Trag­werk für die Werk­statt

Das SRF-News- und Sport-Gebäude von Penzel Valier ist ein kompaktes Volumen, in dem Architektur und Tragwerk eins sind – eine bauliche Widerspiegelung des Planungsbüros sozusagen. Darin eingebettet liegt ein grosses Atrium, und eingeflochten ist ein Tragwerk, das ein besonderer Balanceakt war.

Data di pubblicazione
09-01-2020

«Es war anspruchsvoll!», sagt Martin Valier, Mit­inhaber von Penzel Valier und der verantwortliche Bauingenieur der beiden interdisziplinären Partner, zum News- und Sport-Gebäude von SRF. Denn der Neubau ist ein statisch hochanspruchsvolles Gebäude, mit einem indirekten Kräftefluss und ­äus­serst komplexen Bauphasen. Das Tragwerk aus Stahlbeton, Stahl-Beton-Verbund und vorfabrizierten Stahlbetonelementen funktionierte erst vollständig, nachdem sämtliche Bauteile montiert, erstellt, ausgehärtet und vorgespannt waren.

Maximale Nutzungsvarianz

Die Schnelllebigkeit der Medien, die sich ständig weiterentwickelnde Technik, die geforderte Ak­tualität – kurz: die benötigte Flexibilität – prallten auf ein in diesem Verhältnis träges Bauwesen. Ein ­Gegensatz, den das neue Redaktions- und Studio­gebäude für Nachrichten- und Sportsendungen ­aufzufangen hatte. Es sollte in kurzer Zeit und in engem Kostenrahmen erstellt werden und eine weit spannende Raumstruktur und vor allem eine ebensolche Tragstruktur aufweisen. Sowohl die räumliche Einteilung als auch das statische System sollten so grosszügig und flexibel sein, dass sich mit geringem Aufwand bauliche Anpassungen vornehmen lassen, wenn künftig Nutzungs- oder Prozessänderungen anstehen. Die Raumeinteilung sollte adaptierbar, veränderbar und in ihrer Grundkonzeption robust sein.

Vom Kraft- zum Balanceakt

Penzel Valier meisterten diese Herausforderung mit einem Tragwerk als regelrechtem Kraftakt, der in diesem Fall allerdings optisch leichtfüssig daher kommt. Denn Kraftakt und Leichtigkeit müssen kein Widerspruch sein – man denke nur an Gleichgewichtsakrobaten. Mit diesem Sinnbild lässt sich das Tragwerk beschreiben.

Der Bau ist fünfgeschossig und im Sockel über die Nordseite an den Bestand angebunden. Über dem ersten Obergeschoss kragt das kompakte Vo­lumen dreiseitig aus. Das Tragprinzip scheint einfach: Vier Stahlbetonkerne stabilisieren den Bau und nehmen zusammen mit acht Stützen mit ­Abmessungen von maximal bis zu 120 cm × 120 cm die vertikalen Kräfte auf. Dazwischen spannen die Deckenkonstruktionen von bis zu maximal 41 m × 25 mFeldgrösse – zu weit für die geometrisch zur Verfügung stehenden Deckenhöhen. Ein tragwerkspezifisch kreativer Ansatz war gesucht, um diese Spannweiten zu bewältigen. Weitere Stützen oder geschosshohe Träger, ausgebildet mit Scheiben, Vierendeel- oder Fachwerkträgern, wären denkbar gewesen, doch hätten sie den Raum unterbrochen und die Nutzungsflexibilität gemindert. Penzel Valier befreiten sich von diesen Ansätzen; sie wichen einerseits auf die Dachebene aus und bedienten sich andererseits eines akrobatischen Kräftespiels.

Auf dem Dach nutzten sie die zwei 7,5 m hohen Aussenwände der Technikgeschosse als Tragscheiben, die über die gesamte Gebäudebreite spannen und als Einfache Balken auf Stützen lagern. In den Drittelspunkten hängen mittels Brandschutz­beschichtung geschützte Zugstangen mit 115 mm Durchmesser, die die Decken über dem 1. bis zum 3. Obergeschoss abfangen und so ihre Spannweiten dritteln. Dabei sind die Zugstangen im Raum kaum wahrnehmbar – ein geschickter Befreiungsschlag unter Nutzung des gegebenen Volumens.

Noch raffinierter lösten die Ingenieure die bis 8,5 m weit spannenden Auskragungen. Die Stützen – in den beiden unteren Geschossen aus Stahlbeton – sind in den oberen Geschossen aus nachträglich mit Beton umhülltem Stahl hergestellt. Sie sind so geformt bzw. verzweigt und schräg gestellt, dass sie jeweils die Figur zweier Gleichgewichtsakrobaten annehmen. Der eine dem anderen auf den Knien stehend und sich an den Händen über gestreckte Arme haltend, kommen sie nach hinten lehnend und durch die an den Schultern hängenden Lasten ins Gleichgewicht. Mit dieser aufgefächerten Abfangkonstruktion in sechs­­­facher Ausführung verkürzen sich die Spannweiten im Feld und in der Auskragung.

Das Zusammenspiel der beiden Abfangkonstruk­tionen – Dachscheiben und verzweigte Stützen – ermöglicht erst die Raumstruktur mit maximaler Nutzungsvarianz und kurzen Verbindungswegen; ebenso die stützenfreien Räume, mit denen Zwangspunkte und Abhängigkeiten beim Layout und der technischen Ausstattung vermieden werden können. Und es erlaubt letztlich auch die Transparenz in der Fassade und das zentrale, 12 m tiefe und in der Breite von 6,5 bis 9,5 m variierende Atrium als Herzstück inmitten des Volumens. So waren im Sockel mit Erd- und erstem Obergeschoss die weiträumigen, 300 m2 grossen Studios umsetzbar, die nur wenig Tageslicht und stattdessen Blickbeziehungen aus der Tiefe des Raums benötigen. Darin können die grossen Monitorwände mit den zugehörigen Schalt- und Überwachungspulten frei angeordnet werden. Die Geschosse 2 bis 4 sind über Zugstangen an den Deckenrändern nach oben zu den Köpfen der Schrägstützen aufgehängt. Hier liegen die hellen Räume mit Redaktionsflächen, Editplätzen, Produktionsräumen und dem Newsroom. Die Ebenen verknüpfen sich im Atrium über Licht und Sichtbeziehungen kommunikativ und offen miteinander.

Über die Bauphasen zum finalen Gleichgewicht

Ein kreativer Umgang mit dem Kräftefluss ist nötig, um einen solchen akrobatischen Akt zu bewerkstelligen, der letztlich aber in der Balance endet. Bis zu diesem finalen Gleichgewicht erfordert es viele Iterationsschritte, tief gehende Überlegungen, Mut für komplexe Bauzustände und eine Bauherrschaft, die den Planenden vertraute. Die «labilen» Bauphasen bedingten Abläufe und temporäre Lastumlagerungen, die im Baufortschritt zwingend einzuhalten waren, zumal das Tragwerk in dieser Form sehr duktil ist und relativ grosse Deformationen zugelassen werden mussten, bis sich der finale Gleichgewichtszustand einstellte. Dies ist so zwar nicht aussergewöhnlich. Doch die Abhängigkeiten der Tragelemente über alle Geschosse hinweg bis ins Dach machten den Bauablauf überaus vielschichtig.

Erst nachdem sämtliche Haupttragelemente – Geschossdecken, Dachscheiben, Auskragung Seite Ost und West, Zugstangen, Stützenummantelung und Treppenkerne inkl. Treppe – vollständig erstellt, montiert, ausgehärtet, vorgespannt und injiziert waren, konnten alle Spriesse von oben nach unten abgelassen werden. Die Absenkwege der Trag­elemente, die bei den Primärträgern bis zu 40 mm gross sein konnten, wurden dabei geodätisch überprüft und alle Knotenpunkte, wie beispielsweise die Zugstangenenden, mit grossen Muttern in der Höhe nachjustiert.

Werkstattcharakter für die Fernsehproduktion

Die Tragkonstruktion mit ihren markanten Trag­elementen ist zwar Mittel zum Zweck, versteckt sich aber nicht. Sie ist offen sichtbar und gibt dem Innenraum seine Eigenart als Werkstatt mit repräsentativem Charakter. So wird der Newsroom zur gestalteten Arbeitsstätte mit Pulten, Bildschirmen, Grossleinwänden und Aufnahmegeräten. Einzig in der Eingangshalle zelebriert man ein Stück In­genieurbaukunst, gepaart mit Architektur: eine Spindeltreppe, die sich wie ein Zapfenzieher über alle Geschosse bis zu einem spitzen Punktlager ­zusammendreht.
Sie ist – wie der gesamte Bau – im verkleinerten Massstab eine zeit­intensive Konstruktion, für die es während der Erstellung knifflige Bauzustände zu lösen galt, damit sie schliesslich als geschmeidiges Tragwerk daherkommen kann. Die skulpturale Treppe bringt die Bedeutung der Courage des Planungsteams bildhaft zum Ausdruck: Der leidenschaftliche Einsatz für ein Bauwerk kann gebaute Kühnheit schaffen.

Abhängigkeiten über alle Geschosse hinweg

Während das Untergeschoss konventionell erstellt wurde, erforderte die Kassettendecke im Erdgeschoss eine Schalung, die auf die Untergeschossdecke abgestellt wurde. Deren Lasten wurden via Notspriessung im UG auf die Bodenplatte übertragen und von dort über Grossbohrpfähle bis in die Moräne. Die Kassettendecke ist so kon­zipiert, dass sie innerhalb ihrer statisch erforderlichen Höhe von 67,5 cm (47,5 cm Rippenstruktur, 20 cm durchgehende Platte) und neben der statisch und konstruktiv notwendigen Bewehrung inklusive längs und quer verlegter Vorspannkabel noch Platz bietet für Kühllamellen, Strom, Sprinkler und weitere für die Grundinstallation der Gebäudetechnik notwendige Leitungen. Maximal perforiert und in den Platzverhältnissen so ausgereizt, dass nur noch SCC eingesetzt werden konnte, war diese Decke nur mit einem detaillierten, dreidimensional gezeichneten Verlegeplan und mit Building Information Modelling (BIM) umsetzbar. Sie war ausserdem erst tragfähig, als sie vorgespannt, injiziert und ausgehärtet war  – auch dann aber nur in Teilbereichen, da beim Ausschalen das Treppenhaus Nord und der Kern Ost noch nicht gesamthaft tragfähig waren und damit noch nicht als Auflager funktionieren konnten.

Ausserdem konnte die Decke über dem 1.   Obergeschoss nie Lasten aus den Bauzuständen der darüber liegenden Geschosse aufnehmen, denn sie war erst nach dem Spannen und Injizieren inklusive dem Erhärten der Dachscheibenvorspannung und den davon abgehängten Zugstangen vollständig tragfähig. Dies galt auch für die Decke über dem 1. Obergeschoss, was sich wie­derum auf die Bauphasen der oberen Geschosse auswirkte. Es waren Spriessungen notwendig, die im Bereich der Hänger absenkbar und bis auf die Riegel der Bodenplatte zu führen waren. Sie blieben bis zum Rohbauabschluss stehen.

Die Geschossdecken 2 bis 4 wurden mit vorfabrizierten Tragelementen erstellt. Dabei spannen vier bis zu 39 m lange Primärträger von der Fassade auf der Stirnseite des Ge­bäudes zum Anschluss des Bestands auf der gegenüberliegenden Seite. Gelagert sind sie auf den Köpfen der Schrägstützen     – der untere Akrobat – und an den Zugstangen. Dabei können die Schräg­stützen ihre Tragwirkung erst mobilisieren, wenn die Decke über dem 2. OG erhärtet war (mindestens 28 Tage), und die Zugstangen erst, als die Dachscheiben erstellt waren. Bis ­dahin mussten auch die Lasten aus den Primärträgern mit Spriessen bis ­hinunter zur ­Bodenplatte abgefangen werden, ebenso die Lasten aus den Dachscheiben. Wobei diese wiederum jeweils in zwei hori­zontalen Etappen erstellt wurden mussten, damit die abzuspriessende Last während des Betonierens nicht zu hoch war.

Um dem Anspruch der Passgenauigkeit von Ortbeton zu Element- und Stahlbau gerecht zu werden, führte man die Schräg­stützen vorerst während den kritischen ­Bauzuständen als schlanke Stahlprovisorien aus. Sie wurden erst zum Schluss einbetoniert, um die volle Tragfähigkeit und den erforderlichen Brandschutz zu erreichen.

Noch bevor die Dachscheiben erstellt wurden, begann man die Ausleger für die Auskragungen zu montieren – die Arme der Akrobaten –, abwechselnd Seite Ost und Seite West. Dies war die labilste Bauphase im Bauprogramm, da auch die vorfabri­zierten Fassadenträger angehängt wurden. Temporär angeordnete, horizontal mon­tierte Dia­gonalen stabilisierten die Trag­elemente, die erst final ausgesteift waren, als die Decken­elemente verlegt und der Überbeton vergossen und ausgehärtet war.

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