«Ich wus­ste ni­cht, wo­hin die Rei­se ge­ht»

Im Oktober 2022 wurde Sandro Hauser für seine Masterarbeit an der ZHAW mit dem SIA Masterpreis Architektur ausgezeichnet. Bei der kommenden Durchführung wird er als Teil der Jury selbst bei der Preisvergabe mitwirken. Wir sprachen mit ihm über seine prämierte Arbeit und die heutige Architekturausbildung.

Data di pubblicazione
08-03-2023


Herr Hauser, mit Ihrer Masterarbeit «Alpine Rekomposition – über das Wiederverwenden von Stahlinfrastrukturen im Misox» verknüpfen Sie ein sehr spezifisches Projekt mit Themen wie der Aufwertung ländlicher Gegenden und Re-use, die im Baugeschehen gerade sehr aktuell sind. Wie kam es zu dieser Themenwahl? War es ein vorgegebenes Thema, oder konnten die Studierenden ihre Aufgabe frei wählen?

Sandro Hauser: An der ZHAW gibt es die freie Thesis, das Thema schlagen die Studierenden jeweils selbst vor. Der Masterstudiengang besteht aus vier Semestern. Im dritten Semester liegt dann einer der Schwerpunkte auf der Thesisvorbereitung. Das beinhaltet die Themensuche, die Recherche und das Erarbeiten einer Aufgabenstellung in Form eines Fullpapers. Neben dem ebenfalls im dritten Semester stattfindenden Entwurfsstudio bereitet man das Thema auf und verfasst dann im vierten Semester die eigentliche Masterthesis.


Zu dem Thema kamen Sie aufgrund Ihrer Biografie?

Genau. Da ich im Engadin aufgewachsen bin, habe ich durch meine Eltern, beide tätig als Skilehrerin und Bergführer, früh Skifahren gelernt. So war ich auch einige Zeit Rennläufer, entschied mich dann aber für die Berufslehre. Während meiner Zeit als Aktiver trainierten wir oft auf Gletschern, auch an Orten, an denen die Infrastruktur teilweise nicht mehr in Betrieb war, wie etwa auf dem Stelvio-Gletscher. Neben den eigentlichen Liften betrifft das Skiliftsterben auch die Berg- und Talstationen und oft auch die dazugehörigen Hotels, die leer stehen. Das hinterliess einen bleibenden Eindruck.


Das ist der Ski-Teil der Aufgabe – woher kam die Idee, diese stillgelegten Infrastrukturen mit den Bedürfnissen einer Kastanienkooperative zu verknüpfen?

Die von mir vorgeschlagene Art der Nutzung ergab sich tatsächlich aus der Recherche. Im dritten Mastersemester habe ich mich vertieft mit dem Misox beschäftigt und mit den Herausforderungen, mit denen das Tal konfrontiert ist – wie etwa der Abwanderung der jungen Leute, der Verwaldung der Kulturlandschaft, sowie den Kastanienhainen, die verwildern. Daraus entstand dann die Idee, durch das zirkuläre Bauen mit den Ressourcen vor Ort einen Mehrwert für das Tal und die lokale Bevölkerung zu schaffen.


Das Projekt ist sehr detailliert ausgearbeitet, bis hin zu einer groben Kostenschätzung. Handelt es sich dabei um ein fiktives Projekt, oder besteht die Möglichkeit, dass die Idee realisiert wird?

Es ist ein fiktives Projekt – noch. Gegen Ende des Mastersemesters hatte ich die Arbeit an die Verantwortlichen der Stiftung geschickt, die sich dort um die Kastanienselven kümmern. Sie fanden die Idee spannend, aber nicht konkret umsetzbar, vor allem aus denkmalpflegerischer Sicht, was den Um- und Abbau der Ski-Infrastruktur betraf. Jetzt, nach Abschluss der Arbeit, kann ich mir gut vorstellen, noch einmal nachzuhaken und das Projekt vertieft vorzustellen. Inzwischen gibt es dort aber auch schon wieder Pläne, das Skigebiet wieder in Betrieb zu nehmen.


Ihre Arbeit wurde als eine von dreien als beste der Schweiz ausgezeichnet. Gelobt wurde neben der komplexen Aufgabenstellung auch die Tiefe der Bearbeitung und darüber hinaus die attraktive Darstellung. Was finden Sie selbst an Ihrer Arbeit gelungen?

Ich fand den Prozess am gelungensten. Anfangs wusste ich selbst nicht, wohin die Reise geht. Es ist ja nur eine These, dass die Wiederverwendung der Infrastruktur dem Tal einen Mehrwert bringt. Ich fand es inspirierend, mit vielen Methoden und Medien zu arbeiten: Ich habe am Modell entworfen, Skizzen oder auch Collagen angefertigt, mit Schablonen und Sprays gearbeitet. Die vielen Ebenen des Projekts, die Verknüpfung des Kleinmassstäblichen mit dem Grossen war ebenfalls spannend und hat viel Spass bereitet. Genauso vielschichtig waren die Reaktionen der Menschen: Die einen interessierten sich für die Stahlmasten, andere für die sozialen Fragen, die Kastanien oder generell für die Zukunft der Skigebiete.


Die Masterarbeit verknüpft architektonische mit gesellschaftlichen Themen. Werden Sie diese Vielschichtigkeit beruflich weiter anstreben?

Ich denke schon. Mich reizt das Vielschichtige des Architektenberufs: vom Gesellschaftlichen über das Konstruktive bis hin zum Städtebau und strategischen Überlegungen. Ich finde es sehr schön, dass man diese Themen in der architektonischen Praxis vereinen kann.


Bereitet einen die Ausbildung an einer hiesigen Hochschule auf diese Komplexität vor? Sind die Ausbildungsstätten an den zeitgemässen, wichtigen Themen dran?

Da kann ich nur von der Ausbildung an der ZHAW sprechen. Tatsächlich sind Themen wie Nachhaltigkeit oder Re-use dort sehr präsent – die Ausbildung ist sicher zeitgemäss. Neben den Themen sind aber auch die Entwurfsaufgaben komplexer geworden. Man arbeitet an verschiedenen Themen gleichzeitig und mit unterschiedlichsten Medien. Es gibt immer wieder Studios, in denen man virtuell arbeitet, und andere, die das klassische Architekturhandwerk lehren: Zeichnen, Modelle, Pläne ausdrucken und besprechen. Ich denke, es ist wichtig, all diese Möglichkeiten zu sehen und damit arbeiten zu dürfen.


Sie arbeiten jetzt als Architekt in einem Büro. Können Sie Aspekte aus der Masterarbeit in die Praxis integrieren?

Die Aufgabenstellung des Projekts, an dem ich arbeite, ist natürlich eine andere. Es geht um eine inventarisierte Wohnsiedlung und beschäftigt sich mit der Frage, wie man solche inventarisierten Siedlungen verdichten kann. Meine Thesis war hingegen sehr spezifisch auf den Ort und insbesondere auf die dort vorhandenen Ressourcen ausgerichtet. Was ich aber mitnehmen kann, ist der Umgang mit dem Bestand, auf vielen Ebenen zu denken und die Herangehensweise sowie die Methodik.

SIA Masterpreis Architektur

Mit dem SIA Masterpreis Architektur zeichnet der SIA zusammen mit dem Architekturrat der Schweiz die besten Masterarbeiten im Bereich Architektur aus. Alle Schweizer Hoch- und Fachhochschulen mit einem Masterstudiengang in Architektur stellen in diesem Wettbewerb ihre besten Projekte vor. Die Nomination der Arbeiten erfolgt durch die jeweiligen Schulen, eine unabhängige Jury prämiert jeweils fünf bis acht Projekte. Die nächste Preisverleihung findet im Herbst 2023 statt.

 

Weitere Infos zum Preis finden Sie in unserem E-Dossier.

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