Aus­stel­lung «Pla­stik. Die Welt neu den­ken»

Die aktuelle Ausstellung im Vitra Design Museum präsentiert anhand einer reichen Palette von Designobjekten die Entwicklungsgeschichte von Kunststoff – kritisch, aber mit Luft nach oben.

Data di pubblicazione
11-04-2022

Umgangssprachlich als Plastik bezeichnet, feiert das Material gerade einmal seinen 160. Geburtstag. Doch in seinem kurzen Leben hat es bereits massgeblich zur globalen Umweltzerstörung beigetragen. Die filmische Arbeit «Kalpa(aeon)» des Londoner Künstlers Asif Khan bildet den Auftakt der Schau. Sie zeigt auf eindrückliche Weise das Ungleichgewicht von Jahrmillionen andauernden Erdentstehungsprozessen und der verhältnismässig kurzen Zeit menschlicher Zerstörung.

Zu den Klängen von Johann Strauss sehen die Besucherinnen und Besucher Bilder unseres Planeten, strotzend vor Schöpfungs- und Lebenswillen. Khan zeigt dann im Kontrast dazu, aber ebenso hoch ästhetisiert, die menschgemachte Aushöhlung der Erde und den Abbau ihrer Rohstoffe. Die Gegenüberstellung der ungleichen Zeithorizonte führt die Entfremdung, die wir zu unserem Lebensraum entwickelt haben, besonders deutlich vor Augen.

Fluch und Segen

Die Ausstellung umfasst drei Bereiche, die sich mit der Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Materials auseinandersetzen. Das kuratorische Konzept besteht in einem Wechsel aus hellen und dunklen Räumen, wodurch die Kontroverse um das Material zum Ausdruck kommen soll. Zu Beginn wird die Entstehungsperiode eines verheissungsvollen Werkstoffs mit nahezu grenzenlosen Möglichkeiten dargestellt. Der daran anschliessende dunkle Raum erkundet Plastik als ein den technischen Fortschritt vorantreibendes Material: Die Zeit des Zweiten Weltkriegs, die Raumfahrtfaszination, die Ölkrise der 1970er-Jahre, die Verpackungsindustrie mit der daraus hervorgehenden Wegwerfmentalität und den wachsenden Plastikmüllbergen.

Der letzte, hoffnungsvollere Teil der Ausstellung ist in einer lichtdurchfluteten Laborstimmung gestaltet und bezieht sich auf eine Rückkehr zu Kunststoffen auf Basis organischer Materie sowie auf Lösungsansätze zur Bewältigung der bisher entstandenen ökologischen Konsequenzen.

Mehr Wertschätzung

Die Kernaussage der Ausstellung bezieht sich auf eine Umdeutung des Materials im Sinn einer erneuten Wertschätzung für Kunststoffe, wie es sie in den Anfängen ihrer Entstehung gegeben hat. Erste, auf natürlichen Rohstoffen wie Harz, Tierblut oder Kautschuk basierende Vorläufer synthetischer Kunststoffe wurden zunächst zur Herstellung von Haushalts- und Schmuckgegenständen verwendet. «Kunst–Stoff» galt als wertvolles Material unbegrenzter künstlerischer Möglichkeiten. Eine solche Wertschätzung manifestiert sich beispielsweise am Exponat des «Smoker’s Cabinet» aus dem Jahr 1916 von Charles Rennie Mackintosh – ein kleines schmuckkästchenartiges Möbelstück, in das Kunststoffplättchen als Intarsien eingebracht wurden. Die Art der Verarbeitung verdeutlicht die Kostbarkeit des Materials.

An diese Sichtweise anknüpfend, entwarf der niederländische Designer Dave Hakkens eine DIY-Recyclingmaschine mit dem Titel «Precious Plastic». Die Selbstbaupläne werden allen Interessierten frei zugänglich bereitgestellt. Auch wenn die Maschine bisher keine skalierbare Lösung der weltweiten Plastikmüllkrise darstellt, weitet sie den Blick für zukünftige Innovation.

Und die Möbel?

Gelungen und nachvollziehbar ist die Bestrebung, eine Ausstellung über Plastik im Stil einer anthropologischen Investigation aufzubauen. Fraglich bleibt jedoch, weshalb in einem Designmuseum die Möbelgeschichte mit lediglich vier Exponaten derart unterrepräsentiert wird. Das Vitra Design Museum, das für seine Eames Stühle aus glasfaserverstärktem Kunststoff bekannt ist, hätte hierzu einen kritischeren Standpunkt einnehmen müssen. Stattdessen wird lediglich auf die höhere Langlebigkeit von Möbeln im Vergleich zu Verpackungsmaterial verwiesen, wodurch der anhaltende Gebrauch handelsüblicher Kunststoffe in der Möbelproduktion zu rechtfertigen sei. Wie so häufig in Klimadebatten, wird auch hier die Verantwortung auf die Konsument:innen abgewälzt, anstatt sich der eigenen Verpflichtung und Handlungsmöglichkeiten zu stellen.

Auch wenn der letzte Teil der Ausstellung, in dem Innovationen und zukunftsweisende Techniken behandelt werden, Grund zur Hoffnung bietet, verzerrt er das Gesamtbild: Sogenannte Biokunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen machen bisher nur etwa ein Prozent der global verfügbaren Kunststoffe aus. Vitra schreibt, dass die Zeiten unbeschwerten Konsums nun vorbei seien. Zweifelsohne sind wir als Konsumenten für die Gesamtproblematik mitverantwortlich, dennoch braucht es auf industrieller und politischer Ebene wirksamere Hebel zu ihrer Bewältigung. Dementsprechend wäre es eine wegweisende Botschaft gewesen, den Bestseller «Eames Chair» fortan aus alternativen Kunststoffen zu fertigen. So würde die Welt nicht nur neu gedacht, sondern auch neu gemacht.

«Plastik. Die Welt neu denken» im Vitra Design Museum läuft noch bis zum 4. September 2022.

 

Infos zu Ausstellung und Programm gibt es hier.

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