Neu­tra­le In­stanz in orts­bau­li­chen Fra­gen

Baukultur konkret

Verträgt sich das geplante Gebäude mit dem Ortsbild? Der unabhängige Gestaltungbeirat der SIA-Sektion Thurgau berät seit 15 Jahren Gemeinden bei Bauvorhaben mit gestalterischem Konfliktpotenzial. Einige lassen sich überhaupt nicht beraten, andere immer wieder.

 

Data di pubblicazione
11-08-2017
Revision
11-08-2017

Mit dem SIA-Gestaltungsbeirat bietet die Sektion Thur­gau seit fünfzehn Jahren eine Dienstleistung zur ortsbau­lichen und architektonischen Be­urteilung von Bauprojekten an. Das Angebot entstand aus dem Anliegen, Baukultur zu fördern: Ortsbauliche und architektonische Qualität sollten nicht nur als Geschmacksfrage verstanden, sondern mit Argumenten hinterlegt und nachvollziehbar diskutiert und dargestellt werden.

Für gewöhnlich wird das Angebot von Behördenseite im Rahmen eines Bewilligungsverfahrens zugezogen. Meist handelt es sich um Projekte in landschaftlich oder ortsbaulich sensibler Lage, deren Einpassung Fragen aufwirft. Oftmals geht der Beurteilung durch den Beirat schon ein abgewiesenes Baugesuch voraus, oder die Denkmalpflege hat sich kritisch zum Vorhaben geäussert. Mit der Beurteilung soll eine zusätzliche fachlich versierte Meinung eingeholt werden, die als Beitrag zur Entscheidungsfindung dient.

Der SIA-Gestaltungsbeirat wird vom Vorstand der Sektion bestellt, arbeitet aber unabhängig. Er besteht aus elf Mitgliedern, die ein breites interdisziplinäres Fachwissen abdecken. Vertreten sind die Disziplinen Raumplanung, Landschaftsarchitektur, Architektur und Statik. Weiter gehört auch die Denkmalpflege in beratender Funktion dazu. Kürzlich hat nach fünfzehn Jahren erstmals der Vorsitz gewechselt: Die Nachfolge von Christoph Tobler tritt Konradin Fischer an, ein Ingenieur aus Arbon. Die Dienstleistung ist kostenpflichtig, aber nicht kostendeckend. Den Beitrag haben wir bewusst tief angesetzt, damit er nicht zum Argument wird, auf eine Beurteilung zu verzichten.

Diskussion bis zum Konsens

Ist ein neuer Fall zu beurteilen, nehmen zunächst zwei Vertreter des Beirats die Situation vor Ort in Augenschein. Im nächsten Schritt verfassen sie einen Berichtsentwurf, der den anderen Mitgliedern vor der eigentlichen Beratung zugesandt wird. An der Beratung selbst nimmt immer der gesamte Beirat teil, und die Diskussion wird so lang geführt, bis ein Konsens gefunden ist. Auf dieser Basis wird der Bericht redigiert und an den Auftraggeber übermittelt.

Neben der detaillierten Beschreibung und Darstellung der ortsbaulichen und architektonischen Projektqualitäten ist die konkrete Benennung der jeweils geltenden gesetzlichen Grundlagen ein sehr wichtiger Bestandteil des Berichts. Vom ISOS über die kantonalen Bestimmungen zu den Vorschriften der Gemeinden werden die einschlägigen Passagen zitiert. Es geht darum aufzuzeigen, dass eine Einpassung auf mehreren Ebenen gesetzlich gefordert ist und daraus auch direkt ein Anspruch auf eine adäquate Projektqualität abgeleitet werden kann.

Während die Projekte innerhalb des Beirats intensiv und auch kontrovers diskutiert werden, legen wir Wert darauf, dass sich die Kommunikation mit der auftraggebenden Gemeinde auf den schriftlichen Bericht beschränkt. Dieser wird nicht mündlich kommentiert oder erläutert. Der Gestaltungsbeirat empfiehlt zwar klar, welche Punkte überarbeitet werden sollten, vermeidet aber konkrete Verbesserungsvorschläge. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Umsetzung solcher Ratschläge selten zu den gewünschten Ergebnissen und schon gar nicht zwingend zu einer Qualitätssteigerung führt.

Wirkung und Erfolg

Auffällig ist, dass sich über die Jahre hinweg immer wieder dieselben Behörden Stellungnahmen beim ­Beirat anfordern. Das erlaubt den Schluss, dass unsere Beurteilungen ihren Anforderungen entsprechen. Zudem ist zu beobachten, dass diese Projekte in ortsbaulicher Hinsicht nach dem Bericht oft nochmals eine deutliche Überarbeitung erfahren. Einige Projekte wurden auch ganz zurückgestellt. Hier war offensichtlich die Diskrepanz zwischen der Absicht und dem zulässigem Spielraum zu gross, um damit weiter zu fahren. Ausschlaggebend ist in diesem Fällen häufig eine massive Übernutzung in einer Kern- oder Dorfzone, wo keine konkreten Vorschriften dafür bestehen und die Ortsverträglichkeit ermessen werden muss.

Insgesamt überwiegen die negativen Beurteilungen. Dies liegt nicht so sehr daran, dass der Beirat immer ein Haar in der Suppe findet; oft lässt vielmehr die Projektqualität derart zu wünschen übrig, dass die Behörden verunsichert sind und selbst an der Bewilligungsfähigkeit zweifeln. Das Urteil kommt in diesem Fall einer Bestätigung ihrer Ahnung gleich.

Der Gestaltungsbeirat wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Baukultur zu fördern. Schon bei der Gründung gehörten die Bauverwaltungen zu den Hauptadressaten. Der Thurgau umfasst achtzig Gemeinden, von denen sechs über zehntausend Einwohner zählen. Nur die grösseren Orte können sich ein ständiges Baukollegium leisten, das in der Lage ist, über quantitative Aspekte hinaus auch qualitative zu erwägen. Diese Lücke war eine wichtige Motivation, um den Beirat ins Leben zu rufen. Dass dieses Angebot einem Bedürfnis entspricht, zeigt die stete Nachfrage. Jenseits der ­eigentlichen fachlichen Argumen­tation ist es für die Resonanz der Beurteilungen nicht unerheblich, dass sie von aussen erfolgen und somit unberührt sind von internen Zerwürfnissen oder politischen Fronten. Die Tatsache, dass ein breites Gremium und nicht eine Einzelmeinung dahinter steht, trägt wohl ebenfalls zur Akzeptanz bei.

Bauten an ortsbaulichen Schlüsselstellen

Nach zehnjährigem Bestehen hat die Sektion Thurgau bilanzierend Rückschau auf die Beiratsarbeit gehalten. Die relativ kleine Zahl jährlich be­arbeiteter Fälle führte zu der Frage, ob das gesteckte Ziel ­überhaupt erreicht werden kann und eine Weiterführung sinnvoll ist. Die Sektion entschloss sich jedoch, den Beirat weiterzuführen, denn seine bisherige Tätigkeit er­zielte sichtbare Ergebnisse. Obschon gering in der Zahl, geht es bei diesen Bauvorhaben um ortsbauliche Schlüsselstellen oder deren unmittelbare Nähe. Gerade in einem Dorfkern oder Weiler spielt jedes ein­zelne Haus eine wichtige Rolle und trägt zur Erscheinung des gesam­ten Ortsbilds bei. Weiter sind Beurteilungen häufig auch an landschaftlich exponierter Lagen erwünscht: Die Fernwirkung dieser Projekte strahlt weit über das eigentliche Ortsgebiet hinaus und gestaltet damit Landschaft.

Unser Fazit: Baukultur kann nur eingefordert werden, wenn den Bewilligungsinstanzen die ent­sprechenden gesetzlichen Grundlagen, Instrumente und deren Handhabung bekannt sind. Baukultur fördern heisst also zu wissen, auf welcher Grundlage mehr Baukultur gefordert werden kann.
 

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