Kon­se­quent wi­der­bor­stig

Tragwerk und Architektur im Dialog

Das Fachstellenhaus des Bildungs- und Beratungszentrums Arenenberg zeigt sich als Edelrohbau in Holz und Beton. Sein Thema ist das Zusammenspiel von Tragwerk und Raum. Es äussert sich in den sichtbaren Tragrichtungen und – eigensinnig, aber reizvoll – in einer Gegenordnung.

Data di pubblicazione
18-12-2014
Revision
18-10-2015

Das Schloss Arenenberg am Untersee in der thurgauischen Gemeinde Salenstein ist bekannt durch seine bewegte Geschichte. Historische Bedeutung erlangte das Anwesen ab 1817 als Wohnsitz der vormaligen holländischen Königin Hortense de Beauharnais und des späteren französischen Kaisers Napoleon III. Aus jüngerer Zeit nennenswert sind die Reparatur, Rekonstruktion und Neuinterpretation des Landschaftsparks von Staufer & Hasler. Ebendiese Architekten haben nun zusammen mit den Ingenieuren von Conzett, Bronzini, Gartmann im durch Landwirtschaftsgebäude besetzten Geviert des Arenenbergs das Fachstellenhaus für das Bildungs- und Beratungszentrum Arenenberg (BBZ) gebaut (vgl. Situation).

Die Kernkompetenz des BBZ liegt in der land- und hauswirtschaftlichen Ausbildung. Neben ihrer Lehrtätigkeit sind die Fachpersonen hauptsächlich in der Beratung der Landwirte und Bäuerinnen tätig. Um Synergien zu nutzen, sollten die Arbeitsplätze in einem Kompetenzzentrum am Arenenberg konzentriert werden. Der Kanton Thurgau schrieb deshalb 2010 einen Projektwettbewerb im Einladungsverfahren aus.

Die Holzwirtschaft steht der Landwirtschaft nah, und das kantonale Hochbauamt prüft gemäss ­Carmen Haag, Regierungsrätin und Vorsteherin des Departements für Bau und Umwelt, bei Bauvorhaben grundsätzlich die Möglichkeit, Holz zu verwenden.1
Der Kanton forderte deshalb einen «innovativen, zukunftsweisenden und möglichst reinen Holzbau, der neue Massstäbe setzen sollte. Die Bauweise sollte ­umfassende architektonische Qualitäten mit ökono­mischer Verantwortung, ökologischem Bewusstsein, funktionaler Klarheit und neuesten Energiekonzepten vereinen.» 2

In enger Zusammenarbeit haben Staufer & Hasler mit Conzett, Bronzini, Gartmann ein kompaktes Gebäudevolumen entworfen, das von neuen Ideen ebenso lebt wie von bewährten Ansätzen.

Gegenordnung von Tragwerk und Raum

Das Tragwerk stellt sich im gesamten Gebäude in den Vordergrund und löst sich von der architektonisch vorgegebenen Raumeinteilung. Primäre Tragelemente aus Holz erhalten eine gewollt markante Stellung.

Die Planenden zelebrieren die Stützen regelrecht – markant mit Sattel, wo grosse Lasten auftreten, weniger markant am Rand, wo weniger Last anfällt. Aber stets mit den gleichen Abmessungen und immer frei stehend im Raum. Die Ingenieure reden von einer gewissen Widerborstigkeit zwischen Raum- und Trag­struktur im positiven Sinn. Conzett findet diesen Ansatz spannend: «Die attraktive Gestalt der Stützen gibt ihnen eine Qualität, dank der sie im Weg stehen dürfen.» Marcus Schmid – Projektleiter von Conzett, Bronzini, Gartmann – ergänzt: «Man sieht hier vom Grundsatz ab, dass die Raumnutzung, der Innenausbau und die Stützen in einer identischen Ordnung stehen müssen.» Das heisst nicht, dass die Stützen die Raumnutzung verhindern würden. Thomas Hasler betont: «Die Logik der Grundrisse bleibt selbstverständlich.» Das verschobene Raster von Trag- und Raumstruktur hätte durchaus auch praktische Vorteile: Zwischen­wände können flexibel gesetzt werden und stossen nicht auf Stützen. Deshalb können Wände mühelos an andere Wände angeschlossen werden. «Der Entwurf und die Planung werden ein Prozess der Gewichtung: Formale, konstruktive und logische Aspekte halten sich die Waage», ergänzt Hasler.

Markante Fassade

Das Gebäude ist für rund 4.91 Mio. Franken in einer Bauzeit von 16 Monaten nach Minergie-P-Standard erstellt worden. Es ist der erste mehrgeschossige Bürobau, den der Kanton Thurgau aus Holz realisiert hat. Dabei stammt das Holz zu 70% aus Schweizer Wäldern, ein Drittel davon – insbesondere die Fichte – direkt aus dem Thurgauer Staatswald, den Forst­revieren Feldbach und Seerücken. Bei der Ausführung wurde von jedem verwendeten Holzprodukt die Herkunftsdeklaration «regionales, FSC-zertifiziertes Holz» verlangt. Für die Wärme im Haus sorgt eine Holzschnitzelheizung.

Eine gegen unten abgetreppte lasierte Holzfassade aus Thurgauer Fichte fasst das Gebäude ein. Die Übersprünge beim Geschosswechsel garantieren einen guten konstruktiven Holzschutz – statt nur eines Dachvorsprungs schützt auf jeder Geschosshöhe ein Vorsprung das Stirnholz vor Witterung. Gleichzeitig sind sie Nischen für die Holzrollläden und bilden eine Brandschutzabschottung von Stockwerk zu Stockwerk.

Trotz geringer Grösse erhält das Gebäude durch die abgetreppte Fassade eine gewisse Mächtigkeit. Das der Stirnfläche eingeschriebene Viereck ist zwar quadratisch, trotzdem wirkt das Gebäude stehend. Ausserdem wächst die Grundrissfläche gegen oben an, der Fussabdruck bleibt klein.

Die beplankte Ständerfassadenkonstruktion trägt geringe vertikale Lasten ab (die inneren Fassadenstützen übernehmen die Hauptlast) und übernimmt teilweise horizontale Einwirkungen wie Wind. Auch die nördliche Giebelwand unterscheidet sich formal nicht von der umlaufenden Fassade. Sie ist aber als starre Scheibe konstruiert, und die verschiedenen Funktionen sind hier auf drei Schichten aufgeteilt. Die innerste Schicht besteht aus einer beplankten Ständerwand, die zwischen den Decken steht. Die äusserste Schicht ist eine Aufdoppelung für die gestufte Fassadenkonstruktion. Dazwischen ist im Anschluss der Deckenränder ein Fachwerk angebracht, das zusammen mit dem Kern das Gebäude aussteift. Diese Konstruktion ist zwei­geteilt; ein Teil ist anderthalb Stockwerke hoch und in der Mitte des zweiten Geschosses gestossen (vgl. ­Skizze). Das Fachwerk mit den durchgehenden Diago­nalen erzeugt eine schubfeste Verbindung zwischen den versetzten Fassadenteilen. So erst wird es möglich, die geplanten asymmetrisch übereinander verschobenen grossen Fenster umzusetzen, die einer aussteifenden Scheibe widersprechen.

Kein reiner Holzbau

Das Kompetenzzentrum ist kein reiner Holzbau, auch wenn die Tragkonstruktion hauptsächlich aus Holz besteht. Das Sockelgeschoss aus Bodenplatte und ­Wänden ist betoniert. Es ist flach im leicht abfallenden Terrain fundiert. Generell ist die 20.5 m x 12.3 m grosse Bodenplatte 35 cm dick. Zusätzlich gevoutet bzw. verstärkt ist sie bei den Stützen und im Bereich der Liftunterfahrt respektive des Kerns. Einerseits, weil der Boden lehmhaltig und darum setzungsempfindlich ist. Andererseits, weil das Untergeschoss wegen des fehlenden Betondeckels keine steife Kiste bildet.

Der Sockel schafft die Basis für das viergeschossige Holzgebäude darüber und nimmt den öffentlichen Eingang, das Archiv und die Nebenräume auf. Der exzentrisch in der südöstlichen Grundrissecke angeordnete Kern mit Treppe und Lift ist über die gesamte Höhe betoniert und stabilisiert das Gebäude zusammen mit der nördlichen Giebelwand. 

Edelrohbau in Holz

Der Holzbau über dem Sockel ist ein Giebelhaus in Skelettbauweise mit Satteldach. Im Innern besticht vor allem der Sichtrohbau aus Holz und zeigt, dass sich der leichte Holzbau von seinen Nachteilen – beim Schall- und Brandschutz – durchaus zu lösen vermag.

Das Tragwerk aus Holz ist roh belassen und zeigt den Kräftefluss in den Stützen und den Decken offensichtlich. Gedrungene Vollholzstützen mit einem quadratischen Querschnitt und einer Seitenlänge von 36 cm sind in einem Raster von 4 auf 6 m angeordnet. Der Kern der Stützen besteht aus Fichte, die Umman­telung aus einer 4 cm dicken Schicht aus Eichenholz. Diese war aus brandschutzspezifischen Gründen und wegen Anpralls sinnvoll: Die teurere Eiche ist härter als Fichte und schwerer entflammbar, zudem brennt sie mit 0.5 mm/min weniger schnell ab als die Fichte mit einem Abbrand von 0.8 mm/min.

Die Randstützen im Fassadenbereich stehen jeweils um ihren halben Querschnitt nach aussen versetzt übereinander. Ein Stahlteil im Deckenbereich gewährleistet die exzentrische Kraftübertragung und sorgt dafür, dass die punktgelagerte Decke auf der Stütze genügend Auflagerfläche erhält (vgl. Detail). Nur zwei Bohrlöcher von 40 mm Durchmesser in den Deckenplatten reichten aus, um das Stahlteil zu versetzen; das Durchstanzen konnte so entschärft werden. Allerdings mussten die Brettsperrholzplatten der Deckenkonstruk­tion in den durchstanzgefährdeten Zonen verfestigt werden – dafür wurden die Zwischenlagen der Platten, bestehend aus einzelnen, normalerweise nur zweiseitig verleimten Stäben, allseitig verleimt; der Schubwiderstand der Platten wurde so vergrössert.

Auf den Mittelstützen liegt ein markanter Sattel aus Eiche – ein Querriegel im längs verlaufenden Korridor, der für die Deckenkonstruktion eine ausreichend grosse Auflagerfläche bereitstellt. Das Linienlager gibt der Deckenplatte zudem die erforderliche Biegesteifigkeit in Querrichtung.

Für die Decken kombinierten die Planenden Leicht- und Massivbau. Auf einzelnen Brettsperrholzplatten – verleimte fünfschichtige Platten aus horizontal verleimten Lärchen-­ und Douglasiestäben – wurde ein 14 cm starker Überbeton gegossen (vgl. Deckenschnitte). Die sichtbaren Brettsperrholzplatten als Deckenuntersicht tragen die Lasten linear ab (vgl. Schema) und dienten als verlorene Schalung. Die ebenfalls sichtbaren geschliffenen Betonplatten bilden den Bodenbelag. Conzett erklärt: «Man kann zwar nicht von einer Holz-Beton-Verbundkonstruktion sprechen, dennoch ist es ein Zusammenwirken von Holz und Beton.» Aufgrund dieser hybriden Konstruktion gewinnen die Decken an Masse und können als Wärmespeicher dienen. Mit ihrer geschichteten Ausführung helfen sie, die ­erforderlichen Schallschutzwerte einzuhalten; die ter­tiären Plattenfelder sind mit gelochten Akustikeinlagen versehen. In der Kombination der Materialien gewähren sie einen Brandschutz von REI 60, der für einen vier­geschossigen Holzbau einzuhalten ist; es sind keine Gipsabdeckungen notwendig.

Flexibel zwischen den Tragwerkselementen

Der Skelettbau gewährt im Grundriss eine flexible Raum-einteilung. Die drei Normalgeschosse für Büro- und Beratungsräume sind je nach Bedarf in Mehrplatz- oder in Einzelbüros eingeteilt. Im Dachgeschoss sind ein Sitzungszimmer und ein Aufenthaltsraum unter­gebracht. Die Tragkonstruktion prägt auch hier den Innenraum: Die zwischen den Randstützen frei tragende Dachkonstruktion besteht aus Sparren, die alle 60 cm angeordnet sind. Die sichtbare Sparrenhöhe beträgt 14 cm – die Konstruktion erscheint filigran. Sie entspricht einem fünfgelenkigen Druckpolygon, das in der 36 cm starken Dämmebene durch eine 17 cm hohe Sparrenaufdopplung biegesteif wird. Dadurch können Differenzialkräfte aus einseitigen Lasten übernommen werden. Die Konstruktion hat eine Verwandtschaft mit den altbewährten liegenden Stühlen (vgl. Schnitt). Die Strebenneigung ist auf einen optimierten Momentenverlauf in den Sparren abgestimmt. Auf Traufhöhe übernimmt ein Stahlband die anfallenden Zugkräfte und sorgt für das Kräftegleichgewicht.

Unverwechselbarer Raumeindruck

Durch das Gefüge von Deckenelementen und die geradezu aufdringlich in den Räumen stehenden Stützen entsteht eine unverwechselbare Innenarchitektur, die von gerichteten Holzoberflächen geprägt ist. Die Randstützen stehen teilweise direkt vor den Fenstern. Mittelstützen stehen auffällig im Korridor. Die Trag­wirkung ist über den gesamten Raum ablesbar. Eine unkonventionelle, aber inspirierende Ausführung. Das Tragwerk stellt sich zwar für das Auge in den Vordergrund, allerdings vornehmlich in den Erschliessungsbereichen. Wo nötig, lässt es Raum für Flexibilität.

Holzdecken als Sichtkonstruktion mit Auflage REI60 wären als reine Rippenkonstruktion über die ganze Deckenfläche eher schwerfällig geworden. In der hier umgesetzten Konstruktion erhalten die Decken in grosszügigen Bereichen – vor allem in den Arbeits­räumen – eine verspielte Leichtigkeit. Der Sichtrohbau aus Holz und Beton wird zum Fertigteil, das eine Komponente der Innenausbaufunktion übernimmt. 

Anmerkungen
1 Thurgauer Zeitung online, E-Paper-Ausgabe vom 11. November 2014
2 BBZ Arenenberg, Ersatzbau Kompetenzzentrum Beratung, Jurybericht Projektwettbewerb, Frauenfeld, 16. Dezember 2010

Am Bau Beteiligte


Tragkonstruktion
Conzett Bronzini Gartmann AG


Bauphysik, Akustik
Mühlebach Akustik + Bauphysik

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