Stadt ohne Visionen
Die Investorengemeinschaft der WerkBundStadt Berlin kündigt den Werkbund-Architekten die Zusammenarbeit. Stattdessen wird jetzt das Projekt «Am Spreebord» umgesetzt. Ist das auch die Absage an ein lebendiges, zeitgemässes und sozial gemischtes Stadtquartier? Der Werkbund kann sich für diese Ziele nun nicht mehr einsetzen. Leider zeigt sich, dass Berlins Politiker andere Prioritäten setzen: Es geht um Zahlen und nicht um Visionen.
Vielleicht als zu optimistisch oder gar naiv zeigt sich im Rückblick ein Aspekt des Konzepts WerkbundStadt Berlin: Das Baugrundstück sollte in 39 kleinteilige Parzellen aufteilen werden, die dann von einzelnen Bauherren nach der Planung eines Werkbund-Architekten bebaut werden sollten. Doch diese Idee «musste man fallen lassen, weil die Banken nicht mitgespielt hätten»1, so Paul Kahlfeldt, der das Vorhaben am Spreebord 2014 initiierte.
Die Fläche, auf der die WerkBundStadt entstehen sollte, gehörte dem Hamburger Tanklager-Unternehmer Michael Lange sowie der Familie Mielke und der Gebrüder Kemmer GmbH. Die Besitzer verstanden es, ihre Industriebrachen mithilfe der Marke «Werkbund» gewinnbringend zu veräussern. Noch im Mai 2017 warnte der zuständige Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger, dass der spekulative Wertzuwachs der zwei Grundstücke das modellhafte Planungsverfahren des Werkbunds ausbremsen könnte. Diese Warnung vonseiten der Politik blieb ungehört.
Zwar schlossen im September 2017 alle Parteien eine gemeinsame Zielvereinbarung ab, in der «sich der Eigentümer zu einer modellhaften parzellenorientierten und kleinteiligen Bebauung mit individueller Architektur von 33 Architekten» sowie zur weiteren Beauftragung der WerkbundStadt-Architekten verpflichtet.2 Rechtlich verbindlich ist diese Zusage jedoch nicht.
«Völlig irre»
Im Dezember 2017 kauften Investoren – die Investa Holding GmbH und die Baywobau Bauträger AG – Langes Grundstück. Mielke und Kemmers Fläche wurde einige Monate später an die Kölner Bauwens veräussert, zu einem Kaufpreis, den selbst Investa-Vertreter als «völlig irre» bewerteten.3 Christiane Thalgott, die ehemalige Münchner Stadtbaurätin und Beiratsmitglied der WerkBundStadt, fasst diese Vorgänge als «ein Paradebeispiel für Bodenspekulation» zusammen.4
Die Architekten haben mit ihrem Projekt das Baurecht für 1100 Wohnungen auf einem Industriegrundstück geschaffen. Dadurch hat sich der Bodenwert beträchtlich erhöht. Bodenspekulationen sind in Berlin für Investoren eine sichere Sache: Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich der Preis für Wohnungsbaugrundstücke in den letzten vier Jahren auf 4000 Euro pro Quadratmeter vervierfacht.5
Wie häufig bei Projekten in dieser Grössenordnung kommen nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland dieselben Projektentwickler zum Zug. Ausgestattet mit den nötigen finanziellen Mitteln können sie teures Bauland kaufen und wie im Fall der WerkbundStadt einen komplexen, langwierigen und somit teuren Planungsprozess finanzieren.
Am 29. Oktober 2018 kündigte die Investorengemeinschaft die Zusammenarbeit mit dem Werkbund Berlin auf. Es habe Streit über die weitere Beauftragung der Werkbund-Architekten gegeben. Die Überarbeitung des städtebaulichen Entwurfs wollte die Bauherrschaft lediglich an drei Büros vergeben. Dieses Vorgehen lehnte der Werkbund ab und sah darin eine Verletzung der gemeinsamen Zielvereinbarungen. Die Investoren interpretierten die Reaktion des Werkbunds als Ausstieg und kündigten die Kooperation auf.
Weniger Diskussion, mehr Gewinn?
Soll ein Missverständnis zum Ende der Zusammenarbeit geführt haben? Interne Auseinandersetzungen im Werkbund sollen es dem Bauherren erschwert haben, im Planungsprozess voranzuschreiten.6 Man kann aber der Absage an die Architekten durch die Investorengemeinschaft eine andere Absicht unterstellen: Mit dem Verzicht auf die städtebaulichen Visionen und Rahmenbedingung der WerkbundStadt liesse sich der teure Grundstückskauf finanziell kompensieren. Weniger Diskussion, mehr Gewinn scheint das Kalkül der Projektentwickler zu sein.
Dass der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf den Investor gewähren liess, beklagt Uli Hellweg. Der Vorsitzende des Werkbunds Berlin verweist auf das «Bündnis für Wohnungsneubau» vom 15. Februar 2018. In ihm legt der Bezirk zusammen mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen fest, dass die Wohnungen der WerkbundStadt die Hälfte aller bis 2021 im Planungsrecht geschaffener Wohneinheiten umfassen.
Die Qualitäten der WerkbundStadt sind nicht Bestandteil der Übereinkunft.7 Auch die Aussagen einiger Politiker weisen darauf hin, dass nur noch die Anzahl der Wohnungsneubauten zählt. Jenny Wieland, stadtpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, kommentiert die Absage an den Werkbund: «Aus meiner Sicht ist der Inhalt wichtiger als die Verpackung.»8
Es zeigt sich, dass die verantwortlichen Politiker Berlins nicht an das Versprechen der WerkbundStadt geglaubt haben. Sie waren nicht bereit, den kooperativen Stadtplanungsprozess zu unterstützen, der nicht nur die 32 Werkbund-Architekten in den Dialog brachte, sondern auch frühzeitig Bezirk, Politik und Anwohner beteiligte.
Bittere Kehrtwende
Die Vision für eine lebendige, dichte, zeitgemässe und sozial gemischte Stadt wird nun vielleicht ersetzt von dem Modell, gegen das der Werkbund angetreten war: der gesichtslosen, alles vereinfachenden und exklusiven Grossinvestorenplanung. Das ist bitter, denn die WerkbundStadt hätte den Berlinerinnen und Berlinern zeigen können, dass sich Stadt auch noch heute als Gemeingut weiterbauen lässt.
Die Grundstückseigner haben Christoph Ingehoven, einen der vormals 32 Werkbund-Architekten, mit der weiteren Planung des Projekts «Am Spreebord» beauftragt. Bauherr und Architekt versprechen, sich weiter an die Zielvereinbarungen zu halten, und noch mehr: «Modernerer Städtebau, mehr Grün vor allem, weniger bis gar keine Anklänge an die Enge der klassischen europäischen Stadt.»9
Besonders Letzteres widerspricht der Forderung der Riege um Kahlfeldt, die in der Dichte der Stadt ihr grosses Potenzial sahen. Bisher hat Ingehoven noch nicht gezeigt, wie er seine Versprechen in einem städtebaulichen Entwurf umsetzen möchte. 31 Architekten werden wahrscheinlich besonders gründlich auf seine Pläne sehen.
Anmerkungen
1, 4, 5 Birgit Ochs, «Bodenspekulation in Berlin: Die verspekulierte Stadt», Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.12.2018.
2 Pressemitteilung «Werkbund bedauert Absage des Modellprojektes ‹WerkbundStadt Berlin› durch Eigentümer», 31.10.2018.
3, 7 Uli Hellweg, «Keine WerkbundStadt», Bauwelt 25, 2018.
6 Philipp Siebert, «Werkbundstadt in Charlottenburg: Das Scheitern einer Idee», Berliner Morgenpost, 13.11.2018.
8 Katja Reichgardt, «Modellprojekt ‹Werkbundstadt› ist gescheitert», Berliner Abendblatt, 8.11.2018.
9 Peter Richter, «Mit Grund, aber ohne Boden», Süddeutsche Zeitung, 11.1.2019.