Ge­mein­schaf­tswoh­nen ein­st und je­tzt

In diesem neuen Band erzählt Autorin Susanne Schmid die Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnens von 1850 bis heute. Sie vergleicht unterschiedliche Modelle und zeigt, wie das alltägliche Zusammenleben und die Abstufung der Wohnintimität in Europa praktiziert werden.

Data di pubblicazione
29-07-2020

Wie wollen wir wohnen? Diese Frage stellt sich mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter und erneut nach einschneidenden Veränderungen in der Biografie. Dabei sind die tatsächlichen Wahlmöglichkeiten begrenzt – durch den Arbeitsort, familiäre Bindungen, finanzielle Möglichkeiten und nicht zuletzt durch das Angebot auf dem wenig innovativen Wohnungsmarkt.

Durch die umfassende Recherche zur neueren Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnens von Susanne Schmid, der auf Wohnungsfragen spezialisierten Innenarchitektin, erfährt man, wie vielseitig kollektive Wohnformen sind, wann und wie sie entstanden und wie sie sich bis heute entwickelt haben.

Hinter den Projekten des gemeinschaftlichen Wohnens stehen politische, ökonomische und soziale Motive – in unterschiedlicher Gewichtung. Die Autorin unterscheidet drei historische Phasen mit je einer dominierenden Grundmotivation, der sie drei typische Vertreterprojekte zuordnet: politische Motive in der ersten, ökonomische in der zweiten und soziale in der dritten Phase (1970 bis heute). Jede Phase wird mit ausgewählten Beispielen beschrieben und mit (allzu) kleinen Fotos und Grundrissen illustriert.

Gemeinschaftsexperimente

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden neue soziale Bewegungen, Baugenossenschaften und -kollektive wurden gegründet, um der Boden- und Bauspekulation und deren Folgen zu entgehen. Bewohner wurden zu Miteigentümern und Mitgestaltern ihrer Wohnung und des Wohnumfelds. Neuartig im Vergleich zu früheren, paternalistischen Modellen war vor allem die Partizipation an Planung, Organisation und Gestaltung des sozialen Lebens, wie z.B. in Gartenvorstädten oder Wohnhöfen. Andere Wohnmodelle wie Boarding- oder Servicehäuser oder Wohnungen für Alleinstehende reagierten auf veränderte Familienstrukturen und die Transformation der klassischen Rollenteilung.

Mit neuen, gesellschaftskritisch motivierten Modellen von Zusammenleben wurde in den 1970er-Jahren experimentiert, als Initiative «von unten». Waren es zunächst Wohngemeinschaften, die sich in grossen Altbauwohnungen selbst organisierten, mit fliessenden Grenzen zwischen privat und kollektiv, so folgten darauf immer weitere Gemeinschaftsprojekte, die sich bis heute stark diversifiziert haben.

Die vorgestellten Projekte wurden unter dem Aspekt des «Teilens», der «Teilnahme» und «Teilhabe» ausgewählt. Das Verhältnis zwischen privat, kollektiv und öffentlich wird in jedem Projekt neu verhandelt und hängt von äusseren Faktoren sowie von den Interessen und Bedürfnissen der Initianten ab. So erstaunt es nicht, dass unterschiedliche Wohnformen seit ca. 50 Jahren gleichzeitig und nebeneinander auftreten. Einen eindeutigen Trend festzustellen ist schwierig, es sei denn jenen der «Erweiterung der Individualität» und der Vielfalt.

Diese Publikation, eine anspruchsvolle soziologische Studie für ein Fachpublikum, bietet auch solide Grundlagen für heute anstehende Entscheidungen – denn immer haben gesellschaftliche Veränderungen Einfluss auf das gemeinschaftliche Wohnen genommen. Angesichts der aktuellen Probleme auf dem Wohnungsmarkt (Bodenpreise, Spekulation, hohe Mieten, Leerstände, Zersiedelung etc.) und der dringenden Notwendigkeit, dem Klimawandel zu begegnen, muss die eingangs gestellte Frage also eher lauten: Wie sollen wir wohnen?

Neue Prioritäten, Ökologie und Nachhaltigkeit, müssen die sozialen Beweggründe erweitern. Das Teilen von Wohn- und Arbeitsräumen ist ein wichtiger Beitrag zu Ressourcenschonung. Statt weiterer Einfamilienhäuser und weiterem Landverbrauch sollten wir Baubestände um- und weiternutzen.

Angaben zur Publikation

Susanne Schmid, Dietmar Eberle und Margrit Hugentobler (Hg.): Eine Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnens. Modelle des Zusammenlebens. Birkhäuser, Basel 2019. 324 S., zahlr. farb. Abb. und Pläne, 27 × 18.5 cm, ISBN 978-3-0356-1851-8, Fr. 53.–


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