«Der tech­no­lo­gi­schen Ent­wic­klung wol­len wir prag­ma­ti­sch be­ge­gnen»

Der Architekt Christoph Maurer ist an der Delegiertenversammlung des SIA Ende April zum Präsidenten der neuen Zentralkommission für Informationsmanagement (ZI) gewählt worden. Welchen Hürden er sich stellt, erläutert er im Gespräch.

Data di pubblicazione
29-06-2022


SIA: Herr Maurer, herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum ZI-Präsidenten! Mit Ihrer Wahl wurde auch die Kommission gegründet …

Christoph Maurer: Im Moment bin ich die ZI (lacht). Allerdings wird zurzeit festgelegt, wie die Kommission und ihre Themen so positioniert werden, dass auf dieser Basis die richtigen Leute dafür gefunden werden können. Es wird um viel Arbeit gehen, das ist klar. Denn die ZI soll definieren, wie wir in Zukunft mit digitalen Informationen umgehen. Was bedeutet es für Planungsbüros und Projektbeteiligte, wenn verstärkt digital zusammengearbeitet wird? Das ist die zentrale Frage, mit der sich die ZI beschäftigen wird.


Was werden die konkreten Auf­gaben der Kommission sein?

Laufende Aufgaben übernehmen wir von der Kommission für Informatiknormen (KIN), deren Nachfolgeorgan die ZI auf höherer Ebene darstellt. Dies betrifft insbesondere die Übernahme der SN EN ISO 19650 Organisation von Daten zu Bauwerken – Informationsmanagement mit BIM. Andere Aufgaben sind bereits abgesteckt. Beispielsweise hat man schon länger innerhalb des SIA bemerkt, dass bestehende Normen und Ordnungen nicht auf den Umgang mit digitalen Informationen ausgerichtet sind. Das bedeutet, bei anstehenden Revisionen wird vermehrt der Blick aus Sicht des Informationsmanagements gefragt sein. Wir werden auch das gleiche Wording über die einzelnen Normen und Ordnungen hinweg sicherstellen. Ein anderer Punkt ist, dass wir die digitale Entwicklung, die wir nur teilweise beeinflussen können, auf irgendeine Art und Weise aufnehmen müssen. Wir können sie geschehen lassen und reagieren. Oder wir versuchen sie mitzugestalten.


Meinen Sie mit digitaler Entwicklung die digitale Transformation?

Im Prinzip ist die digitale Transformation eine Folge der technologischen Entwicklung. Die Treiber sind auf verschiedenen Feldern zu finden. Computer werden immer schneller und günstiger. Es gibt neue Tools, und die Robotertechnik entwickelt sich. Digitale Transformation heisst aber auch, auf einer anderen Ebene eröffnen sich neue Möglichkeiten. Vielleicht nicht mal so, wie es von den Erfinderinnen und Erfindern angedacht worden ist. In dieser Gesamtheit resultiert daraus die digitale Transformation. Wir müssen diese Entwicklung nicht steuern oder aufhalten wollen. Vielmehr wollen wir herausfinden, was in der Praxis adaptiert und übernommen wird, was sich bewährt und was wir am besten wieder verwerfen. Das ist ein pragmatischer Ansatz, der mir wichtig ist.


Sie haben das Informationsmanagement erwähnt. Was versteht man darunter?

Die Schwierigkeit ist, dass weder unter Information noch unter Informationsmanagement überall das Gleiche verstanden wird. Ich bin nicht glücklich mit dem Begriff – nur schon, weil er das Wort «Management» enthält. Das ist ein Wort, das im Bauwesen nicht auf Begeisterung stösst. Dennoch haben wir unterdessen ein Niveau erreichet, wo die Begriffe Daten- und Informationsmanagement nicht mehr als Kampfansage aufgefasst werden. Und man kann voraussetzen, dass man unter Management eine Aufgabe versteht, die man auf einer Ebene wahrnehmen muss, die nicht direkt operativ ist. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe mit einer Strategie, mit Erfahrung, Standards und Normen im Hintergrund ist grundsätzlich sinnvoll. Und das Informationsmanagement ist eine solche Aufgabe.


Also ein sperriger Begriff für eine alltägliche Aufgabe…

Es hängt stark davon ab, mit welchen Projekten man es zu tun hat und wie gross sie sind. In sehr komplexen Projekten merkt man schnell: Die Aufgabe, dafür verantwortlich zu sein, dass die generierten Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, muss zwingend mit Ressourcen und Know-how angegangen werden. Eine wichtige Aufgabe des Informationsmanagements ist: Informationen, die auf der einen Seite erstellt werden, müssen auf der anderen Seite eine Bedeutung bekommen. Das muss bei der Erstellung der Information mit­gedacht werden.


Nennen Sie mir ein Beispiel?

Es passiert immer wieder, dass ein Unternehmen mit einer alten Version eines Plans arbeitet. Das führt dazu, dass man mit viel Aufwand, Zeit- und Qualitätsverlust Fehler auf der Baustelle korrigieren muss. Früher war es einfacher: Ein Plan wurde erstellt, und in einer Liste wurde festgehalten, welche Personen den Plan in welcher Version erhalten hatten. Heute sind unsere Mittel und Wege, um Informationen zu erarbeiten, abzuspeichern, zu verteilen und zu interpretieren, viel komplexer. Es ist schnell nicht mehr klar, was auf welchem Weg, in welchem Zustand zu wem gelangt ist. Darum wird es im Informationsmanagement immer wichtiger, dass geplant und überwacht wird, welche Informationen wann, an wen und in welcher Qualität übermittelt werden.


Die ganze Umwälzung fusst auf der technologischen Entwicklung oder der digitalen Transformation – wie man das auch immer nennen will. Ist sie eher Fluch oder Segen?

Sie ist sicher beides. Beginnen wir beim Fluch. Wir bringen damit eine Erhöhung der Komplexität in die Gesellschaft. Das wiederum verlangt eine Erhöhung des Wissens. Das bedeutet, wir brauchen spezialisierte Ausbildungen, um dieses Wissen zu erlangen. Wir müssen also Menschen dazu bringen, sich dementsprechend aus- oder weiterzubilden. Gleichzeitig hängen wir Menschen, die das nicht wollen oder können, von Prozessen ab, die früher für sie gut funktionierten und die sie im Griff hatten.


Und der Segen?

Der Segen liegt im Effizienzgewinn. Es geht nicht darum, dass wir Menschen wegrationa­lisieren. Es geht darum, nicht produktive Aufgaben, die viel Zeit in Anspruch nehmen, auf etwas zu reduzieren, das möglichst automatisch machbar ist. Beispielsweise die Baueingabe: Heute sind Leute beauftragt, bei meinen eingereichten Pläne zu prüfen, ob ich die erlaubte Bauhöhe einhalte. Diese Prüfung kann Monate dauern. Währenddessen kann ich nur mit der Annahme weiterarbeiten, dass meine Eingabe bewilligt wird, auf die Gefahr hin, dass meine Arbeit umsonst war, wenn ich einen negativen Bescheid bekomme. Oder wir digitalisieren den Prozess. Damit wird mir bereits bei der Eingabe mitgeteilt, ob mein Objekt zu hoch ist. Ich kann also viel schneller reagieren und korrigieren. Die Behörde hat so zudem Ressourcen frei für Prüfungen, die sich nicht automatisieren lassen.


Gemeinhin wird die Digitalisierung der Planungsbranche mit BIM gleichgesetzt – das ist nicht alles, oder?

Es ist ein unvollständiger Blickwinkel auf BIM, wenn man sich darunter nur ein 3-D-Modell vorstellt. BIM geht als Grundgedanke viel weiter. Es geht darum, digitale Informationen zu modellieren, sie also so in Form zu bringen, dass sie auch wirklich gebraucht werden können. Der 3-D-Teil ist eine Form davon. Es gibt andere Formen, die gerade bei grossen Projekten wichtig sind. Wir verarbeiten sehr viele Informationen in Datenbanken, andere liegen weiterhin nur in Dokumentform vor. Die Summe all dieser Informationen bildet das digitale Gebäudemodell.


Auch hier – können Sie mir ein Beispiel nennen?

Beispielsweise arbeiten wir aktuell im Terminal 3 des Frankfurter Flughafens mit einer Türliste mit 9000 Einträgen. Das ist mit Excel nicht mehr machbar. Wir brauchen dafür eine Datenbank. Obwohl ganz viele Informationen zu diesen Türen im Modell sind, haben wir die Schwierig­keit, dass viele der Beteiligten aus zahlreichen Gründen nicht mit dem Modell arbeiten können. Daraus ergibt sich ein Konglomerat von Informationen, die nicht alle im 3-D-Modell verfügbar sind: Wir haben einen Teil in 2-D-Plänen, ein anderer im 3-D-Modell und wieder ein anderer in Datenbanken, Protokollen, Leistungs­verzeichnissen oder in Daten­blättern. Also müssen wir im Projekt weiterhin mit Hundert­tausenden von Dokumenten in PDF-Form umgehen. Ich bin der Überzeugung, dass wir BIM als einen Teil des projektweiten Informationsmanagements verstehen müssen, wenn auch als einen zentralen.


Zurück zur ZI: Sie wird im SIA eine Querschnittfunktion haben. Was bedeutet das?

Die beiden bisherigen Zentralkommissionen beschäftigen sich gut abgrenzbar mit Normen und Ordnungen. Das Informationsmanagement kann nicht auf die gleiche Art für sich allein stehen. Es wird auch keine eigenen Normen oder Ordnungen erarbeiten, sondern eng mit den anderen Kommissionen zusammenarbeiten. Ausserdem wird das Informationsmanagement immer mehr in einzelne Normen und Ordnungen integriert werden. Nehmen wir noch einmal die Baueingabe als Beispiel. Form und Umfang werden von den Behörden definiert. Gleichzeitig ist sie Teil einer Planungsleistung, die in den Honorarordnungen steht. Wenn in Zukunft die Baueingabe auf digitalem Weg erfolgt, ändert sich das zu erstellende Produkt. Also ändern sich die Leistung und damit die Honoraransprüche. Es ergibt sich somit eine Diskussion auf zwei Ebenen: Einerseits müssen wir mithelfen zu definieren, wie die digitalen Informationen zu den Behörden kommen, und andererseits müssen wir schauen, welche Auswirkungen das auf der Honorarseite hat.


Wann wird die Kommission mit ersten Arbeiten starten?

Sobald wir personell aufgestellt sind. Vielleicht werden wir zu Beginn noch nicht für alle Themen, die wir angehen wollen, in voller Besetzung operieren. Wir möchten aber auf jeden Fall noch in diesem Jahr mit den ersten Sitzungen beginnen.


Welches Thema muss die ZI prioritär angehen?

Für die zahlreichen Themen, die anstehen, definieren wir aktuell die Prioritäten. Wir werden sie kommunizieren, sobald wir so weit sind. Persönlich habe ich mehrere Anliegen, die mir unter den Nägeln brennen: Eines ist die erwähnte digitale Baueingabe. Ein anderes ist der Prozess der Ausschreibung und Vergabe. Vor allem bei grossen Projekten sehen wir massive Probleme, wenn die digitale Durchgängigkeit fehlt. Wenn wir an die 9000 Türen denken, dann stammen diese von etwa zehn verschiedenen Unternehmen. Aber wer macht welche Tür und wo? Besonders um nachträgliche Änderungen nachvollziehen zu können, sind digitalisierte Wege absolut entscheidend. Und es wird teuer, wenn wir diese nicht haben: Denn dann werden Türen produziert, die nicht gebraucht und gleich wieder entsorgt werden. Das ist momentan die Realität. Und das müssen wir in den Griff bekommen. Das sind nur zwei Themen von vielen. Zentral werden auch die Nachhaltigkeitsfragen, darun­ter etwa die Taxonomien, die wir sehr intensiv angehen wollen.

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