Schlies­sen und ver­k­nü­p­fen

Kreislaufwirtschaft am Bau umfasst das Mini­mieren von Emissionen und Abfall, greift durch zukünftige zirkuläre Prozesse über das Materielle der Archi­tektur hinaus und verknüpft Bereiche wie Ökonomie und Soziales zu Systemen, die sich gegenseitig stützen und erneuern.

Data di pubblicazione
05-06-2021

Weniger umweltschädlich bauen genügt nicht mehr, um die Klimaziele 2030 zu erreichen und noch bestehende Ökosysteme mit ihrer heute immer wichtiger werdenden Biodiversität zu erhalten. Mittels stringent umgesetzter zirkulärer Prinzi­pien sollen deshalb Millionen Tonnen Bauabfall schweiz- und weltweit reduziert und die Zerstörung der grauen Energie beim Abbruch vieler noch bewohnbarer Altbauten vermieden werden. Darüber hinaus muss der Verbrauch an Primärressourcen, zum Beispiel von Öl, Kies und Metallen, beim Bauen reduziert und in weiterer Zukunft sogar vermieden werden.

Diese Güter werden oft so abgebaut, als wären sie unendlich verfügbar, was Landschaften in Mitleidenschaft zieht und verschmutzt, besonders auch solche ausserhalb Europas. Ebenso fliessen Wasser und Energie extensiv in die meisten Produktionsschritte mit ein – Letztere sind zudem meist mit dem Ausstoss von klimaschädlichen Emissionen verbunden. Die Bauten, die wir nach aktuellen Standards erstellen, enden vermutlich in 30 bis 70 Jahren ebenso wie die heutigen. Die Tendenz verstärkt sich also in Zukunft, wenn Baumaterial nicht anders produziert und verbaut wird.

Das lineare Prinzip Produzieren–Konsu­mieren–Entsorgen unseres Wirtschaftsmodells muss durch geschlossene, schlanke Materialkreisläufe ersetzt werden. Dafür sind die vier Prozesse der Kreislaufwirtschaft zentral: den Konsum reduzieren, Gebrauchtes reparieren, Produkte wieder­verwenden und erst im letzten Schritt rezyk­lieren.

Die Prinzipien sind alt, aber bei uns seit der Industrialisierung allmählich in Vergessenheit geraten. Zum Beispiel konnten früher Backsteinmauern, die nicht mit Zement-, sondern mit Kalkmörtel gemauert wurden, auseinandergebaut und die Backsteine wiederverwendet werden.

Der feine Ausdruck der Zirkularität

Bei der Architektur zeigen erste zeitgenössische Beispiele, dass die Resultate so ­vielfältig sind wie die eingangs erwähnten Prozesse der zirkulären Wirtschaft. Reduzieren–Wie­derverwenden–Reparieren–Rezyklieren ergänzen oder überschneiden sich je nach Projekt. Am effizientesten sind Umnutzungen, Reaktivierungen oder Adaptierungen von bestehenden Bauten, bei denen mit der Tragstruktur jener Teil erhalten bleibt, der am meisten graue Energie enthält.

Dies kann im Rahmen des Pro­zesses Reduzieren zum sparsamen Umgang mit Ressourcen beitragen, indem der Lebenszyklus eines Baus ver­längert wird. Auch durch Reparieren kann etwas Neues aufgeschoben werden, und ­Gebäude sollen so ihre Nutzer wieder überleben – früher eine Selbstverständlichkeit.

Mehr zum Thema Kreislaufwirtschaft finden Sie in unserem E-Dossier.

Recycling ist in der Schweiz bei Materialien wie Beton, Stahl oder Glas weit fortgeschritten und differenziert entwickelt. Dennoch genügt dies bei Weitem nicht, denn die Verfahren sind energieintensiv und meist mit einem Downcycling verbunden.

Das Thema Re-use ist dabei, zum Markenzeichen der Kreislaufwirtschaft am Bau zu werden: Zunehmend selbstbewusst und innovativ vermitteln Neubauten aus wiederverwerteten Teilen ein noch ungewohntes Erscheinungsbild. Dieses zeigt jedoch, wie beständig, fein und qualitativ hochwertig Gebrauchtes sein kann.

Biologisch abbaubare, unverklebte Naturmaterialien wie Holz, Stroh, Hanf oder Lehm sind lokale Antworten auf die globale Fragestellung, was mit ausgedientem Baumaterial geschehen soll. Dabei gilt es auch zu klären, was mit Kompositmaterialien dieser Naturstoffe am Ende des Lebenszyklus passiert – denn nicht immer können sie rein verwendet werden.

Die ­Produktion und Verarbeitung von Naturstoffen kann zudem Arbeitsplätze in ländlichen Regionen oder ärmeren Ländern schaffen und bringt so einen sozialen Mehrwert über die Ökologie hinaus. Auch das ist ein Teil von Kreislaufwirtschaft.

Letztendlich müssen alle Massnahmen für jeden Bau und Kontext individuell ­aufeinander abgestimmt werden. Mit sys­temischem Blick ist von Fall zu Fall ­zu entscheiden – welche Vorteile Lowtech gegenüber Hightech hat, ob etwas ­Gebrauchtes toxisch ist oder ob es zu weit transportiert, zu stark zerschnitten werden muss und ob es sinnvoll in den lokalen ­Kontext eingebettet ist. Das erfordert sowohl Mut, Neues auszuprobieren, als auch Erfahrung – und unser in Perfektion geübter Schweizer Blick muss sich an die damit verbundene neue Ästhetik gewöhnen.

Datenbanken und politische Entscheide

Doch es gibt zahlreiche wichtige Themen, die über das architektonisch Sicht­bare hinausgehen. Unsere alten Bauten sind in der Regel nicht auf Zirkularität hin konzipiert. Darum ist bei neuen Gebäuden der Ansatz Cradle to Cradle zentral – unter anderem verbunden mit den Fragen nach den dafür nötigen digitalen Datenbanken, die einen Überblick geben, welche Materialien wo, in welchen Mengen, Qualitäten und wann verfügbar sind.

Solche Neubauten spannen mit den bis auf die letzte Schraube registrierten Bauteilen, der Systemtrennung und der einfachen Rückbaubarkeit den Bogen in die Zukunft, in der es selbstverständlich sein wird, Baumaterial wiederzuverwenden.

Ein anderes Beispiel sind neue Methoden, um die Bilanz von Kosten, Transport, Statik und Materialverbrauch von Strukturen aus Altbauteilen zu optimieren – insbesondere wenn sie mit neuen Teilen kombiniert werden. Politische Entscheide wie jener des Europäischen Parlaments Ende 2020, das Recht des Verbrauchers auf Reparatur durch obligatorische Produktinformationen zu unterstützen, sollen dabei helfen, dass qualitativ nachhaltigere Dinge entstehen und Studierende und Lehrlinge wieder lernen, wie man Gegenstände repariert.

Kostenwahrheit neu denken

Darüber hinaus ist eine neue Betrachtung ökonomischer Zusammenhänge bedeutend. Wichtig ist anzuerkennen, dass in der aktuellen Rechnung der Kostenwahrheit ums Bauen das Ende ausgeblendet wird: Die im Neubau verwendeten Materialien und das ganze Gebäude werden nach Ablauf des Lebenszyklus zu Abfall oder in einen Downgrading-Prozess überführt, ohne dass ihr Restwert berücksichtigt wird. Diese Bilanz muss angepasst ­werden, indem kurzfristigen Renditen ökologische, langzeitige und resiliente Werte gegenübergestellt werden.

Kreislaufwirtschaft ist also nicht einfach eine andere Art zu bauen und zu ­konsumieren, sondern ein systemischer Ansatz, der in den kommenden Jahren strukturelle, planerische, wirtschaftliche, ja soziale Änderungen und neue Verknüpfungen mit sich bringen wird – nicht nur in der Architektur, sondern auch bei Verkehr, Tourismus, Textilien und Landwirtschaft.

Das kann nur gelingen, wenn der menschgemachte Lebensraum mit all seinen Be­reichen nach dem Vorbild der Natur, in der es keinen Abfall gibt, zyklisch, resilient und regenerativ umgestaltet wird. Kreislaufwirtschaft bedingt ein tiefgreifendes ­Umdenken in der Bauwirtschaft – bei allen Beteiligten.

Entstanden im Auftrag des Bundesamts für Umwelt sind bei espazium – Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte zur Kreislaufwirtschaft erschienen:

 

Nr. 1/2021: «Zirkuläre Architektur: Bauten, Konzepte und Zukunftsstrategien»

Die Artikel dieser Ausgabe und weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem digitalen Dossier «Kreislaufwirtschaft».

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