahn angeschlossen ist. Die Autobahn A 13 verläuft etwa 150 m oberhalb des Platzes am westlichen Berghang. Da die Baustellen zum Schutz der Anwohner direkt von den Autobahnen angefahren werden müssen, wurde der 1 km lange Saxenertunnel im Sprengvortrieb als Verbindung geschlagen. Sein Durchmesser von 10 m reicht für zwei Fahrbahnen, sodass Lkw im Gegenverkehr ohne Einschränkung fahren können. Der Anschluss an die Autobahn ist normgemäss, jedoch ist über eine spätere Verwendung der Zufahrt nach Inbetriebnahme des Brenner-Basistunnels noch nicht entschieden.

Vom Installationsplatz führt ein Zufahrtstunnel erst in einer Rechtskurve und dann gradlinig mit 10 % Gefälle 4 km hinab auf Höhe des Basistunnels, 400 m tiefer als der Talboden. Eine Querverbindungskaverne erschliesst die Angriffspunkte der Tunnelbohrmaschinen, die für den Vortrieb der Verkehrsröhren eingesetzt werden. Diese TBM sind Bestandteil des Bauloses Pfons–Brenner (vgl. unten). Auch der Zufahrtsstunnel ist zweispurig für Lkw befahrbar. Hinzu muss der Querschnitt noch seitlich angeordnete Schutterbänder und Lüftungslutten an der Kalotte aufnehmen können. Anfallendes Wasser wird über Kaskaden, die seitlich in Querschlägen eingebettet sind, an die Oberfläche gepumpt.

Im oberen Abschnitt besitzt der Zufahrtstunnel über den sogenannten Schutterstollen und den Pa­dastertunnel zwei zusätzliche Ausgänge ins Padastertal,  ein unbesiedeltes, V-förmiges östliches Seiten­tal des Wipp­tals, das hinauf in Alpgelände führt. In ihm entsteht mit 7.7 von insgesamt 17 Millionen Kubik­metern Abla­gerungs­volumen die grösste Deponie des Basis­tunnel-Projekts. Der Padasterbach musste für die Ma­terialablagerung in einem Stollen umgeleitet werden. Mit der Deponierung des nicht mehr verwendbaren Ausbruchmaterials bekommt auch der Bach ein neues Bett. Ausserdem wird ein neuer Wander­weg an­gelegt, der das später U-förmige Padas­ter­tal umrundet.

Die grössten: Pfons–Brenner, Mauls 2–3

966 Millionen Euro beträgt das Auftragsvolumen für das grösste Baulos auf österreichischer Seite, Pfons–Brenner, das im Frühjahr 2018 vergeben wurde. Vier Tunnelbohrmaschinen werden vom Startpunkt unterhalb der Zufahrt Wolf die Hauptröhren nach Norden und Süden bis zur Staatsgrenze vorantreiben. Insgesamt werden dies 37 km Verkehrsröhren sein. Der Erkundungsstollen in diesem Losabschnitt sowie die Not­haltestelle St. Jodok werden im Sprengvortrieb erstellt.

Noch grösser fällt Los Mauls 2–3 auf italie­nischer Seite mit einem Auftragsvolumen von 993 Mil­lionen Euro aus. Die Nothaltestelle Trens, ihr Zufahrtsstollen und die Hauptröhren nach Süden werden bergmännisch ausgebrochen. Ab der Nothaltestelle übernehmen dann die baugleichen Tunnelbohrmaschinen Virginia und Flavia mit ihren je 4200 kW und einem Durchmesser von 10.65 m den Vortrieb der Verkehrsröhren bis zum Brenner. Im Erkundungsstollen voraus frisst sich ihre kleine Schwester Serena in Richtung Scheitelpunkt des Tunnels.

Eisackunterquerung

Ein spezielles Baulos stellt die Eisackunterquerung kurz vor dem Tunnelportal bei Franzensfeste dar. Nicht nur der Fluss, auch die bestehende Bahnstrecke und die Autobahn müssen unterfahren werden. Die Überdeckung der Tunnelröhren ist hier nur noch gering, bei der Flussquerung beträgt sie etwa 12 m. Die Durch­örterung erfolgt im anstehenden Lockergestein des Talbodens. Daher kommen diverse Gesteinsverfestigungsmethoden zum Einsatz, etwa Jet Grouting oder Vereisungsverfahren (vgl. www.espazium.ch/neubau-­albulatunnel-2). Zur Unterfahrung des Flusses werden beidseitig Schächte bis auf Sohlenhöhe der Hauptröhren in das verfestigte Gestein abgeteuft. Das Umgebungsgestein der Röhren unterhalb des Flussbetts wird sodann für die Durchörterung vereist.

Steine und Störung

Der Basistunnel durchfährt vier grosse Zonen unterschiedlichen Gesteins. Im Norden stehen Innsbrucker Quarzphyllit an, im nördlichen und südlichen Wipptal unterhalb des Scheitels dominieren Bündner Schiefer, während im Abschnitt des Brennerpasses Gneis vorherrscht. Der Tunnel durchstösst bei Mauls die Periadriatische Naht, die als längste Störzone der Alpen die Süd- von den Zentralen Ostalpen trennt. Ihre Durchörterung geschah auf etwa 700 m bereits in einem ­Vorlos und warf keine besonderen Probleme auf. Südlich der Naht steht Brixner Granit an.

Überhaupt geben sich die Gesteine eher gut­mütig. Sie sind mit den gewählten Verfahren recht gut abzubauen, allerdings sind die Ausbrüche, vor allem des Quarzphyllits und des Bündner Schiefers, teilweise von recht schlechter Qualität. Nach umfangreichen Forschungen zur Aufbereitung der Gesteine respektive zu möglichen Betonzusammensetzungen landen mittlerweile noch etwa 60 % des Ausbruchs auf den Deponien. Dies ist umso erstaunlicher, da für die Einbauten des Brenner-Basistunnels erhöhte Anforderungen bestehen.

Als Nutzungsdauer wurde nämlich, abweichend von den anzuwendenden Normen, 200 Jahre angenommen. Dies hat selbstverständlich Auswirkungen auf die Bemessung der Einbauten und die konstruktive Durchbildung der Tunnelstruktur und musste auch in die Betonrezepturen eingehen. Die übrigen 40 % des Ausbruchsmaterials können direkt für die Erstellung des Tunnels, etwa der Spritzbetonschale, der inneren Tunnelschale, der Banketten oder als Füll- und Schottermaterial verwendet werden. Als Nischenprodukt für die Bauindustrie wurde gar ein neuartiger Sichtbeton entwickelt. Bei dieser Sicht-Stein-Betonbauweise bleibt im Gegensatz zum klassischen Sichtbeton die Gesteinskörnung sichtbar. Die Zuschlagsstoffe werden in eine Schalung gegeben und ein selbstverdichtender Beton aufgefüllt. An der neuen kleinen Kapelle St. Wendelin am Eingang des Padastertals lässt sich das Ergebnis betrachten.

Finanzierung

Die beeindruckenden bis erschreckenden Dimensionen des Brenner-Basistunnels setzen sich bei den Finanzen fort. Als am höchsten gefördertes Infrastrukturprojekt Europas steht das mit Kosten von 8.3 Mrd. Euro prognostizierte Bauwerk einzigartig da. 40 % der Projektkosten trägt die EU, vom Erkundungsstollen werden sogar 50 % übernommen. Die restlichen Anteile teilen sich Österreich und Italien hälftig. Diese gewaltige Summe relativiert sich etwas, be­denkt man die Beträge, die von der EU in kürzester Zeit für desolate Finanzsysteme bereitgestellt werden. Zudem fliessen bedeutende Teile des Gelds für den Tunnelbau über Steuerzahlungen der am Bau Beteiligten wieder zurück in die öffentlichen Kassen. Für die Betrei­berstaaten scheint das finanzielle Risiko daher tragbar. Vielmehr noch, da Prognosen zufolge das Güter­transit-Verkehrsaufkommen zukünftig weiter steigen und seine Abwicklung wohl lukrativ bleiben wird. Und das Wichtigste? Die EU bekommt wenigstens beim Brenner-­Basistunnel für ihr Geld eine konkrete, trotz der bis zu 1800 m hohen Gebirgsüberdeckung sichtbare Gegen­leistung – mit ­Sicherheit nicht nur ein Loch im Berg.

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft
BBT SE im Auftrag der Republik Österreich und der Republik Italien mit finanzieller Beteiligung der EU
 

Örtliche Bauleitung
ÖBA Pini & Partner: Pini Swiss Engineers, Lugano; Rothpletz, Lienhard + Cie, Olten; BWB Ingenieurbüro, Brixen; E.U.T. Energie und Umwelttechnik, Brixen; Ingenieurbüro Kirchebner Ziviltechnikergesellschaft, Innsbruck
 

Unternehmen
Salini Impregilo, Mailand; Strabag, Wien; Porr Bau, Wien; Hinteregger & Söhne, Salzburg; Società Italiana per Condotte d’Acqua, Rom; Itinera, Tortona; Swietelsky Tunnelbau, Salzburg; Swietelsky, Linz; Astaldi, Mailand; Ghella, Rom, Oberosler, Bozen; Cogeis, Quincinetto; P.A.C., Bozen; Consorzio Integra, Bologna; Collini Lavori, Trient: Isocell Precompressi, Mailand
 

Bauzeit:
2007–2027


Kosten:
8.3 Milliarden Euro

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