Schö­ne neue Welt

In kurzer Zeit haben die Planungswerkzeuge folgenschwere Entwicklungen durchlaufen. Noch problematischer ist: Nicht nur Planer, auch branchenfremde Akteure setzen die neuen digitalen Technologien ein. IT-Multis wie Google und Amazon drängen als Developer und TU auf den Markt, ­lassen im Bauprozess die Muskeln spielen und sammeln fleissig Daten.

Data di pubblicazione
06-06-2019

Während meines Architekturstudiums stellte ich mir vor, meine Entwürfe, die ich im Kopf hatte, irgendwie direkt zu Papier bringen zu können. Das war Anfang der 1980er-Jahre. Ich lernte mit dem Rapidographen zeichnen und Fehler mit der Rasierklinge zu korrigieren. Dann kamen Computer und CAD.

Nun konnte ich dreidimensional konstruieren und eine Schnittperspektive berechnen lassen. Letzteres dauerte damals noch ein paar Stunden. Heute sind wir, was die Leistungsfähigkeit von Soft- und Hardware anbetrifft, einen grossen Schritt weiter. Und morgen?

Konvergenz als mächtiger Impuls

Nähern wir uns der Vorstellung von damals und entwickeln folgendes Szenario: Eine Lebensgemeinschaft (Partnerschaften, Familien, Wohngemeinschaften, mehrere Generationen) plant, ein Haus zu bauen. Im Dialog mit einer Raumberatung entwickelt sie ein Konzept, das Wünsche, Beispiele und Erfahrungen einbezieht. Nach und nach konkretisiert sich der Entwurf: die Zahl und Anordnung der Räume, die Materialien, der Stil, die Bauweise. Im Prozess informieren Widgets über Kosten, graue Energie, Energieverbrauch, ökologischen Fussabdruck, Rezyklierungsfaktor.

Das Monitoring zu Aspekten des Baurechts oder einem optimalen Einsatz erneuerbarer Energien erfolgt im Hintergrund. Die Raumberatung – dies kann eine Person oder ein mit künstlicher Intelligenz ausgestatteter Chat-Bot sein – moderiert, indem sie Fragen stellt. Ein Assistenzsystem analysiert und interpretiert die Antworten, schlägt Lösungen vor und nutzt maschinelles Lernen für die Berechnung von Varianten.

Die Darstellung erfolgt zunächst auf dem vernetzten Bildschirm, anschlies­send als begehbare Projektion. Nun wird der Entwurf überprüft, Materialien werden festgelegt, Lichtquellen definiert und Abläufe simuliert. Nach Abschluss der Planung werden die Informationen direkt an die Fertigung übergeben.

Klingt nach Science-Fiction? Nun, alle Komponenten sind bereits vorhanden. Was fehlt, ist allenfalls die Kombination von Werkzeugen für das parametrische Entwerfen (Grasshopper, Dynamo, Cityengine und Marionette) sowie die Optimierung von Bauteilen und Grundrissen (aditazz, evolveLAB, ELISI, archilyse.com).

Big Player am Markt

Was wäre, wenn branchenfremde Unternehmen auf den Plan treten und den Bauprozess neu definieren würden? Vielleicht kommt noch eine disruptive Technologie dazu, und die Daten gelangen direkt in die digitale Fertigung?

Ein Tochterunternehmen von Alphabet (ehemals Google1) namens Sidewalk Labs plant aktuell das Quayside-Quartier, einen ganzen Stadtteil am ­Ontariosee in Toronto. Dieses Quartier ist als das Expe­riment einer Smart City geplant. Es soll zeigen, wie unter Mitwirkung der Bürger die Planung eines Stadtteils und des Lebens darin neu definiert werden kann. Dazu will Sidewalk Labs eine neue Art von integrativer ­städtischer Gemeinschaft schaffen, die physische, digitale und soziale Innova­tionen für eine bessere Lebensqualität einsetzt.

Sidewalk Labs setzt neue Technologien ein, um grosse urbane Herausforderungen anzugehen und die Lebensqualität in den Städten zu verbessern. Dafür bringt es die Städteplaner, die die Wiederbelebung von New York City nach dem 11. September leiteten, mit den Technologen zusammen, die Google zu einem der innovativsten Unternehmen der Welt gemacht haben.

Es ist vorgesehen, «eine datengetriebene Modellstadt zu errichten, in der sich Roboterfahrzeuge die Strassen mit Radfahrern und Fussgängern teilen und Bürger zwischen begrünten Holzhäusern flanieren. Doch was als Rückeroberung des öffentlichen Raums verkauft wird, ist in Wahrheit nur eine Privatisierung desselben.»2

Es geht also um die Daten der zukünftigen Bewohner: Gewohnheiten, Bewegungen und Kontakte werden laufend erfasst und ausgewertet. Mehr noch, es geht darum, einen Bereich zu schaffen, der nicht mehr staatlicher Kontrolle unterliegt. Ganz nach dem Geschmack von Google-Gründer Larry Page, der sich schon im Jahr 2013 wünschte: «Als Technologen sollten wir einige sichere Orte haben, an denen wir einige neue Dinge ausprobieren und herausfinden können. Was sind die Auswirkungen auf die Gesellschaft? Was ist die Wirkung auf den Menschen? Ohne es in der normalen Welt einsetzen zu müssen.»3 Darum engagiert sich also ein Unternehmen, das Daten sammelt, im Bauwesen.

Doch zurück zu den Innovationen bei der Planung. Auf einer Fläche von knapp 50 000 m2 soll ein Dutzend Hochhäuser mit bis zu 30 Stockwerken errichtet werden. Als Baumaterial für die Gebäude kommt Brettschichtholz zum Einsatz.

Gebäudekonfigurator und Bauteilbibliothek

Aufgrund seiner Erfahrung mit Hochhäusern in Holzbauweise erhielt der Architekt Michael Green den Auftrag, eine Bauteilbibliothek für diese Art Häuser zu entwickeln. Zwei Tragwerksingenieure prüften die entwickelten Bauteile, die anschliessend von Holzbauunternehmern auf die Möglichkeiten zur Fertigung hin untersucht wurden. Nach Abschluss dieser Phase entwarfen die Architekturbüros Snøhetta, Thomas Heather­wick und abermals Michael Green eine Reihe von Hochhäusern unter Verwendung der Bauteilbibliothek.

Ein Novum ist die parametrische Formfindung mithilfe des Gebäudekonfigurators, der die erwähnte Bauteilbibliothek enthält. Auf der Basis von Angaben zu Grundstücksgrösse, Anzahl der Geschosse, Bau­fluchtlinien oder Grenzabständen entwickelt der Konfigurator verschiedene Varianten von Gebäuden. So können schnell die Machbarkeit untersucht, die Kosten abgeschätzt und die Zeit für die Herstellung ermittelt werden.

Im Holzbauunternehmen werden die Elemente gemäss dem digitalen Modell produziert, zeitgerecht angeliefert und sofort mit dem Kran in die richtige Position gebracht: Im Idealfall wird so ein Geschoss pro Tag errichtet. Der digitale Fertigungsprozess bringt es mit sich, dass alle Elemente identifizierbar sind. Im Fall von Fertigungsproblemen kann so nachgeforscht werden, woher das Holz stammt, wo das Element produziert wurde oder welche Auswirkung es auf andere Bauteile haben könnte.

Michael Green ist seit 2018 im Rahmen einer strategischen Zusammenarbeit mit dem Holzbauunternehmen Katerra verbunden. Diese im Silicon Valley (Menlo Park) ansässige Firma hat sich ambitionierte Ziele gesetzt: nichts weniger als die Bauindustrie zu revolutionieren.

Die Mission lautet, jeden Aspekt des Entwurfs, der Fertigung und der Erstellung eines Gebäudes zu optimieren. Dies erfolgt durch die komplette Integration des Produktionsprozesses mit zuverlässigen Technologien, eine Individualisierung zu den Kosten von Standardprodukten, eine alles umfassende Lieferkette mit hochwertigen Produkten ohne Zwischenhändler sowie Zeit- und Kosteneinsparungen durch Vorfertigung.

Für dieses Vorhaben konnte Katerra einen Fonds gewinnen, der bereit war, 865 Mio. Dollar in die Entwicklung zu investieren. Ein ansehnlicher Teil dieses Wagniskapitals wird in Forschung und Technologie fliessen, um die genannten Ziele, insbesondere das einer durchgängigen Prozesskette, erreichen zu können.

Bei einem Projekt dieser Grössenordnung wäre es nahe­liegend, die Fabrik, die die Bauelemente digital gesteuert produziert, in der Nähe aufzubauen, zumal das Rohmaterial über den Wasserweg angeliefert werden könnte.

Umfassende Datensammlung

Als weiterer Big Player investiert Amazon in das Unternehmen Plant Prefab, einen Hersteller vorgefertigter Module für Ein- und Mehrfamilienhäuser. Es darf vermutet werden, dass daran die Bedingung geknüpft ist, Amazons Alexa-Technologie in die vorgefertigten Elemente zu integrieren. Dieser Sprachassistent arbeitet in einer Vielzahl von Geräten, die von verschiedenen Herstellern stammen.

Aber auch Fernseher, Smartphones, Tablets und Autos haben Alexa eingebaut. Sämtliche Alexa-Geräte verfügen über Mikrofone, um Sprachbefehle entgegennehmen zu können. Inzwischen gibt es in den USA mehr als 50 000 Anwendungen, die Skills genannt werden. Nutzer können sich per Zuruf ein Taxi bestellen, eine Pizza ordern oder auch nur die Wettervorhersage vorlesen lassen.

Amazon ging es bisher weniger darum, seine Echo-Geräte zu verkaufen, als die Plattform weiter auszubauen. Deswegen unterstützt das Unternehmen auch andere Hersteller und Entwickler, wenn sie Alexa nutzen wollen. Mithilfe des Assistenten lassen sich bereits 20 000 Geräte im vernetzten Zuhause ­steuern. So können Nutzer auf Zuruf das Licht an- oder ausschalten, die Heizung regulieren oder die Rollos öffnen.

Die Zahlen des Marktforschers Canalys zeigen jedoch, dass sich Amazon nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen kann, denn auch andere Hersteller sind mit ihren digitalen Assistenten erfolgreich. So soll Google mit seinen ­Google-Home-Lautsprechern und dem eingebauten ­Assistenten inzwischen sogar Amazon bei den Ver­kaufszahlen überholt haben.4

Einmal mehr ist zu fragen, was mit den ge­sammelten Daten und Nutzerprofilen geschieht. Kritiker sprechen von einer Automatisierung der Privat­sphäre. In ihrem Buch «Sie wissen alles» (2014) beschreibt Yvonne Hofstetter real existierende Bedrohungen und mögliche Folgen (vgl. «Weiterführende ­Literatur»).

Sicher ist, dass sich der Bauprozess ändern wird. Die nächste industrielle Revolution ist unterwegs, doch im Unterschied zu früheren Entwicklungen ist nicht eine einzige Technologie die Ursache dafür, sondern das Zusammenspiel vom Internet der Dinge, von Robotik, 3-D-/ 4-D-Druck, Nanotechnologie und künstlicher ­Intelligenz.

Hierzu drei Überlegungen: Ideen basieren auf anderen Ideen, der Schlüssel zur Innovation liegt in der Kooperation (siehe Natur, Evolution, menschliche Zellen), das Internet ist ein Multiplikator für Ideen (Brainstorming, wisdom of crowds) und Ressourcen (Crowdfunding, Wikipedia). Wenn Technologien zu­sammenfliessen, kann dies zu einer erheblichen Beschleunigung von Innovationen und massenhaften Anwendungen führen, die vorher nicht möglich oder denkbar erschienen.

Anmerkungen
1 Seit dem 2.10.2015 gehört Google zu Alphabet, und das Unternehmen ist in mehrere Subunternehmen aufgeteilt. Das Kerngeschäft der Online- und Internetdienste wird unter dem Namen Google fortgeführt.
2 Arian Lobe, «Wie Technologiekonzerne die Stadt optimieren wollen», Süddeutsche Zeitung, 12.1.2019.
3 Larry Page anlässlich der Entwicklerkonferenz 2013 in San Francisco.
4 Thomas Heuzeroth, «Amazons Alexa wird omnipräsent», Bilanz, 21.9.2018.



Weiterführende Literatur


Sie wissen alles
Yvonne Hofstetter, Expertin für künstliche Intelligenz, klärt auf: Die unvorstellbaren Datenmassen, die sekündlich abgeschöpft werden und durchs weltweite Netz fluten, sind allein noch kein Risiko. Die Gefahr für die freiheitliche Gesellschaft geht von intelligenten ­Algorithmen aus. Sie analysieren, pro­gnostizieren und berechnen uns neu, um uns zu kontrollieren – autonom, schnell, überall und immer. Sie verbreiten sich als selbstlernende Haustechnik, vernetzte Autos oder elektronische Armbänder. Hofstetter fordert dazu auf, das einzige Supergrundrecht unserer Gesellschaftsordnung, die Menschenwürde, gegen die digitale Revolution zu verteidigen. Sie plädiert für eine neue Gesetzgebung, eine Ethik der Algorithmen und eine gesellschaftliche Debatte darüber, was der Mensch in Zukunft sein will.

Yvonne Hofstetter, Sie wissen alles, München 2014, Broschur, 352 S., 11.8 × 18.7 cm, deutsch, ISBN 978-3-328-10032-4.

Das Ende der Demokratie
Der digitale Wandel ist längst in der Gesellschaft angekommen. Die Herrschaft der Künstlichen Intelligenz zieht rasant  herauf. Drohen Freiheit und Demokratie zwischen Politikversagen und Big Data zerrieben zu werden? Yvonne Hofstetter warnt: Die Rückkehr in eine selbst verschuldete Unmündigkeit hat begonnen, auch wenn sie in smartem selbst optimierendem Gewand daherkommt. Anhand hochbrisanter Szenarien untersucht die Autorin, wie eine humane digitale Zukunft aussehen kann.

Yvonne Hofstetter, Das Ende der Demokratie, München 2016, Broschur, 512 S., 11.8 × 18.7 cm, deutsch, ISBN 978-3-328-10202-1.

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