Zu­sam­me­n­hän­gend wa­ch­sen

40 Jahre nachdem er die Grundschule von Camorino erstellt hatte, erhielt der Architekt Pietro Boschetti die Gelegenheit, sie mit einer Aufstockung aus Holz zu ergänzen. Er fügte das Neue subtil mit dem Alten zusammen. 

Data di pubblicazione
08-11-2018
Revision
14-11-2018

«Dieses Gebäude ist wie ein Baum, der in die Höhe wächst und immer stärker wird.» Der Architekt Pietro Boschetti, der die zwei Bauphasen der Grundschule von Camorino verfolgt hat, zitiert die Metapher eines Lehrers und zieht damit die Bilanz eines Projekts, das ihm viel Freude bereitet hat. 1970 baute er mit seinem Bruder Alfonso am Stadtrand die Schule mit der angrenzenden Turnhalle. Damals wie heute bestand der Schulkomplex aus einer ausgewogenen Kombina­tion von Baukörpern und Leerräumen: das Volumen der Schule, die Leere über der Zugangsrampe zum Zivilschutzgebäude und die an die Schule angrenzende Turnhalle. Sie ist übrigens eine der ersten teils ober- und teils unterirdischen, von oben beleuchteten Hallen. In der Nachbarschaft befanden sich verstreut einige Häuser, und nach Süden war der Blick frei auf die bewirtschafteten Felder.

Die Lösung für den Neubau

Heute gehört Camorino zur Agglomera­tion Bellinzona, und die veränderte Demografie machte den Ausbau der Schule nötig. Damit erhielt Boschetti 40 Jahre nach dem Bau die Gelegenheit, seine Architektur zu erweitern. Die soliden Fundamente des Altbaus tragen die Lösungen für den Neubau bereits in sich: Der 4 ×4 m grosse Betonraster und das Flachdach definieren den alten Bau. Eine leichte Fertigteilstruktur aus Holz und Stahl auf der dünnen, vorhandenen Struktur ermöglichte es, die gesamte Dachfläche aufzustocken. Dazu musste das alte Dach nur punktuell mit Kohlebändern verstärkt werden. Auch das vom Bauherrn geforderte ehrgeizige Programm, darunter das Minergie-Energiezertifikat, konnte erfüllt werden. Die Schönheit des umliegenden Parks blieb erhalten und wurde sogar durch die geordnete Neugestaltung des Areals unterstrichen.

Einfache Konstruktion

Die Schülerinnen und Schüler können ihre Roller oder Fahrräder unter Glas- und Stahldächern abstellen. Auf der gegenüberliegenden Seite des rot gepflasterten Porphyrplatzes liegt der Eingang, der von einem Portikus mit dünnen Säulen geschützt ist, sodass das Dach wie auf­gehängt erscheint. Obwohl es fast vollständig renoviert wurde, bleiben die Eigenschaften des Erdgeschosses erhalten. Zwei in den bestehenden Bau neu eingefügte Treppenhäuser und ein Aufzug ermöglichen den Zugang zum ersten Stock, wo sich Unterrichts- und Verwaltungsräume sowie eine Bibliothek befinden. 

Eine pyramidenförmige Kuppel – anstelle der alten, aber höher platziert – beleuchtet das Atrium der Klassenzimmer und das Erdgeschoss. Der Foyerraum in der ersten Etage ist durch Stahlstützen gegliedert, die die Struktur der darunterliegenden Räume aufnehmen. Die Türen dieses Raums führen in die Klassenzimmer, die Bibliothek und die Büros. Im ­Innern der Schulzimmer ist die Atmosphäre anders: Die Holzwände reflek­tieren das Licht aus den Bandfenstern warm und weich. Auch die technischen und konstruktiven Eigenschaften der neuen Räume sind anders als im übrigen Bau. Die Hauptmerkmale des Projekts werden in den Klassenzimmern ersichtlich. Sie übernehmen von den unteren Stockwerken die Tragstruktur von 4 × 8 m an den Ecken. Die Lüftungskanäle und die Verteilung der technischen Anlagen sind im Boden verborgen. Der Aufbau der Untersicht der vorhandenen Traufe ermöglichte diese Lösung. Dadurch konnte ein grosszügiger 28.5 cm hoher Hohlraum für die technischen Installationen geschaffen werden. Unter den Band­fenstern befinden sich Schränke, die an der Innenseite der Holzpfeiler, die das Dach stützen, präzise ausgerichtet sind. Letztendlich übernimmt das Dach die leistungsstärksten Eigenschaften der ­Holzkonstruktion: Die 30-cm-XLAM-Elemente ruhen auf den vorgefertigten Holzwänden oder auf den Stützenreihen zwischen den Randpfeilern. Diese effektive und einfache Konstruktion übernimmt die Dachlasten.

Das Dachwasser wird am Rand des Gebäudes gesammelt und nicht mehr ­wie bisher in die Gebäudepfeiler geleitet, sondern in die oberen Abflüsse. Die vier Fallrohre sind in Betonsilhouetten untergebracht, die die Eckvolumen neu definieren und dem Bau mit der roten ­Zementfassade sein Erscheinungsbild verleihen.

Von aussen betrachtet scheint die Erweiterung eine Intervention zu sein, die in den Proportionen der Volumen gut ­kalibriert ist und durch Farben und Materialien im Gleichgewicht steht – vor allem aber suggeriert sie, dass sie nie etwas anders war als das, was sie ist.
 

Am Bau Beteiligte 
Bauherrschaft: Gemeinde Camorino
Architektur: Pietro Boschetti, Studio d’architettura, Lugano
Statik: Sciarini Studio d’ingegneria, Vira Gambarogno
Statik und Vorfabrikation Holzelemente: Veragouth, Xilema, Bedano
HLKS: Rigozzi Engineering, Camorino

Gebäude 
Gebäudevolumen (SIA 416): 13 338 m3
Volumen Aufstockung (SIA 416): 3915 m3
Geschossfläche: 3749 m2
Geschossfläche Aufstockung: 1027 m2
Label: Minergie

Holz und Konstruktion
Fassade: hinterlüftet, Faserzementplatten
Vorfabrizierte Struktur: Brettschichtholz, Tanne (Österreich)

Daten 
Planung und Ausführung: 2014–2016

Kosten 
Kosten Arbeit: 10.5 Mio CHF


Der Artikel ist erschienen im Sonderheft «Stadt aus Holz IV – Megatrends als treibende Kräfte», ein Projekt im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) und in Zusammenarbeit mit Wüest Partner. Weitere Artikel zum Thema Holz haben wir in einem E-Dossier zusammengestellt.

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