In­dus­triell am Dor­frand

Umbau im Konglomerat: In der ehemaligen Forsanose-Getränkepulverfabrik in Volketswil ZH realisierten Burkhalter Sumi Architekten aus Zürich dieses Jahr ein vielfältiges Wohnensemble –städtisches Wohnen im Grünen, Patina inklusive.

Date de publication
18-11-2013
Revision
30-10-2015

Die Glatttal-Gemeinde Volketswil nördlich des Greifensees besitzt ein heterogenes Ortsbild. Doch nicht etwa im ausgedehnten Industriegebiet, sondern inmitten der dörflichen Struktur am Hang oberhalb des alten Ortskerns befindet sich die Forsanose-Fabrik, in der nach fast vierzig Jahren Zwischennutzung und Leerstand nun grosszügig gewohnt wird. Die Zürcher Architekten Burkhalter Sumi begannen Ende 2009 mit dem Vorprojekt. Seit März dieses Jahres wurden die 24 Eigentumswohnungen schrittweise bezogen. Bauherrin war die Baugesellschaft Forsanose unter der Leitung der Projektentwicklerin Odinga und Hagen AG, einer auf Umnutzungskonzepte von Industriebrachen spezialisierten Unternehmung.

Dörflich-Industrielle Struktur

Das Fabrikensemble umfasst mehrere Gebäudeteile und Freiräume, die sich auf zwei Seiten einer geschwungenen Dorfstrasse gegenüberliegen. Eine Spinnerei aus dem Jahr 1870 bildet das historische Kernstück. Sie wurde in den 1930er-Jahren durch Anbauten an zwei Seiten zu einem zweischenkligen Winkelgebäude erweitert und zur Forsanose-Fabrik ausgebaut, Das dort produzierte Gemisch aus Kakao und Malz sollte, in Milch angerührt, der Konsumentin und dem Konsumenten zu Höchstleistungen verhelfen. 1933 begann die Produktion. Um 1940 entstand auf der östlichen Strassenseite ein zweites Fabrikgebäude mit eigenständigem Kesselhaus, das Mitte der 1950er-Jahre wiederum erweitert wurde. Alle Gebäudeteile sind als schützenswerte Bauten inventarisiert, um das Fabrikensemble als Ganzes zu erhalten. Dazu gehört auch die wunderbare historische Parkanlage, deren Gartenhaus als Veranstaltungsraum genutzt wird.

Lindgrün ist der gesamte Komplex – Spuren des handwerklichen Putzabzugs geben der wieder frischen Gebäudehaut eine angemessene Patina. Die ehemalige Spinnerei zeigt nach Süden hin eine elegante, wohlproportionierte Fassade. Das lateral gegenüberliegende Gebäude wird akzentuiert durch einen hohen Erschliessungsturm, der das Zentrum der Gesamtanlage stärkt. Hier befindet sich der Nabel des Komplexes: Die Hauptzugänge stechen vis-à-vis senkrecht in die Baukörper; dazwischen bilden die asphaltierten Vorzonen mit der Strasse einen Platz. Das Kesselhaus daneben wird aktuell noch umgebaut und ab Ende Jahr gewerblich genutzt. Alles überragt der restaurierte Hochkamin.

Variable Grundrisse

Burkhalter Sumi Architekten bewahrten den architektonischen Ausdruck der qualitätvollen Fabrikgebäude. Im Inneren fanden sie durch die unterschiedlichen Bauetappen eine Komplexität vor, die nicht mit einer einzigen Grundrisslösung beantwortet werden konnte, sondern viele Einzelentscheidungen hervorbrachte. Um die enorme Gebäudetiefe der Fabrik bewohnbar zu machen, wurden drei schmale Lichtschächte in die Geschosse eingeschnitten. Einer davon, neben dem Lift angeordnet, erhellt die grossen Erschliessungsräume. Er ist von einem türkisen Glas bedeckt und erzeugt dadurch leider eine etwas synthetische Lichtstimmung. Auch die Fenstergläser im Treppenhaus haben diese Farbe. Die eigentlich stattlichen, breit gerahmten Wohnungstüren werden von einem grellweissen umlaufenden Lichtband entmaterialisiert. Die anderen beiden Lichtschächte liegen innerhalb von Wohnungen, sind nicht überdacht und sollen mit Kletterpflanzen begrünt werden.

Die Wohnungen selbst sind in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich. Einerseits reicht die Spanne vom 1.5-Zimmer-Studio bis zum 6.5-Zimmer-Reich. Alle sind flächenmässig gross – so misst eine 3.5-Zimmer-Wohnung etwa 100 bis 160m2. Andererseits aber wiederholt sich kaum eine Raumaufteilung: Mal gibt es mehrere von einem Gang erschlossene Zimmer, dann wieder einen offenen Loft. In einer Wohnung wird auf zwei Ebenen gelebt, in den Galeriebereichen im obersten Geschoss sind die Räume 5m hoch. Wenn möglich, wurden die Stützen und die Deckenträger freigespielt und als prägende Zeitzeugen in den Räumen inszeniert. Der neue, innere Reichtum des Fabrikgebäudes ist insofern nachhaltig, als unterschiedliche räumliche Bedürfnisse erfüllt werden können. Jeder der Bewohner sei überzeugt, die schönste aller Wohnungen zu haben, weiss Urs Rinklef, der Projektleiter des Umbaus.

Anbauten als Kontrast

Eine Herausforderung, die ebenfalls situationsbezogen gelöst wurde, war die der privaten Aussenräume. Die zum Dorf gerichteten Hauptfassaden im Süden blieben von Anbauten weitgehend verschont. An der Ostfassade dagegen sind bewusst Fremdkörper gesetzt: Drei Loggientürme mit ovalem Grundriss stehen, über Stege erreichbar, vor dem Gebäude. In deren durchlässige Hüllen aus vertikalen Holzlatten sind partiell dekorative blattförmige Öffnungen eingeschnitten. Andere Loggien integrieren sich im Norden in einen Gebäuderücksprung. Sie spannen sich als Element zwischen die zwei innen liegenden Fassaden und bilden einen begrünten Hof. Die entstehenden Räume sind reizvoll. An der Westseite des gegenüberliegenden Gebäudes wurde ein weiterer Holzloggienturm errichtet. Formal korrespondierend leistet ein aussen liegendes Treppenhaus die Erschliessung dieses Flügels. Letzterer war in einem derart schwierigen baulichen Zustand, dass sich die Architekten entschieden, die Hülle mit den ursprünglich stehenden Fensterproportionen neu zu bauen. Auch Anbauten zwischen den beiden Gebäudeschenkeln wurden abgebrochen, um die Gebäudestruktur zu stärken. Nun gibt es nördlich eine Wohneinheit über die ganze Gebäudehöhe, die wie ein autonomes Einfamilienhaus mit eigenem Aussenraum im Erdgeschoss funktioniert.

Lofts für Häuslebauer 

Die Symbiose der Eigenschaften einer bestehenden industriellen Anlage mit den Ansprüchen an zeitgemässes Wohnen ist hier auf interessante Weise gelungen. Besonders ist, dass zwei unterschiedliche Lebensgefühle vereint werden: Historische Industriegebäude sind städtisch und grossmassstäblich. Sie erzählen von Schmutz und Lärm, haben hohe Räume, frei liegende Konstruktionen und harte Materialien. In Volketswil verschmilzt dieser Charakter mit den Vorzügen einer ländlichen Wohnlage. Der Wohnraum pro Person ist immens, der Aussenraum dementsprechend. Die Vielfalt bietet Individualität und Gestaltungsmöglichkeiten. Können potenzielle Häuslebauer durch solche Anreize mit einer dichteren Lebensform vertraut und in ihrem Landverbrauch gemässigt werden, ist dies sicher ein Erfolg.

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