Von Bäu­chen und Gewän­dern

Im Grubenmann Museum in Teufen AR sind ab 13. Mai Rekonstruktionen der Innenräume von dreizehn Kirchenbauten der Baumeisterfamilie Grubenmann zu sehen. Es handelt sich um eine umfassende Untersuchung dieser Architekturen im Rahmen einer Semesterarbeit von Studierenden der ArchitekturWerkstatt der Fachhochschule St. Gallen.

Data di pubblicazione
08-05-2020

Die Baumeisterfamilie Grubenmann aus Teufen ist mit ihren im 18. Jahrhundert erstellten, ingeniösen Holzkonstruktionen weit über die Region hinaus bekannt. Zwanzig weit gespannte Brücken aus Holz gehören zu den bekanntesten Werken, doch bloss drei davon sind erhalten geblieben – anders die rund vierzig Kirchen mit ihren teils spektakulären Dachkonstruktionen aus Holz, die sie projektiert und erstellt haben. Sie stehen noch in grosser Zahl in der Ostschweiz und im Kanton Zürich.

ArchitekturWerkstatt ergänzt Dachmodelle des IBOIS

Im Museum sind diese Bauten vor allem mit den Modellen zu den Dachtragwerken dokumentiert. 2016 haben Studierende der EPF Lausanne unter der Leitung von Yves Weinand, Professor an der EPFL und Leiter des Instituts für Holzkonstruktionen (IBOIS), 15 Dachstühle der Grubenmann-Kirchen aufgenommen, als Arbeitsmodelle nachgebaut, analysiert und neu interpretiert. Dabei standen die Konstruktionen im Mittelpunkt.

Die Räume unter diesen Dächern wurden indes bis anhin wenig untersucht, der Fokus lag meist auf den kunsthistorischen Elementen. Somit betritt die ArchitekturWerkstatt St. Gallen bei ihrer Analyse von Kirchenbauten der Baumeisterfamilie Grubenmann weitestgehend ein unerforschtes Gebiet: die Innenräume der Bauwerke.

Für eine Semesterarbeit im Herbst 2019 wurden nun neun evangelische und vier katholische Kirchenbauten Grubenmann’scher Bauart im passenden Modellmassstab nachgebaut und unter die Modelle der Dachtragwerke der EPFL aus dem Jahr 2016 gestellt. «Bäuche und Gewänder» umschreibt der Titel dieser Aufgabe plakativ die Analysearbeit der Studierenden – auf die «Bäuche» folgen nun die «Gewänder».


Räume und ihre Qualitäten entdecken

Das selbstständige Erarbeiten geeigneter Darstellungsformen und -mittel war Teil der Aufgabe. Dazu gehörte die selbstständige Recherche vor Ort und das Bauen eines abstrakten Innenraummodells, bei dem das vorhandene Dachkonstruktionsmodell aufgesetzt wurde. Die Erkenntnisse aus der Analyse waren zudem grafisch festzuhalten. Dabei konnten die einzelnen Vorschläge auf andere Untersuchungen übertragen werden, sodass aus den einzelnen Aufgaben eine vergleichbare Reihe von Resultaten entstehen kann.

Ein Fragenkatalog als Denkanstoss

Gemeinsam mit der Leiterin der ArchitekturWerkstatt St. Gallen, Prof. Anna Jessen, den wissenschaftlichen Mitarbeitern Thomas Künzle und René Caamano Parada sowie dem Kurator des Grubenmannmuseums Ueli Vogt wurde das Seminar im Rahmen der Analyseseminare der ArchitekturWerkstatt konzipiert und ein umfangreicher Fragen- und Kriterienkatalog erarbeitet, um die zu untersuchenden Themenfelder zu strukturieren:

  • Raumproportionen: Welche Proportionen haben die Räume? Wie ist das Verhältnis von Länge zu Breite und Höhe des Hauptraums? Wie lässt sich der Hauptraum gliedern, und wie stehen die Verhältnisse dieser Teilräume zueinander? Welche gliedernden Elemente sind im Raum vorhanden? Das können Emporen, der Chor, liturgische Elemente (Kanzel, Taufstein, Orgel, Beichtstühle) und Orte sein.
     
  • Symmetrien und Raumorganisation: Weitere wesentliche Eigenschaften der jeweiligen Raumuntersuchungen sind die Fragen nach Symmetrien. Wo sind diese zu finden, wo sind sie gebrochen oder gestört? Wie sind die Räume organisiert? Wie bewegen sich die Personen im Raum, wie kommen sie herein, wie setzen sie sich hin, wie verlassen sie den Raum wieder?
 Dabei interessiert das Verhältnis der Personen zum Raum sowie das Verhältnis der Personen zu- und untereinander.
     
  • Wenn Säulen vorhanden sind: Wo stehen diese, was tragen sie, und wie stehen sie im Raum? Haben sie einen Einfluss auf die Sitzordnung?
     
  • Licht: Das Licht trägt wesentlich zu einer Raumstimmung bei. Dabei sind Fenster und ihre Ausgestaltung von Bedeutung, wie auch die künstliche Beleuchtung und die für die Symbolik bedeutenden Lichter.
     
  • Dachkonstruktion und Raum: Lässt sich des Weiteren ein Zusammenhang zwischen der Dachkonstruktion und dem Raum herstellen? Dabei dürfte die Frage der Konfession und deren Nutzungsform und -vorstellung ganz wesentlich für das Verständnis des Raums sein.
     
  • Veränderungen über die Jahre: Bei allen Fragen geht es primär um den aktuellen Zustand der Räume. Es sollen aber auch Veränderungen, die im Laufe der Zeit vor sich gingen, mit einbezogen und bewertet werden. Zudem wird die Sitzordnung als erweitertes Untersuchungsfeld erörtert.

Kleinarbeit führt zum Überblick

27 Studierende der ArchitekturWerkstatt St. Gallen nahmen ab Oktober 2019 die Untersuchungen der Bauwerke in Kleingruppen in Angriff, konsultierten digitale und analoge Archive, besuchten die Bauwerke, um sie näher kennenzulernen, und fertigten Massaufnahmen an, um zu genauen Plänen zu kommen.

Die Resultate wurden systematisch beschrieben und vor allem auch mit den abstrahierten Raummodellen, passend zu den bestehenden Arbeitsmodellen der EPFL, im Massstab 1:20 festgehalten. Diese Raummodelle dienten den Studierenden als Instrument, um für die unterschiedlichen Themen Lösungsansätze zu entwickeln.

Diese Raummodelle halten alle wichtigen Elemente des Innenraums fest, wie Säulen und Stützen, Tür- und Fensteröffnungen, Anordnung der Sitzreihen, Altarbereich, Kanzeln, Emporen und Orgeln bis hin zu den die Raumstimmung beeinflussenden Elementen wie Deckengewölben mit Stuckaturen und Malereien. Auch die Lichtführung und die farbig verzierten Bleiverglasungen der Fenster, die Böden usw. sind ein wesentliches Thema dieser Untersuchungen.

Ueli Vogt, Lehrbeauftragter an der ArchitekturWerkstatt und Kurator des Grubenmannmuseums, kommentierte dieses Unterfangen: «Der Fokus lag auf der Wahrnehmung der Räume, und dazu dienten die Modelle als Hilfsmittel. Es ging aber nicht darum, einfach die Kirchen exakt nachzubauen, es waren auch Interpretationen gefragt, also auch Verfremdungen.»

Wer die für Normalsterbliche nicht zugänglichen, hölzernen Dachkonstruktionen in Zusammenhang mit den Raummodellen heute betrachtet, erkennt bald einmal, dass die Baumeister Grubenmann nicht einfach auf ihr Können als Holzkonstrukteure reduziert werden dürfen.

Ihre kühnen, ja gewagten Konstruktionen sind Grundlage für eine umfassende Raumgestaltung in diesen Kirchenräumen. Und ihr Gestaltungswille ist bis hin zu den Raumaufteilungen, den Säulenordnungen und der Materialwahl spürbar.

Sicher sind Schreiner- und Steinmetzarbeiten und vor allem auch die Stuckdecken von Spezialisten ausgeführt worden, immer aber im Rahmen eines umfassenden Gestaltungswillens der federführenden Baumeister, die eigentlich nichts weniger im Sinn hatten als den Bau eines Gesamtkunstwerks.

Die untersuchten Kirchenbauten

Evangelische Kirchen: Teufen AR
; Trogen AR, Grub AR, Mollis GL, Schwanden GL, Hombrechtikon ZH, Brunnadern SG, Ebnat SG, Neukirch TG

Katholische Kirchen: Eschenbach SG, Steinach SG, Häggenschwil SG, Eggersriet SG

 

Zur Baumeisterfamilie Grubenmann siehe auch: «Trag­werk und Raumform in Gru­ben­manns Kir­chen» in TEC21 42-43/2009

Das Grubenmann Museum Teufen

Im ehemaligen Zeughaus zu Teufen (Appenzell Ausserrhoden) ist seit 2012 die Sammlung zum Wirken der Baumeisterfamilie Grubenmann ausgestellt. Sie basiert auf dem Material einer Gedenkfeier zum 250. Geburtstag von Hans Ulrich Grubenmann, die 1959 in Teufen und St. Gallen stattfand, sowie auf einer Dissertation aus dem Jahr 1941 von Ingenieur Josef Killer zum Thema.

1979 hat Architektin und Denkmalpflegerin Rosmarie Nüesch-Gautschi diese Sammlung in der Ortsbibliothek im alten Bahnhof von Teufen untergebracht und auch ausgebaut. Für die zahlreichen rekonstruierten Modelle zu Brückenbauten und Dachkonstruktionen für Kirchen der Baumeister Grubenmann waren dort in eher beengten Verhältnissen nur teilweise zu sehen, der Umzug in das Zeughaus war ein Glücksfall.

zeughausteufen.ch/grubenmann-museum

Grubenmann – Zimmermann, Baumeister oder Ingenieur?

Das Bauen funktionierte im 18. Jahrhundert verglichen zu heute anders. Heutzutage haben sich die Gruppen der Planenden und der Bauenden deutlich voneinander abgegrenzt. Auf der einen Seite stehen die Architekten und Ingenieure, auf der anderen Seite finden sich die Handwerker, die die Planungen ausführen. Zu Zeiten von Hans Ulrich Grubenmann war eine so deutliche Trennung im Baugewerbe nicht gegeben, auch wenn wir hier in Handwerker und Baumeister unterteilen können. Letzterer entsprang doch immer der Handwerkskunst. 

Bevor Hans Ulrich Baumeister wurde, erhielt er durch seinen Vater und durch seine Brüder die Ausbildung zum Zimmermann. Die für das Handwerk so typische Walz, eine vorgeschriebene Wanderzeit der Gesellen, bei der sie das Bauen in anderen Regionen nebst deren Kulturen und Spracheigenheiten studieren können, blieb Hans Ulrich vermutlich verwehrt.

Nach anfänglichen Arbeiten mit seinen Brüdern übernahm Hans Ulrich zunehmend mehr Verantwortung und eigene Projekte. Er reifte zum Baumeister. Neben der Ausführung und Planung des Gebäudes oblag ihm die Planung des Bauablaufs und der Koordinierung der einzelnen Gewerke. 

Die Planungsarbeit Grubenmanns war zwar durch «trial and error» gekennzeichnet, sprich, sie war empirisch geprägt, doch lassen sich genügend Bezüge zum heutigen Ingenieur finden.

Hans Ulrich arbeitete mit Zeichnungen und Modellen, bei denen er Tragwerke und deren Knotenpunkte entwickelte. Letztere wurden selbst zum Studienobjekt, denn es heisst, dass er seine Brückenmodelle auch Belastungsproben unterzog. Grubenmann arbeitete also auch theoretisch, entwickelte ein besonderes Verständnis für statische Probleme im Holzbau und fand immer wieder neue Lösungen aus sich selbst heraus, denn auf Erfahrungen, die er möglicherweise bei einer Walz gewonnen hätte, konnte er nicht zurückgreifen.

Mit zunehmendem Alter wurde er des Öfteren zur Erstellung von Gutachten herangezogen und wirkte so wie ein Prüfingenieur.

(Quelle: Internetlexikon der Bauingenieure, Brandenburgische Technische Universität, Cottbus-Senftenberg)

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