Son­der­ba­rer So­litär

Centre Le Corbusier, Zürich, Baugeschichte

Vor 50 Jahren starb Le Corbusier. Sein Zürcher Ausstellungspavillon Centre Le Corbusier / Museum Heidi Weber wurde zwei Jahre nach seinem Tod eingeweiht. Der Bau ist so komplex wie seine Entstehungsgeschichte.

Date de publication
28-05-2015
Revision
07-10-2015

Nicht weniger als eine Synthese von Architektur und Kunst hatte Le Corbusier (1887–1965) beim Entwurf im Sinn, einen Hybrid aus Ausstellungsbau und Wohnhaus, einen Prototyp seiner patentierten Stahlkonstruktion – kurz: ein gebautes Manifest. Es sollte sein Gesamtwerk verkörpern: die Überlegungen zu Raum und Proportion, Konstruktion und Farbgestaltung, zu Innenausbau und Möbeln, aber auch seine Kunst in Form von Collagen, Lithografien und Skulpturen.

Die Initiative für den Bau ging von der Zürcher Innenarchitektin und Galeristin Heidi Weber aus (Kasten unten). 1960 kam Le Corbusier zu einer ihrer Ausstellungen nach Zürich.1 Bei einem Spaziergang durch den städtischen Park am Zürichhorn präsentierte sie ihm ihre Vision eines Ausstellungspavillons an diesem Ort. Kein Le-Corbusier-Mausoleum sollte es werden, sondern ein lebendiges Haus, gewidmet der Vermittlung von Werk und Ideen des Meisters. 

Le Corbusier zeigte sich jedoch zunächst ab­lehnend: «Non, je ne ferai plus rien pour les Suisses. Les Suisses n’ont jamais été chic avec moi.»2 Heidi Weber vermochte aber zunächst ihn zu überzeugen und dann auch die Stadt Zürich, die nach einigen Anlaufschwierigkeiten das Grundstück für 50 Jahre im Baurecht zur Verfügung stellte. Von 1961 bis 1967 entstand unter der langjährigen Bauleitung des Zürcher Architekten Willy Boesiger ein konstruktiv und funktional be­sonderer Bau, der weit über die Schweizer Grenzen strahlte – Le Corbusiers letztes geplantes und sein einziges in Stahl und Glas realisiertes Projekt. 

Duale Funktion, dialektische Konstruktion

Das strukturelle Konzept, die Trennung in ein zweiteiliges, schützendes Stahldach und einen separaten Baukörper, hatte Le Corbusier bereits rund zwölf Jahre vorher angedacht – beim Entwurf des (nicht realisierten) «Pavillon des expositions temporaires pour la synthèse des arts majeurs» an der Porte Maillot in Paris.3 Auch die Dimensionen seines Zürcher maison-musée beruhen auf dem Masssystem «Modulor», das Le Corbusier 1942 bis 1955 aufbauend auf den menschlichen Proportionen entwickelt hatte. (Das verwendete Rastermass von 226 × 226 × 226 cm entspricht der Körpergrösse eines 183 cm grossen Menschen mit ausgestrecktem Arm).

Dieses Raster übertrug er sowohl auf die Ausstellungs- als auch auf die Wohnräume. Der 22.6 × 11.3 m grosse zweigeschossige Pavillon ist eine geometrische Demonstration, präzise und abstrakt, weit entfernt von Le Corbusiers restlichem Spätwerk, das von organischen Formen geprägt ist.

Auffallend ist die Unterteilung in ein wetterschützendes Stahldach (parapluies-parasols) auf sechs Stützen und die daruntergeschobenen Raumkuben (corps de logis), die keine Berührung mit dem Dach aufweisen. Die Tragstruktur entwickelte der Architekt gemeinsam mit dem Ingenieur Louis Fruitet. Untergeschoss und Erschliessungen (Rampe und Treppe) sind aus Stahlbeton, die Kuben aus Stahlprofilen, Glas und emaillierten Wandpaneelen.

Der Bauprozess entsprach dieser Konstruktionsweise: Zuerst wurde das vorgefertigte gefaltete Stahldach auf das Untergeschoss gestellt, danach die Raumkuben autonom montiert. Diese von Le Corbusier patentierte Montage4 kam hier erstmals zur Anwendung und bedingte eine kostenintensive Trockenbauweise: Die Winkelprofile mit über 20 000 Edelstahlschrauben mussten sichtbar bleiben, um die Zerlegbarkeit des Systems zu demonstrieren. Der Innenraum wirkt trotz dem engen Stützenraster offen und bietet differenzierte Durch- und Ausblicke. Die sorgfältige Farbgebung und Materialisierung mit Holzpaneelen im Innern schaffen einen vielfältigen Hintergrund für Le Corbusiers Kunst. 

1965, kurz vor seinem Tod, signierte Le Corbusier die Skizzen und Pläne für den Bau. In einem Brief an James Johnson Sweeney, den damaligen Direktor des New Yorker Guggenheim-Museums, urteilte er 1961: «Dieses Haus wird das kühnste, das ich je in meinem Leben gebaut habe.»5 Als Le Corbusier im August 1965 77-jährig beim Schwimmen am französischen Cap ­Martin ertrank, übernahmen seine langjährigen Mitarbeiter Alain Tavès und Robert Rebutato die Planung. 

Rezeption gestern, heute, morgen

Während sich die Fachwelt in Bezug auf die architektonische Bewertung des Pavillons anfangs eher verhalten zeigte, besuchten im Eröffnungsjahr 1967 über 47 000 Interessierte den Bau. Seither betreute Heidi Weber eine Vielzahl von Ausstellungen und Aktivitäten zum künstlerischen Werk Le Corbusiers. 

2014 lief der Baurechtsvertrag aus, die Stadt übernahm den Bau und stellte ihn unter kantonalen Denkmalschutz. In den Sommermonaten ist das Architekturjuwel jeweils für die Öffentlichkeit zugänglich und wird mit wechselnden Ausstellungen belebt. 

Chronologie
1958 Erstes Treffen von Heidi Weber und Le Corbusier am Cap Martin
1960 Heidi Weber zeigt Le Corbusier das Grundstück auf der Blatterwiese am Zürichhorn und unterbreitet ihm die Idee eines Ausstellungspavillons
Juni 1960 Die Stadt Zürich genehmigt die Nutzung des Grundstücks im Baurecht
März 1961 Entwurfsbeginn
1961 bis 1964 Planung
1964 bis 1967 Ausführung
27. August 1965 Tod Le Corbusiers am Cap Martin
15. Juli 1967 Einweihung des Centre Le Corbusier / Museum Heidi Weber
Mai 2014 Auslaufen des 50-jährigen Pachtvertrags mit der Stadt Zürich

Heidi Weber
Im Alter von 30 Jahren eröffnete Heidi Weber 1957 die Galerie «Mezzanin» für Möbel und Innenarchitektur am Neumarkt in Zürich. Hier präsentierte sie Möbel von George Nelson sowie Charles und Ray Eames und bearbeitete innenarchitektonische Aufträge. Im selben Jahr entdeckte sie anlässlich der Ausstellung «Le Corbusier – Architektur, Malerei, Plastik, Wandteppiche» im Kunsthaus Zürich das bildnerische Werk des Schweizer Architekten und Künstlers und erwarb bald darauf seine Collage «Femme et coquillage» (1948).6 Diese legte den Grundstein für eine Sammlung von Le Corbusiers Werken.
Den Bau des Centre Le Corbusier / Museum Heidi Weber finanzierte Heidi Weber selbst, ebenso wie den anschliessenden Betrieb, den sie ohne öffentliche Unterstützung bestritt. Heidi Weber nutzte die erste Begegnung mit Le Corbusier 1958 auch, um ihm die Produktion einer Kleinserie von vier Sesseln vorzuschlagen, die er 1928 zusammen mit Charlotte Perriand und Pierre Jeanneret entworfen hatte (LC1–LC4). 1964 verkaufte sie die Rechte weiter an den italienischen Möbelhersteller Cassina. Zwischen 1959 und 1964 organisierte sie insgesamt 13 Ausstellungen zum bildnerischen Werk von Le Corbusier. In der Folge vereinbarte er mit ihr einen Exklusivvertrag mit einer Laufzeit von 30 Jahren für den Verkauf seiner Grafiken, Gemälden und Wandteppiche.


Anmerkungen

  1. Originalinterview in: Rassegno 3/1980, erneut (gekürzt) abgedruckt in Heimatschutz / Patrimoine 1/2014, S. 7 f.
  2. Tatsächlich war die Beziehung zur Schweiz nicht nur eine negative. Etlichen gescheiterten Projekten wie dem Völkerbundpalast in Genf (1927), verschiedenen Über­bauungen im Zürcher Seefeld und dem Direktionsgebäude der Schweizerischen Rentenanstalt (1933), ebenfalls in Zürich, stehen die Ehren­doktorwürden der Universität Zürich (1934) und der ETH Zürich (1955) gegenüber oder der Auftrag für das Schweizer Studentenwohnheim in der Pariser Cité Universitaire (1931–1933). Vgl. Schweizer Ingenieur und Architekt 11/1988, S. 313 f.
  3. Catherine Dumont d’Ayot / Tim Benton, Le Corbusiers Pavillon für Zürich, Zürich 2013, S. 30 ff.
  4. A. a. O., S. 50 f., 54–55.
  5. Brief an James Johnston Sweeney, 27. September 1961, in: Jean Jenger, Le Corbusier. Choix des lettres, Basel 2002, S. 472–475. Vgl. Dumont d’Ayot / Benton, 2013, S. 18.
  6. Dumont d’Ayot / Benton, 2013, S. 21.
Magazine

Sur ce sujet