Fracht­schleu­se der Al­pen

Wege am Brenner

2 280 000 Lkw überquerten 2016 den 1371 m hohen ­Brennerpass. Ob italienisches Acqua minerale nach Norden, deutschen ­Sprudel nach Süden oder doch sinnvollere Transporte – der ­Brenner hat schon alles und alle kommen und gehen sehen: Kaiser, Diktatoren, Zöllner, vor allem aber täglich Reisende und Güter.

Publikationsdatum
17-05-2018
Revision
17-05-2018

Der Brenner ist heute kein Postkartenmotiv: Der komplett verbaute Pass, über den schon römische Legionäre marschierten, mittelalterliche Könige nach Rom zogen und als Kaiser zurückkehrten, Säumer ihre Lasten brachten und auf dem Mussolini Hitler die Hand schüttelte, gleicht von oben einem Lindwurm, der nach Süden will. Feuer spuckt er freilich nicht, lediglich Verbrennungsabgase und natürlich eines: Strassen- und Schienenfahr­zeuge in beide Richtungen. Dabei suggeriert das Luftbild eine falsche Verteilung. Über die breiten Gleis­anlagen am Bahnhof Brenner werden bedeutend weniger Güter umgeschlagen als über das schmale Band der Autobahn.

71 % der über den Pass beförderten Transitgüter, das entspricht 31.2 Mio. t, erreichten 2015 ihr Ziel per Lkw, im Gegensatz zu den 12.7 Mio. t an Waren, die von der bestehende Brennerbahn transportiert wurden. Die Zahlen sind gewaltig. Der Brenner hat nicht nur das höchste Frachtaufkommen aller Alpenpässe, über ihn rollen sogar mehr Güter als über sämtliche alpenquerenden Routen der Schweiz (Gr. St.-Bernhard, Simplon, Gotthard, San Bernadino) oder auch über alle Alpenübergänge von Frankreich nach Italien. In der Schweiz bildet sich der Modal Split, der Anteil der Verkehrsträger am Güterverkehr, jedoch umgekehrt ab: 2016 transportierte hier die Eisenbahn 71 % der Fracht, während der Strassenverkehr nur 29 % einnahm. Werte, die die Bevölkerung der Brenner­region als traumhaft ansehen dürfte.

Seit 1972 die Strecke Innsbruck bis Modena nahezu durchgehend auf der Autobahn befahren werden konnte – ein letztes Teilstück vor Bozen wurde erst 1974 eröffnet –, übernahm am Brenner der Strassenverkehr die Führung in der Güterabwicklung. Abgesehen von kleineren Rückschritten stieg das Transportaufkommen sowohl im Schienen- als auch im Strassenverkehr kontinuierlich an. Das Diagramm der Entwicklung des Güterverkehrs am Brenner liest sich dabei wie ein historischer Rückblick auf die europäische Konjunktur. 2008 und 2009 etwa kann man deutlich einen Rückgang des Frachtvolumens ablesen: Die Finanzkrise zeigte ihre Auswirkungen.

Zwar verfolgt die EU grundsätzlich das Ziel, den Verkehr von der Strasse auf die Schiene zu bringen, doch mit der bestehenden Brennerbahn wäre eine Umkehrung der bestehenden Verhältnisse kaum möglich. Werden in 24 Stunden doch etwa 6500 Lkw an den Mautstationen der Brennerautobahn gezählt. Hinzu kommen noch um die 30 000 Pkw oder ähnliche Fahrzeuge täglich, die die Strecke zumindest teilweise befahren. Diese Zahlen vermitteln selbst Ortsunkundigen eine Vorstellung dessen, was die Brennerroute alles auf sich nimmt respektive was die Anwohner auf sich nehmen müssen.

Transit – Verdiener und Verlierer

Der «Transitwahn», von dem viele sprechen, hat in der Vergangenheit oft zu Unmut bei weiten Teilen der Ortsansässigen geführt. Um sich medial Gehör zu verschaffen, veranstalteten Anwohner mehrere Demonstrationen, die stundenweise Sperrungen der Brennerautobahn nach sich zogen. Bedenkt man die Umweltbelastung durch Abgase und Lärm, die sich in Gebirgstälern bedeutend höher auswirkt als in der ­Ebene, sind die Forderungen nach einer Verringerung des Verkehrs nachvollziehbar. Andererseits ist der Transitverkehr ein lukratives Geschäft. 1.37 Mrd. Euro nahm die Asfinag, die für die 2200 km Fernstrassen und Autobahnen ­Österreichs verantwortliche Infrastrukturgesellschaft, 2017 im ganzen Land aus dem Lkw-Verkehr ein. Zahlen für die Brennerroute sind nicht erhältlich, allerdings lassen sich aus der Fahrzeuganzahl von über zwei Millionen und einer Mautgebühr von etwa 50 Euro auf österreichischer Seite die Einnahmen abschätzen.

Dabei sind die Erlöse nicht nur als notwendiges Übel nach dem Motto «Wir machen das Beste draus» zu betrachten. Die alpinen Transitrouten können inter­national durchaus in Konkurrenz zueinander gesehen werden. Die Brennerstrecke gehört dabei aufgrund der Mauthöhe und der Treibstoffpreise zu den günstigen. Deshalb machen Umwegfahrten einen beachtlichen Anteil des Verkehrsaufkommens am Brenner aus. 2011 etwa hätten rund 25 % der Lkw, die den Brenner befuhren, über den Gotthard eine um mindestens 60 km kürzere Route gehabt. Allerdings kann man auch anführen, dass 60 km Umweg für einen Lkw kaum ins Gewicht fallen, wenn man weniger Kontrollen und Formalitäten, etwa an der Grenze, in Betracht zieht und dazu noch günstiger tanken kann.

Eine gewisse Entspannung des massiven Stras­sengütertransports in Tirol und Südtirol soll ab 2027 der Brenner-­Basistunnel bringen. Der Tunnel, das Herzstück des SCAN-MED (vgl. Kasten unten), wird mit seinen 64 km die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt, rechnet man die bereits seit 1994 bestehende, 9 km lange südliche Güterzugumfahrung um Innsbruck mit ein. Die als Flachbahn konzipierte Verbindung befindet sich derzeit im Bau (vgl. «Vor dem Vortrieb erst erkun­den»). Mit 120 km/h werden Güterzüge zwischen Tulfes respektive Innsbruck und Franzensfeste in Südtirol den Alpenhauptkamm unterqueren können. Personenzüge werden sogar 250 km/h erreichen. Ein weiterer verkehrstechnischer Höhepunkt, der wie in frühe­ren Zeiten wieder einmal am Brenner entsteht.

Die Brennerbahn

Als Brennerbahn bezeichnet man die über den Pass führende ­Eisenbahnverbindung zwischen Innsbruck und Verona. Zu Beginn ihrer Bauzeit führte die gesamte Strecke noch durch Herrschaftsgebiet der Habsburger-Monarchie. In nur dreieinhalb Jahren Bauzeit ­zwischen 1864 und 1867 entstand der Abschnitt über den Alpenhauptkamm zwischen Innsbruck und Bozen. Nach Plänen von Karl Etzel und unter der Leitung des Schweizer Ingenieurs Achilles Thommen setzten bis zu 20 600 Arbeiter das Trassee mit seinen zahlreichen Kunstbauten um und schufen damit seit der Eröffnung der Semmeringbahn zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag (Strecke Wien–Graz) im Jahr 1854 die zweite alpenüberquerende Bahnverbindung – die damals steilste Adhäsionsbahn überhaupt.

Die Strecke führt von Innsbruck (582 m ü. A.)1 durch das nördliche Wipptal und überwindet bis zum Brennerpass einen Höhenunterschied von 789 m %%gallerylink:41175:(vgl. Karte)%%. Von der Passhöhe folgt die Bahnlinie dem südlichen Wipptal respektive Eisacktal bis Franzensfeste (747 m s. l. m.)1, weiter nach Bozen (266 m s. l. m.) und durch das Etschtal bis Verona. Um die Steigungen zu verringern, wurde die Strecke mit zwei Kehrtunnelbauten künstlich verlängert – damals ein Novum im Eisenbahnbau. Die maximale Steigung auf der Brennerstrecke konnte so auf 25 ‰ an der Nord- und 22.5 ‰ an der Südrampe beschränkt werden. Noch heute wird auf der Nordrampe das Dorf St. Jodok am Brenner von der Bahnlinie re­spektive dem Tunnel auf drei Seiten umfahren. Der zweite Kehrtunnel, der Aster Tunnel auf der Südrampe, ist seit 1999 aufgelassen und wurde durch den Pflerschtunnel mit neuer Linienführung ersetzt.

Auch 151 Jahre nach Eröffnung der Brennerbahn kann die damalige Planung als vorausschauend bezeichnet werden. Im Lauf der Zeit kam es jedoch des Öfteren zu übergeordneten Weichenstellungen, die weiterführenden Planungen nicht gerade förderlich waren. Für die Planungsleistung der Erbauer spricht etwa, dass es nur vier Wochen dauerte, bis die Brennerstrecke ab der ersten Probefahrt für den Personen­verkehr freigegeben wurde. Eine feierliche Eröffnung blieb aus, da aufgrund der Hinrichtung von Kaiser ­Maximilian von Mexiko Hoftrauer im habsburgisch regierten Österreich verhängt war. Ein Jahr zuvor, 1886, konnte das junge Königreich Italien Venetien annektieren. Das südlichste Stück der Brennerbahn entlang des Gardasees fiel damit an einen anderen Staat.

Aus Kostengründen hatte die Bahn über den Alpenhauptkamm bei ihrer Eröffnung 1867 nur ein Gleis, jedoch war das Trassee umsichtig für zwei Gleise angelegt worden. Bereits 1868 verlief der Verkehr auf der Nordrampe zweigleisig, ab 1908 auf der gesamten Strecke. Einen Fortschritt mit Folgen brachte die ­Elektrifizierung der Strecke mit sich. Da nach dem ­Ersten Weltkrieg Südtirol und damit die Südrampe der Brennerbahn Italien zugeschlagen war, verlief nun am Brennerpass die Staatsgrenze. Für den südlichen Abschnitt der ­Brennerbahn waren ab jetzt die Ferrovie dello Stato verantwortlich, auf Nordtiroler Gebiet kam die Österreichische Bundesbahn zum Zug. Beide Strecken wurden 1928–1929 elektrifiziert – allerdings leider mit unterschiedlichen, nicht kompatiblen Strom­systemen. Die Österreicher setzten auf ein Einphasen-Wechselstrom­system mit 15 kV und 16.7 Hz, wie es auch heute in der Schweiz, Österreich und Deutschland üblich ist, während auf italienischer Seite Dreiphasen-Wechselstrom für den Antrieb sorgte.

Bis 1934 kam noch erschwerend hinzu, dass der Bahnhof am Brennerpass grösstenteils auf italienischem Gebiet liegt. Daher konnte die österreichische Seite ihre Elektrifizierung nur bis zur Station Brennersee, nördlich unterhalb des Passes, führen. Ein Weiterführung des österreichischen Stromsystems bis zum Passbahnhof blieb untersagt. Zwischen Brennersee und Pass mussten die Waggons folglich mit Dampflokomotiven befördert werden, bevor dann italienische Loks übernahmen. Ab 1934 gehörte diese Farce aber der Geschichte an. Das österreichische Stromsystem wurde bis in den Bahnhof Brenner weiterverlegt, sodass dieser ein Systemwechselbahnhof wurde.

Ab 1976 stellte die italienische Staatsbahn ihre Brennerstrecke zwar auf 3 kV Gleichstrom um, doch das änderte nichts an der unschönen Begleiterscheinung, dass stromgetriebene Züge die ­Strecke nicht durchgehend befahren konnten. Auf dem Brenner mussten die Lokomotiven aus­gewechselt werden. 1993 – immerhin – konnten erstmals Güterzüge, gezogen von sogenannten «Brennerloks», die Strecke durchgehend elektrisch befahren. Allerdings kamen die Lokomotiven aufgrund des Stopps der RoLa über die Brennerroute im Jahr 1992 und Desinteresse auf italienischer Seite kaum zum ­Einsatz. Heute gibt es mehrere moderne Mehrsystemlokomotiven, um die Strecke, die eine Kapazität von etwa 230 Zügen pro Tag aufweist, durchgängig befahren zu können.

Die alte Brennerstrasse (B 174 und SS 12)

Vor dem Bau der Brennerautobahn lief der gesamte strassengebundene Transitverkehr über die alte Brennerstrasse. Die Motorisierung Deutschlands im Zuge des Wirtschaftswunders erreichte in den 1950er- und 1960er-Jahren die Alpen. Der Traum, Italien mit dem eigenen Auto anzusteuern, war in greifbare Nähe gerückt. Käfer an Käfer, NSU an BMW Isetta, alles wollte in den Süden. Noch heute führt die Bundesstrasse B 174 von Innsbruck unter der Europabrücke ­(Autobahn, seit 1963) hindurch, umfährt Schönberg und durchquert die Hauptorte an der Brennerroute – Matrei, Steinach und Gries.

Der untere Abschnitt bis Schönberg wurde bereits 1844 fertiggestellt. Für den Gütertransitverkehr ist sie heute jedoch gesperrt, sodass sie nur für den Ziel- und Quellverkehr und natürlich für den motorisierten Individualverkehr von Bedeutung ist. Aufgrund der kurvenreichen Strecke im unteren Abschnitt und der zahlreichen Ortsdurchfahrten wird die alte Brennerstrasse, die von Pkw mautfrei befahren werden darf, vor allem für Reisende ohne Zeitdruck oder zur Umfahrung eines Staus auf der Autobahn genutzt.

Die Brennerautobahn (A 13 und A 22)

Als erste Autobahn über die Alpen war die Brenner­autobahn eine technische Meisterleistung und ist es mit ihren zahlreichen Kunstbauten bis heute geblieben. Mit ihrer Steigung von maximal 6 % bildet sie seit ihrer Fertigstellung 1974 das Rückgrat des alpenquerenden Verkehrs.

Höhepunkt der A 13 auf österreichischer Seite ist zweifelsohne die Europabrücke. Anfängliche Planungen sahen sie noch gar nicht vor. Die Autobahn sollte, wie auch die Brennerbahn, eigentlich auf der orografisch rechten Flusseite der Sill entlang geführt werden. Touristischen Überlegungen folgend wechselte man aber vor Schönberg die Talseite, was eine Brücke nötig machte. Die 657 m lange Hauptbrücke mit ihren fünf Stahlbetonpfeilern war bei ihrer Fertigstellung im Jahr 1963 mit 190 m die höchste Brücke Europas. Die Konstruktion als stählerner Hohlkastenträger mit orthotroper Platte muss gewaltige Windlasten aufnehmen können – ist das Wipptal doch ein Föhntal par excel­lence. Die anfängliche Breite von 22.20 m wurde 1984 auf 24.60 m erhöht. Seither besitzt die Brücke in jede Richtung drei ­Fahrspuren und jeweils einen davon abgetrennten Gehweg.

Auf italienischer Seite ist der Gossensass-­Viadukt (Viadotto Colle Isarco) der A 22 das auffälligste Bauwerk. Mit einer Länge von 1031.5 m und zwölf ­Pfeilern mit einer Höhe bis zu 87 m überbrücken die 13 Felder (grösste Spannweite 163 m) hoch über dem Ort Gossensass den Fluss Eisack.

Der Brenner-Basistunnel

Selbst das modernste Projekt am Brenner ist vor Skurrilitäten nicht gefeit. Der Brenner-Basistunnel wird als Scheiteltunnel von Innsbruck nach Franzensfeste geführt. Mit maximal 6.7 ‰ führt er von Innsbruck zum Scheitelpunkt auf 790 m ü. M. (Schienenoberkante [SOK] 794 m), 580 m unter dem Pass. Von dort geht es mit 4 ‰ bergab zum südlichen Tunnelportal bei Franzensfeste. Die Neigungen hätten aufgrund des Höhenunterschieds der Portale Innsbruck (SOK 608.8 m) und Franzens­feste  (SOK 747.2 m) noch geringer ausfallen können. Die italienische Seite bestand aber auf einem künstlichen Scheitelpunkt an der Grenze. Auf italienischem Gebiet anfallendes Wasser wird also nach Italien entwässert.

Die Auslegung des Brenner-Basistunnels samt der bestehenden Brennerstrecke wird etwa 400 Züge pro Tag betragen. Aufgrund der Ausgestaltung als Flachbahn können die Züge künftig schwerer sein als auf der Bestands­strecke. 25 Minuten werden Personenzüge von Innsbruck nach Franzensfeste benötigen – etwa eine Stunde weniger als bisher.

Die Nord- und Südzuläufe

Eine unbefriedigende Situation für den Brenner-Basistunnel zeichnet sich ausserhalb seines Projektperimeters ab. Ob eine genügende Auslastung gegeben sein wird, hängt in erster Linie von der Politik ab. Gelingt die Umlagerung von der Strasse auf die Schiene nicht in gewünschtem Mass, werden die Gelder – die Kostenschätzung beträgt immerhin etwa 8 Mrd. Euro –, wie es Projektgegner befürchten, im wahrsten Sinn «verlocht» sein. Die Zulaufstrecken zum Tunnel sind daher von immenser Bedeutung. Im Norden des Brenner-Basis­tunnels ist die Unterinntalstrecke von Wörgl bis Innsbruck mit einer Kapazität von bis zu 570 Zügen pro Tag bereits fertig ausgebaut. Neben der Bestandsstrecke ist eine neue, zweigleisige Strecke entstanden. Von dieser 40 km langen Eisenbahnverbindung führen 34 km durch Tunnel, Galerien und Wannen, um die Auswirkungen auf das Inntal möglichst gering zu halten.

Von Wörgl bis zur deutsch-österreichischen Grenze bei Kiefersfelden stehen Ausbaupläne bereits fest, sind aber abhängig von der Trassenführung einer Neubaustrecke auf deutscher Seite (München–Rosenheim–Kiefersfelden; derzeitige Kapazität etwa 260 Züge pro Tag). Die Planung Letzterer ist jedoch zeitlich bedeutend im Verzug, sieht man auf die Eröffnung des Tunnels 2027. Derzeit liegen Korridor­entwürfe vor, aus denen dann das Trassen­aus­wahl­verfahren erstellt werden soll, selbstverständlich unter Einbezug relevanter Entscheidungsträger – in der Schweiz würde man hierzu partizipative Planung sagen. Ein durchgängiger, die Anforderungen erfüllender Nord­zulauf kann durchaus erst zehn Jahre nach der Inbetriebnahme des Brenner-Basistunnels umgesetzt sein.

Am Südzulauf sieht es etwas entspannter aus. Da bereits einige Tunnel neu erstellt wurden (Ceraino, Kardaun, Schlern, Pflersch), liegt das Augenmerk nun auf der Modernisierung technischer Anlagen. Derzeit können 280 Züge am Tag die Strecke befahren. Die Kapazität soll bis zur durchgehenden Verbindung unter dem Brenner auf 400 Züge pro Tag gesteigert werden.

Der Brennerpass von morgen

Ob der Brenner-Basistunnel zur räumlichen Entlastung des Transitverkehrs in gewünschtem Mass beitragen wird, ist also offen. Eventuell könnte eine Umlagerung der Güterströme zu einer touristischen Belebung des Wipptals führen. Ein Ferienziel im Herzen der Alpen mit ausserordentlich guter Verkehrsanbindung – das klingt vielversprechend. Am Brenner gab es das schon einmal: Brennerbad, südlich des Passes, erlebte als bekanntes Thermalbad seine Blütezeit im 19. Jahrhundert und besass ab 1869 sogar Schnellzuganschluss. Der Ort Brenner selbst, ein Konstrukt aus (ehemaliger) Zollwache, Eisenbahnersiedlung und Handelsunternehmen, verwaiste seit dem Beitritt Österreichs zum Schengener Abkommen 1998 mehr und mehr.

Heute noch als «Auspuff Europas» ­ver­unglimpft, ist den meisten die Brennergegend nur von der Durchreise her bekannt. Dabei gibt es hier einiges zu entdecken. Die weltberühmten Dolomiten etwa verdanken ihren Namen dem Dolomitgestein, das nach dem Herkunftsort des Entdeckers Déodat Gratet de Dolomieu benannt ist. Dem Namen liegt also ein französisches Dorf zugrunde, das Gestein aber stammte von den Tribulaunen – und die stehen weder in Frankreich noch in den Dolomiten, sondern am Brenner.

Anmerkung
1 Die absoluten Höhenangaben in Österreich (m ü. A. = Meter über Adria) und Italien (m s. l. m. = metri sul livello del mare) weichen bis zu 3.2 cm voneinander ab.


SCAN-MED, Teil des TEN-V

Der Skandinavien-Mittelmeer-Korridor (SCAN-MED) ist der längste der neun Kernnetzkorridore des Trans­europäischen Verkehrsnetzes (TEN-V). Das TEN-V ist das gemeinsame hochrangige Netz für Strassen-, Schienen-, Luft- und Wasserstrassenverkehr der EU. Seine Aufgabe ist es, durch Verbesserungen der Infrastruktur die Verkehrsflüsse im Europäischen Binnenmarkt zukunfts­fähig zu gestalten. Dies geschieht etwa durch Beseitigung von Engpässen und technischen Hindernissen, aber auch auf Ebene der Verwaltung. Für die Kernnetzkorridore gelten bestimmte Anforderungen an die Beschaffenheit der Infrastruktur: Alle Bahn­strecken im TEN-V-Kernnetz werden zur Gänze elektrifiziert. Güterverkehrsstrecken werden mindestens auf 22.5 t Achslast, 100 km/h Streckengeschwindigkeit und Zuglängen von 740 m ausgelegt. Alle Strecken werden mit dem System ERTMS ausgerüstet. Für neue Bahnstrecken ist eine Regelspurweite von 1.435 mm verbind­lich. Für den SCAN-MED-Korridor selbst gelten sogar noch strengere Anforderungen. (Peter Seitz)

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