«Es brau­cht neue In­stru­men­te in der Bau­re­ch­tspla­nung»

Entwicklungsgebiet Neugasse Zürich

Data di pubblicazione
11-09-2018
Revision
11-09-2018

Tina Cieslik: Frau Zeleny, nach welchen Kriterien entscheiden die SBB, welches Verfahren für eine Areal­entwicklung angewendet wird? Das partizipative Verfahren in dieser Art war bei der Quartierentwicklung der Neugasse ja eine Premiere. 

Barbara Zeleny: Es ist immer ein Zusammenwirken zwischen der Umfeldanalyse, dem politischen Kontext und der Zielsetzung für das Areal. Sind die Planungen im Einvernehmen mit der gesellschaftlichen Entwicklung? Dementsprechend muss ein Verfahren angepasst werden. Es gibt Areale wie zum Beispiel Basel Wolf, wo sich die SBB zurzeit noch in einer strategischen Phase befinden. Dort macht ein Verfahren wie bei der Neugasse – das schon sehr detailliert in die Tiefe geht – noch keinen Sinn. In jedem Areal muss
also sehr spezifisch definiert werden, was man erreichen will und wie man vorgehen kann.

Die erste öffentlich sichtbare Phase mit den Workshops ist abgeschlossen. Was sind die nächsten Schritte?

Wir sind aktuell mit den Verantwortlichen der Stadt daran, das städtebauliche Konzept aus den Workshops in ein Masterplandokument zu überführen. Das ist eine lokale Besonderheit:
Das Dokument dient dazu, auf Stadtratsebene die Eckwerte einer Überbauung festzulegen, ist also eine Präzisierung der Rahmenbedingungen, bevor die Ausarbeitung des rechtlich verbindlichen Gestaltungsplans beginnt. Dies ist in etwa ver­gleichbar mit einer Synthese nach einer Testplanung. Da wir aber nicht mehrere Entwürfe haben, sondern im jetzigen städtebaulichen Konzept spezifische Aussagen in Teilbereichen benötigen, handelt es sich um keine Veränderung der Grundlage, eher eine Verfeinerung. Zum Beispiel beim Schulstandort: Im Konzept ist dafür das «Depot G» von 1925–1927 mit einem angrenzenden Neubau vorgesehen. Hier braucht es zunächst eine Machbarkeitsstudie, um herauszufinden, ob diese Nutzung an diesem Ort überhaupt möglich ist. Die Partizipation geht aber auch weiter. In der nächsten Phase werden Workshops zu den konkreteren Nutzungen wie dem Gewerbe auf dem Areal stattfinden. Die Erkenntnisse daraus können direkt in das Wettbewerbsprogramm der einzelnen Baufelder einfliessen. 

Was sind die Herausforderungen, die so ein Prozess im Zuge der Baurechtsplanung mit sich bringt? 

Die grösste Herausforderung liegt jetzt darin, die erarbeiteten Inhalte des Mitwirkungsprozesses baurechtlich so zu verankern, dass sie bei der weiteren Entwicklung des Areals zwingend in Betracht gezogen werden müssen. Dabei handelt ­ es sich um «weiche» Elemente, um textliche Beschriebe, manchmal fast philosophische Ansätze – Geschichten, die beschreiben, was der Stadtraum leisten muss, nicht nur um eine konkrete Trauf­höhe oder Strassenbreite. Dafür gibt es aktuell gar keine baurechtlichen Instrumente. Diese Fragestellung ist beim Prozess Neugasse ganz explizit in den Vordergrund gerückt: Wie sichert man Grundbedürfnisse, die nicht der modernistischen Raumplanung entsprechen? Je stärker sich die Prozesse der Arealentwicklung ändern, desto mehr müssen wir Mechanismen und Instrumente der Baurechtsplanung finden, die dieser Entwicklung gerecht werden.

Sie sprechen von textlichen Beschrieben und philo­sophischen Ansätzen – welche Ideen aus dem Partizipationsprozess werden tatsächlich übernommen und wie?

Wir haben dafür die Ideenbibliothek aufgebaut, für die wir sehr akribisch bestimmte Situationen und Ideenansätze abfotografiert sowie textlich beschrieben haben. Diese Sammlung soll als Grundlage für die Architekturwettbewerbe dienen. Im Plan der Neugasse resultieren daraus aktuell sieben Situationen. Für jede davon wird es ein spezifisches Wettbewerbsverfahren geben. Meine Idee ist, die sieben Situationen gleichzeitig auf die Reise zu schicken, dann aber horizontal über alle Situationen eine Konsolidierungsphase einzubauen: In Stadium X werden alle Entwürfe eingefroren und in ein digitales Mastermodell zusammengeführt. Gleichzeitig wird geschaut, wie und ob sie miteinander funktionieren. Durch diese Para­metrisierung kann man Überarbeitungen relativ schnell ausprobieren. Wir haben jetzt Situationen, die sich überlagern – das ist ebenfalls ein wichtiger Punkt, der im Masterplandokument mit der Stadt verhandelt wird. Es gibt Strassenräume mit einer Überlagerung zum angrenzenden Baufeld oder auch Baufelder, die sich über die Strasse hinweg überschneiden. Es geht also nicht darum, einen Strassenraum vorab zu definieren, der eine fixe Information an das Baufeld liefert, sondern darum, dass über das Baufeld der öffentliche Raum definiert wird. Baufeld A und Baufeld B überschneiden sich, die Schnittmenge ist der Verhandlungsraum von beiden. Diese Reibung braucht es in einer Stadt, damit die Strassen wieder zu lebendigen Räumen werden und nicht nur technokratische Zonen mit festgesetzten Dimensionen sind.

Der Baubeginn wird frühestens 2022 sein. Bedürfnisse verändern sich, ebenso das politische Umfeld – werden die Ideen von 2017 dann noch zeitgemäss sein?

In der Stadtplanung legt man schon immer frühzeitig Dinge fest, über die man sich dann in der Entwicklung nur schwer hinwegsetzen kann. Deswegen finde ich es wichtig, grundsätzlich zu hinterfragen, ob die baurechtliche Sicherung wirklich so unverrückbar sein muss. Oder kann damit begonnen werden, über Festsetzungen in Etappen gewisse Adaptionsspielräume zu öffnen? Ich bin überzeugt, dass uns das innerhalb dieses Projekts gelingen wird.

Dieser Beitrag stammt aus der Sonderpublikation «SBB-Areale: vom Betrieb zur Stadt». Weitere Beiträge zum Thema finden Sie hier.

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