Die Rolle des Gebäu­de­sek­tors in der Ener­gie- und Kli­ma­po­li­tik

Der Nationalrat hat die Revision des CO2-Gesetzes verworfen. Nun muss der Ständerat einen Ausweg finden, wie die Schweiz den Klimaschutz verbessern soll. In Fachkreisen wächst der Unmut über die politische Blockade. Der stellvertretende Empa-Direktor skizziert hier einen Lösungsansatz.

Date de publication
06-02-2019
Revision
13-02-2019

Die Schweiz deckt ihren Energiebedarf zu mehr als 70 % aus nicht erneuerbaren Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und Uran, die aus ausländischen Quellen stammen. Der Konsum fossiler Energieträger verursacht allerdings Treibhausgase; im Inland werden pro Jahr etwa 33 Mio. t CO2 ausgestossen. Ziel der schweizerischen Energie- und Klimapolitik ist aber, die künftige Energieversorgung auf ein nachhaltiges Fundament zu stellen. Die Anforderungen aus den drei Nachhaltigkeitsdimensionen Ökologie, Soziales und Ökonomie lauten deshalb: erneuerbar, bezahlbar und sicher.

Der Gebäudesektor beansprucht aktuell mehr als 40 % des Endenergiebedarfs. Die dazu konsumierten Brennstoffe sind für 35 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dementsprechend ist dieser Sektor stark gefordert, wenn die für die Schweiz geplante Energietransformation bis 2035 gelingen soll: Gemäss Energiestrategie des Bundes soll der Energiebedarf pro Kopf in der Schweiz um 43 % sinken (Basisjahr: 2000). Das heute gültige CO2-Gesetz schreibt zudem eine Reduktion der gebäudebezogenen CO2-Emissionen um 40 % vor (Basisjahr: 1990). Die Fortschreibung und eine Aktualisierung dieser Zielwerte sind Gegenstand aktueller Beratungen im Bundesparlament; bis zum Frühjahr ist die Revision des CO2-Gesetzes traktandiert.

Massgebliche Treiber für energetische Verbesserungen

Naturgemäss zeitigt eine energetische Verbesserung des Gebäudebestands nur allmähliche Wirkung, da sie an Renovations- und Ersatzzyklen von Gebäuden gekoppelt ist. Umso wichtiger ist es, die massgeblichen Treiber für den Energiebedarf und die CO2-Emissionen zu lokalisieren und zu verstehen, wie diese am effektivsten zu beeinflussen sind. Dazu bietet sich eine modifizierte Form der Kaya-Identität an1 (vgl. Grafik und «Mit Energie intelligent umgehen», TEC21 23/2018). Die ersten beiden Brüche in dieser Gleichung stellen die technologische Entwicklung dar: CO2/E entspricht dem Anteil an fossiler Energie im Energieversorgungsmix; E/EBF gibt die Energieeffizienz wieder, insofern die Energienutzung mit der Energiebezugsfläche ins Verhältnis gesetzt wird. Die beiden folgenden Verhältnisse stellen sozioökonomische Faktoren dar; sie und beschreiben den Raumbedarf pro Kopf (EBF/cap) sowie die generelle Bevölkerungsentwicklung (cap).

Am Beispiel Raumwärme für Privathaushalte lässt sich die Entwicklung der CO2-Emissionen in den vergangenen Jahren anhand dieser Gleichungsfaktoren analysieren [2, 3, 4]. Dieses Beispiel wurde aufgrund der guten Datenverfügbarkeit gewählt. Gleichzeitig ist dieser Bereich für etwa 75 % der gebäudebezogenen CO2-Emissionen verantwortlich und somit für den Grad der Zielerreichung relevant. Figur 1 zeigt den Verlauf seit 1990: Während die Energieeffizienz kontinuierlich verbessert worden ist, schlägt sich die Dekarbonisierung im Energieversorgungsmix erst seit 2005 merklich nieder. Im Gegensatz dazu sind die sozioökonomischen Faktoren jedoch stark gewachsen. Die Bevölkerung hat seit 1990 um 27 % zugenommen, und der Raumbedarf pro Kopf ist um 9 % gestiegen. Bei Letzterem ist interessanterweise seit 2005 aber eine Stagnation zu beobachten.

Werden die teilweise gegenläufigen Entwicklungen technologischen und sozioökonomischen Faktoren quantitativ zusammengefasst, ergibt sich folgendes Gesamtbild: Die «Technologie» ist im Zeitraum 1990 bis 2016 um 48 % besser geworden; das Emissionsziel für 2020 wäre somit heute schon erreicht. Gleichzeitig haben die sozioökonomischen Treiber um 38 % zugenommen und einen grossen Teil des Reduktionserfolgs zunichte gemacht. Es ist davon auszugehen, dass die CO2-Emissionen bis im nächsten Jahr nicht um 40 % reduziert werden können (rote Kurve in Figur 2). Ebenso ist anzunehmen, dass das langfristige Ziel im hängigen CO2-Gesetz verpasst wird: Der CO2-Ausstoss lässt sich bei gleichbleibender Entwicklung kaum bis 2030 halbieren. Wie gross ist aber die Wahrscheinlichkeit, die Limite zumindest mit ein paar Jahren Verspätung zu erreichen? Dafür ist genauer zu analysieren, welche Einflüsse auf die technologische und sozioökonomische Entwicklung ausschlaggebend sind.

Erhöhung der Abgaben

Die positive Entwicklung der technologischen Treiber beruht auf folgenden vier Massnahmen: der Regulierung mit den harmonisierten kantonalen Bauvorschriften (Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich MuKEn), der Anreizwirkung des Gebäudeprogramms der Kantone, der Lenkungswirkung der nationalen CO2-Abgabe auf Brennstoffe sowie der Innovation aus Forschung und Entwicklung. Die Faktoren wirken derart synergetisch, dass effiziente und CO2-arme Technologien sukzessive Marktanteile erobern konnten. Dadurch ist das Neubausegment zu einem Pionier geworden: Weil die Energiekennzahlen neuer Immobilien deutlich besser sind als im Bestand, ist der durchschnittliche Verbrauch des gesamten Gebäudeparks gesunken. Das Wachstum der beiden sozioökonomischen Faktoren hat zu diesem Neubauboom durchaus beigetragen.

Damit die Technologie in Zukunft in ähnlichem Ausmass verbessert werden kann, sind die bislang bewährten Massnahmen zweifelsohne weiterzuführen. Am effektivsten wäre jedoch eine gezielte und fiskalneutrale Erhöhung der Lenkungsabgabe. Die Berücksichtigung der externen Kosten von CO2-Emissionen erzeugt Kostenwahrheit und fördert daher den fairen Wettbewerb unter den unterschiedlichen Systemen am Markt. Eine fiskalneutrale Rückverteilung der Lenkungsabgabe an Private und Firmen kann unerwünschte Nebenwirkungen grossmehrheitlich verhindern. Dieser Ansatz stimuliert Innovationen und macht komplexe Regulierungsmechanismen überflüssig. Im Übrigen wäre dies auch für den Mobilitätssektor (inklusive Luftfahrt) anwendbar, der eine deutlich grössere Abweichung von den Emissionszielen zeigt als der Gebäudebereich.

Schwieriger ist eine Prognose über die künftige Entwicklung im sozioökonomischen Bereich. Das Bevölkerungswachstum der Vergangenheit ist primär der Zuwanderung geschuldet. Wie sich diese entwickelt, ist sowohl von innenpolitischen Entscheiden als auch von politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen im Ausland abhängig. Interessant ist das zuletzt abgeschwächte Wachstum des Wohnflächenkonsums. Zusätzlich zu den Anstrengungen für ein qualitativ hochstehendes, verdichtetes Bauen dürften die stark angestiegenen Wohnkosten in den wirtschaftlichen Ballungsgebieten dafür eine wichtige Rolle gespielt haben. Da jedoch die Leerbestände aktuell steigen und die Preise sich stabilisieren oder sogar senken, ist ein erneuter Anstieg des Flächenkonsums nicht auszuschliessen.

Das Konzept der Suffizienz, das sich auf den individuellen Wohnflächenkonsum bezieht, scheint derweil kaum zu greifen. Politische Fördermassnahmen sind nicht mehrheitsfähig. Insofern dürfte sich die sozioökonomische Entwicklung wie bisher fortsetzen. Der Druck auf die technologischen Faktoren bleibt hoch.

Schwächen im CO2-Gesetz

Die Analyse dieser Wechselwirkungen zeigt eine fundamentale Schwäche aktueller Reduktionsvorhaben, darunter auch der CO2-Gesetzesrevision: Anstatt alle Faktoren zu berücksichtigen, die die CO2-Emissionen bestimmen, wird nur der Technologiebereich betrachtet. Der gesetzgeberische Einfluss auf den effektiven Verlauf der Emissionen bleibt somit beschränkt. Ob die Ziele erreicht werden, ist dementsprechend unsicher. Ein möglicher Ausweg wäre, die CO2-Abgabe fiskalneutral auszugestalten und dynamisch an den Zielerreichungsgrad anzukoppeln. Je stärker die Abweichung wird, desto mehr muss die Lenkungsabgabe steigen, unabhängig davon, wie sehr der Flächenbedarf respektive die Bevölkerung wächst. Damit würden Effizienzmassnahmen wie Renovationen oder Ersatzneubauten gefördert, genauso wie der Wechsel von fossilen auf erneuerbare Heizsysteme im Gebäudebestand. Der Immobiliensektor als Ganzes könnte somit auf Zielkurs gebracht werden.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich eine derartige Entwicklung weitergehend und positiv auf die inländische Volkswirtschaft auswirken kann. Aktuell werden etwa 75 % der konsumierten Energieträger importiert. Diese sehr grosse Auslandsabhängigkeit in der Energieversorgung kann jedoch reduziert werden. Ebenso lassen sich der damit verbundene Geldabfluss mindern und die inländische Wertschöpfung erhöhen, wie folgendes Beispiel zeigt: Hätte sich die Energieeffizienz des Schweizerischen Gebäudebestands zwischen 1990 und 2017 nicht verbessert, würden die Eigentümer für das Beheizen über vier Milliarden Franken jährlich bezahlen. Alleine die Kosten für fossile Brennstoffe beliefen sich dabei auf mehr als einen Drittel, etwa 1.5 Mrd. Franken. Weitere Effizienz- und Ersatzanstrengungen sind also volkswirtschaftlich interessant.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Gebäudepark in der Schweiz in den letzten 25 Jahren grosse technische Fortschritte gemacht hat. Er beansprucht daher weniger Energie für den Betrieb und verursacht geringere Treibhausgasemissionen. Sozioökonomische Faktoren haben diese Fortschritte allerdings teilweise zunichte gemacht. Eine CO2-Gesetzgebung, die nur auf technologische Verbesserungen fokussiert, wird auch in Zukunft keine Garantie liefern, die nationalen Klima- und Energieziele zu erreichen. Viel aussichtsreicher scheint jedoch ein Konzept zu sein, das die externen Kosten in die Energiepreise konsequent integrieren kann. Damit würde die weitere Förderung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien von selbst attraktiv. Ebenso würden Innovationen gefördert, ohne zusätzliche regulatorische Eingriffe durch die Politik.

Quelle

  1. Mavromatidis et al.: A Strategy for reducing CO2 emissions from buildings with the Kaya identity – A Swiss energy system analysis and a case study. Energy and Policy 88 (343–354) 2016.
  2. Bilanz der ständigen Wohnbevölkerung, Bundesamt für Statistik 2018
  3. Energieverbrauch nach Verwendungszweck, Bundesamt für Energie 2018
  4. CO2-Statistik, Bundesamt für Umwelt 2018
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