«Wir brau­chen Kla­rheit im Kopf»

Digitalisierung des Bauens

Viele Planungsfachleute befürchten, die Digitalisierung des Bauens würde ihr Berufsprofil komplett umkrempeln. Dem widerspricht Prof. Manfred Huber, Leiter des Instituts Digitales Bauen der FHNW: Die Voraussetzungen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit digitalen Werkzeugen seien Fachkompetenz und Zielverständnis.

Date de publication
18-04-2018
Revision
18-04-2018

Prof. Manfred Huber studierte 1993–2000 an der ETH Zürich und an der School of Architecture Ahmedabad (Indien) Architektur. 2013–2016 absolvierte er das MAS Digitales Bauen an der FHNW. Er leitet heute das neue Institut Digitales Bauen der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik der FHNW. 1999 war er Mitgründer des Architektur- und Consultingbüros aardeplan ag, das er bis 2016 geleitet hat und in dessen Verwaltungsrat er heute tätig ist. Beim SIA präsidiert er die Kommis­sion SIA 2051 BIM und vertritt als Präsident der Begleitkommission SIA BK 442 BIM die Schweiz in internationalen Normierungsgremien.

TEC21: Herr Huber, das Institut Digitales Bauen ist interdisziplinär ausgerichtet. Weshalb?
Manfred Huber: Das neue Institut soll die anderen vier Institute der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik FHNW – Architektur, Bauinge­nieurwesen, Energie am Bau und Geomatik – verbinden. Die Digi­talisierung geht alle etwas an und tangiert die Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen.

TEC21: Wie wird diese Verbindung konkret hergestellt?
Manfred Huber: Im MAS Digitales Bauen, das seit bald fünf Jahren läuft, kommen unterschiedlichste Berufsleute zusammen: Architekten, Ingenieure, Baumeister, Holzbauer, Bauherrschaften, Informatiker etc. Diesen interdisziplinären Ansatz möchten wir auch auf die anderen Institute übertragen, die nach Disziplinen organisiert sind. In der Forschung hat die FHNW fünf strategische Initiativen lanciert, an denen jeweils mindestens drei Hochschulen beteiligt sein müssen. Eine dieser Initiativen, «Soziotechnische Gestaltung des digitalen Wandels im Bauwesen», läuft unter unserer Leitung.

TEC21: In der Baupraxis sind jene Fachleute, die die Gesamtleitung über ein Projekt übernehmen – im Hochbau Architekten, im Tiefbau Bauingenieure –, unmittelbar von der Digitalisierung gefordert. Da sie für das Strukturieren der Projekte verantwortlich sind, liegt es an ihnen, digitale Werkzeuge in die Prozesse zu integrieren. Sind sie dazu fähig?
Manfred Huber: Die Person, die für die Gesamtleitung verantwortlich ist, muss zwangsläufig auch den Lead bei der Implementierung von digital geprägten Methoden behalten. Das sehe ich genauso. Grundsätzlich haben wir Architekten und Ingenieure auch die Kompetenz für die Gesamtleitung; nun müssen wir uns aber befähigen, sie auch im Bereich der digitalen Methoden zu übernehmen. Es wäre schade, wenn wir durch Spezialisten verdrängt würden.

TEC21: Welche Qualifikation ist nötig?
Manfred Huber: Zuerst muss man verstehen, dass es nicht primär um technische Fragen geht, sondern um eine Methodik, um Prozesse und Organisationsformen. Im Zentrum steht die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Planern und dem Auftraggeber. Die gab es schon immer; nur können wir heute neue Werkzeuge verwenden, etwa digitale Bauwerksmodelle. Dafür braucht es natürlich etwas technisches Wissen – aber am allerwichtigsten ist nach wie vor das Verständnis für die geeigneten Methoden und Prozesse.

TEC21: Heisst das, der Ausbildungsbedarf liegt gar nicht primär bei den IT-Kenntnissen?
Manfred Huber: Ja. Die jungen Leute sind mit digitalen Tools aufgewachsen und fühlen sich damit wohl. Aber es wäre ein Irrtum zu glauben, die kriegen das dann schon automatisch hin mit der Digitalisierung am Bau. Das Wissen, wie man ein Werkzeug anwendet, hilft nichts, wenn man nicht versteht, wozu man es tut. Als Erstes muss man sich über das Ziel im Klaren sein. Ich staune immer wieder, wie schwer es uns allen fällt, ein Ziel zu formulieren – nicht nur den jungen Bachelor- oder Masterstudierenden, auch erfahrenen Fachleuten in der Weiterbildung, auch mir.
Viele wissen nicht einmal, was ein Ziel ist. Wenn man sie bittet, eines zu nennen, fangen sie an, Tätigkeiten aufzuzählen. Das Rucksackspiel zeigt es deutlich: Ich frage die Studierenden, was sie in ihren Rucksack packen würden; die meisten geben bereitwillig Antwort – den Laptop, das Taschenmesser, die Wasserflasche –, aber fast niemand will wissen, wohin die Reise gehen soll. Dabei ist das doch die entscheidende Frage, bevor man zu packen beginnt! Je nach Destination braucht man eine andere Ausrüstung.

TEC21: Wie wird dieses Verständnis vermittelt?
Manfred Huber: Indem wir üben. Die Studierenden müssen lernen, ein Ziel zu formulieren; dann überlegen sie, mit welchem Anwendungsfall oder Szenario sie dieses Ziel erreichen können; danach stellen sie zusammen, welche Informationen sie brauchen, um den Anwendungsfall abzuwickeln. Erst wenn sie wissen, welches Bedürfnis an Information sie haben, können sie Anforderungen an diese Informa­tion stellen. Das gilt immer, unabhängig davon, ob die Information am Ende in digitaler oder analoger Form vorliegt. Solche Übungen hätten wir schon früher brauchen können! Nur waren wir damals nicht dazu gezwungen.
Heute geht es nicht mehr anders, weil digitale Werkzeuge ein sehr strukturiertes Vorgehen erfordern. Als ich an der ETH Architektur studiert habe, ging es fast nur um den Entwurf. Erst in der Praxis haben wir begriffen, dass der Entwurf erst der Anfang ist; dann kommen die Baustelle und der Betrieb. So unterschiedliche Lebensphasen eines Bauwerks bekommt man nur in den Griff, wenn man von Anfang an eine klare Vorstellung hat, welches Ziel man verfolgt.

TEC21: Sind Ingenieurinnen und Ingenieure besser auf diese Herausforderung vorbereitet?
Manfred Huber: Meine Erfahrung ist, dass es ihnen eher gelingt, ein Ziel zu formulieren; sie sind ja vertraut mit der Nutzungsvereinbarung. Aber auch sie haben oft Mühe, das Ganze im Auge zu behalten. In der strategischen Planung und den Vorstudien, die in den Phasen 1 und 2 beschrieben sind, haben die wenigsten Planungsfachleute wirklich Übung; die Mehrheit steigt beim konkreten Projekt ein. Den meisten Bauherrschaften geht es übrigens auch nicht besser.

TEC21: Die Fähigkeit, ein Ziel zu formu­lieren, und das Verständnis für Methodik und Prozesse sind Voraussetzungen für die Anwendung von digital basierten Methoden. Der wirkliche Gewinn liegt aber nicht in der neuen Technologie, sondern in der bes­seren interdisziplinären Zusammenarbeit?
Manfred Huber: Ja. Wir müssen lernen, interdisziplinär zu kooperieren – ob analog oder digital. Dafür müssen die Beteiligten von Anfang an ihre Ziele formulieren; sie müssen diese teilweise sehr unterschiedlichen Ziele verknüpfen und herausfinden, mit welchen Mitteln sie sie gemeinsam erreichen. Wir machen Digitalisierung nicht um der Digitalisierung willen. Sie unterstützt eine Methode, um Prozesse effizient und zielführend abzuwickeln.

TEC21: Wie viel technisches Wissen brauchen die Beteiligten, insbesondere in der Gesamtprojektleitung?
Manfred Huber: Meiner Meinung nach wenig. Das allerwichtigste ist die hohe Kompetenz in der eigenen Disziplin; ohne die geht nichts. Dann braucht es viel Verständnis für Methoden, Prozesse, Informationen und Daten – und dafür, wie man diese strukturieren kann. Nicht maschinell strukturieren, das können Informatiker übernehmen, sondern im eigenen Kopf. Dort muss Klarheit herrschen. Diese Klarheit verschafft neue Freiheiten. Das war schon immer so; ein Modell – ob aus Karton oder digitalen Daten – ist immer eine Abstraktion der Wirklichkeit.
Daher muss ich sehr genau überlegen, welchen Teil der Wirklichkeit ich auf welche Weise abstrahieren will, um mein Ziel zu erreichen. Als Gesamtleiter brauche ich nicht selber digitale Modelle zu bauen, das kann ich delegieren; aber ich muss das Ziel verstehen, die Prozesse richtig strukturieren und die nötigen Massnahmen in die Wege leiten.

TEC21: Wenn alle Planenden von Anfang an in einem gemeinsamen digitalen Modell zusammenarbeiten und wenn dieses Modell auch Informationen zur Ausführung und zum Betrieb des Gebäudes enthalten soll, dann verschieben sich auch die Projektphasen. Werden nun alle Abläufe neu definiert?
Manfred Huber: Ich glaube nicht, dass sie sich sehr stark verschieben werden, jedenfalls nicht mehr, als sie es schon tun. Wenn ein Auftraggeber schon beim Vorprojekt eine detaillierte Kostenschätzung will, bekommt er sie in der Regel, mit oder ohne Digitalisierung. Nicht die Leistungen ändern sich, sondern der Zeitpunkt, an dem die Planenden und Ausführenden mit der Zusammenarbeit beginnen – wann sie gemeinsam starten, um gemeinsam ans Ziel zu kommen.

TEC21: Bei gewissen Projekten, zum Beispiel im Holzbau, muss das spezialisierte Wissen der umsetzenden Unternehmen sehr früh in die Planung einfliessen. Das steht im Widerspruch zum öffentlichen Beschaffungswesen, bei dem zuerst projektiert und erst dann ausgeschrieben wird. Braucht es eine Anpassung?
Manfred Huber: Ja, damit man die Unternehmen früher einbinden und ihre Vorschläge ins Projekt integrieren kann. Darin sehe ich aber keine grosse Schwierigkeit: Wenn schon zu einem frühen Zeitpunkt klar konzipierte Modelle vorliegen, ist es auch möglich, früher Offerten einzuholen und Vorschläge einzubinden. Allerdings braucht es andere Verträge: Wir müssen wegkommen von einer konfrontativen Haltung, bei der immer irgendeine Partei die Lücke im Vertrag sucht, um mehr Geld für sich herauszuschlagen; das hat keine Zukunft.

TEC21: Diesbezüglich ist die Schweiz im internationalen Vergleich eher gut aufgestellt.
Manfred Huber: Ja, und wir werden in den Nachbarländern für unser System beneidet, das nicht immer, aber doch oft partnerschaftlich funktio­niert. Architekten und Ingenieure geniessen immer noch viel Respekt. Diese Tradition wird uns auch beim Implementieren der Digitalisierung helfen. Diese Werte, auf die wir mit Recht stolz sein können, sind meiner Meinung nach kaum in Gefahr. Aber wir müssen daran arbeiten, sie zu bewahren und zu stärken.

TEC21: Was können Baufachleute tun?
Manfred Huber: Ich bin kein IT-Spezialist, sondern Architekt, aber ich engagiere mich für meine Branche, ich will den Wandel mitgestalten. Wir dürfen das Feld nicht einfach internationalen IT-Firmen mit rein kommerziellen Interessen überlassen! In der Schweiz haben wir die Bottom-up-Tradition. Die Baufachleute warten nicht, bis der Staat etwas verordnet, sondern werden selbst aktiv. So entstehen unsere Normen – basierend auf Best Practice.
Zudem denke ich, die Di­gitalisierung könnte uns auch in der Honorarfrage helfen. Ich glaube nicht, dass wir von den Bauherren je mehr bekommen werden. Aber wenn wir dank der Digitalisierung zu mehr Klarheit kommen und effektiver – nicht effizienter, sondern effektiver – arbeiten lernen, dann hoffe ich schon, dass auch mehr von unserem Honorar für uns übrig bleibt.


Institut Digitales Bauen FHNW

Im Januar 2018 gründete die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW ein neues Institut für digitales Bauen unter der Leitung von Prof. Manfred Huber. Das neue Institut geht aus dem bestehenden Kompetenzzentrum Digitales Bauen hervor und ist der Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik an­geglie­dert. Es hat einen vierfachen Leis­tungsauftrag: Ausbildung, Wei­terbildung, Forschung und Dienstleistung. In der Ausbildung sind die Themen des digitalen Planens und Bauens in die jeweiligen Studiengänge integriert, im Bereich Weiterbildung wird ein MAS in digitalem Bauen angeboten. Das Institut mit aktuell neun Beschäftigten aus den Bereiche Architektur, Bau- und Umwelt­ingenieurwesen, Gebäudetechnik und Informatik wird sein Angebot weiter ausbauen, etwa mit einem Masterstudiengang. Dieser soll aller­dings kein neues Berufsbild schaffen, sondern die bestehenden Studiengänge enger miteinander verknüpfen.

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