Ein ges­chichts­träch­tiges Werk

Denkmalpflege für Energiesysteme

Europas grösste thermische Solaranlage an der Fassade einer Schweizer Fabrik der 1970er-Jahre wies den Weg in eine Zukunft, die noch nicht ­eingetreten ist: dass sich die Ästhetik der Architektur und der Solarenergie zu einer neuen ­Formensprache verschränken könnten. 

Date de publication
06-04-2017
Revision
06-04-2017

Als die Hauszeitung des Elektrotechnikkonzerns Brown, Boveri & Cie (BBC, heute ABB) 1978 zum «Zukunftsproblem Nr. 1» berichtete, wie Wissenschaftler die «Energie aus dem Kernreaktor Sonne» auf neue Weisen zu nutzen hofften, bezog sie sich damit gleichzeitig auf atomare wie auch thermische Techniken.1 

Neben Atomkraft-Grossaufträgen führte die BBC Deutschland in ihrem zentralen Forschungslabor in Heidelberg seit Anfang 1973 Studien zur Nutzungsmöglichkeit von Sonnenenergie durch. lm Frühjahr 1974 gingen die ersten Versuchsanlagen zur Warmwasserbereitung in Betrieb, ab 1976 wurden thermische Kollektoren entwickelt – vor allem für die Montage auf Dächern von Einfamilienhäusern. 

Die Sonne als ­Mitarbeiterin 

Am Gebäude der Tochtergesellschaft Micafil an der Badenerstrasse in Zürich erprobte BBC ein Architekturkonzept, in dem sich die Erwartungen an die Solarthermie nach der ersten Ölkrise von 1973 in architektonisch expressiver Weise spiegeln. Micafil plante ab 1974 eine Fabrik für Feindrahtwickelmaschinen.2

Europas grösstes in einen Industriebau integriertes Solarprojekt der 1970er-Jahre war die Folge verschiedener Voraussetzungen: des persönlichen Engagements von Micafil-Hausarchitekt Pierre Robert Sabady (1938–1994), der Pläne von Bernhard Winkler (heute WSS Architekten) und der energiepolitischen Zuversicht der BBC, dass sich Investitionen in die Solarenergie in Zukunft auszahlen würden. «Die Sonne – neuer Mitarbeiter bei Micafil» titelte die BBC-Hauszeitung ihren Bericht zur grossflächigen Kollektoranwendung in Zürich, die in der Fach- und Publikumspresse einiges Aufsehen erregte.3 

Mit der Ausrichtung nach Süden und grossen, um 60° geneigten Dach- und Brüstungsflächen folgte der Entwurf der Micafil-Fabrik den Prinzipien architektonischer Solarenergiegewinnung, wie sie z. B. seit den 1930ern am MIT in Boston untersucht wurden. Für den sommerlichen Wärmeschutz auf der Südfassade sah der Entwurf eine tiefe Fassadenmodulation mit Verschattung vor, für den winterlichen Wärmeschutz knapp bemessene Bandfenster. Die Nordfenster sind klein. Alle Fenster sind dreifachverglast. Aussenwände und Dach sind mit 8 cm Steinwolle (k-Wert 0.4) isoliert, ein überdurchschnittlicher Wert zu einer Zeit, als die SIA-Norm 180 erst als «Empfehlung für Wärmeschutz im Hochbau» vorlag. 

Kein Lippenbekenntnis 

Anders als beim 1977 eröffneten Citicorp-Hochhaus in New York, wo die Solarpaneele (auf der 45-­Grad-Fläche) als zu teuer erachtet und schliesslich verworfen wurden, investierte Micafil in Solartechnik. Dach- und Brüstung von je 60° Neigung waren auf maximale thermische Gewinne über solare Luft- und Wasserkollektoren ausgelegt. Die 135 wasserführenden Kollektoren auf dem Dach schlugen mit 150 m2 zu Buch, in den Fensterbrüstungen wurden weitere 450 m2 Luftkollektoren installiert. 

Bei Bezug am 1. März 1979 errechnete sich die Firma eine Ver­zinsung von 2.5 % der «ökotechnischen» Investitionen, die sich auf 5 % der Bausumme beliefen. Im Vergleich zu den damaligen Zinserwartungen erschien das zwar als wenig – angesichts des bedrohlichen An­stiegs der Energiepreise nach der Erdölkrise waren Alternativen allerdings dringend benötigt. Bald nach dem Bezug der Maschinenfabrik folgte die zweite Ölpreiskrise der 1970er-Jahre, die die Sonnenenergie umso mehr als ökonomische Alternative bestätigte. Für die 600 m2 solarthermischer Kollektoren errechneten die Planer Energieerträge von 60 000 kWh pro Jahr. Im Juni 1979, drei Monate nach Inbetriebnahme, waren sie bereits zu zwei Dritteln erreicht.4 «Die Ergebnisse der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des BBC-Solar-Systems sowie die noch fortlaufenden Langzeittests haben gezeigt, dass ein Besitzer im Jahresmittel mehr als die Hälfte der Energie für die Warmwasserbereitung aus der Sonnenstrahlung gewinnt. Durch die Senkung des Anlagenpreises arbeiten die Anlagen bei dem derzeitigen Ölpreis wirtschaftlich.»5

Nach dem Happy End 

Die Kollektoren an der Fassade der Fabrik, wegweisend für den Einsatz von Solarthermie in einem dichten städtischen Umfeld, blieben allerdings nur wenige Jahre in Betrieb. Eine amortisierbare Solaranlage ist nicht nur abhängig von den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, sondern auch vom technischen Konzept. Die Verteilung und Umwandlung der thermischen Gewinne geschah in einem aufwendigen System, das mit der Lebensdauer der Kollektoren, die bis heute hätten funktionieren können, nicht mithielt. An die Herausforderungen erinnert sich Robert Aerni, der für die Gebäudetechnik verantwortlich war, gut: Für die Absorp­tionskältemaschine, die aus den USA importiert wurde, seien Temperaturen von mindestens 150 °C wünschenswert gewesen, die Sonnenkollektoren lieferten 90 °C. Dieses Problem ist durch heutige Niedertemperatursysteme allerdings aus dem Weg geräumt. 

Sämtliche Zukunftsszena­rien für die Schweiz sehen Energie aus der Sonne als einen der ­Hauptpfeiler einer nachhaltigen Strom- und ­Wärmeversorgung. Solarenergie ist allerorts ohne Transportkosten verfügbar; eine effiziente Strom- und Wärmegewinnung am Gebäudestandort ist einfach ­plan­bar, kalkulierbar und kann langlebig sein.

Gibt es daher Hoffnung für das Solarthemiesystem aus den 1970er-Jahren? Die Anlage könnte im Prinzip wieder in Betrieb gehen. Im gut isolierten Produktions- und Bürogebäude wird Heizenergie oder Brauchwarmwasser aber weniger benötigt als hochwertige elektrische Energie. Das Low-Tech-Prinzip der thermischen Warmwasser- und Warmluftaufbereitung funktioniert ausserdem nach wie vor unverändert. Während sich der Wirkungsgrad von thermischen Solaranlagen kaum gesteigert hat, vervielfachte sich die Effizienz von Photovoltaikanlagen in den letzten Jahren. PV-Zellen durchliefen viele Entwicklungen und lassen sich mit der thermischen Solargewinnung kombinieren. Die niederwertige und schwierig zu speichernde Energie von Wasser- oder Luftkühlung ist in hybriden Systemen sinnvoll: Weil Photovoltaikflächen bei intensiver Sonnen­ein­strahlung an Effizienz verlieren, wäre eine Kühlung der Flächen optimal, was heutige Hybridkollektoren leisten können. 

In einer Aufschlüsselung von Ge­bäuden und ihrer Gebäudetechnik in einzelne Bausteine können diese einzeln untersucht und ausgetauscht werden sowie neue Ober­flächen und neue Funktionen bekommen: Das könnte heute mit dem Micafil-Sonnenhaus geschehen, wenn es für eine wegweisende ­Ästhetik energetischer Systeme ebenfalls eine denkmalpflegerisches Konzept gäbe – was hinsichtlich der vieldiskutierten Energiestrategie 2050 dringend notwendig ist.

Die in die Fassade integrierten solarthermischen Bausteine stehen zur energiespendenden Sonne optimal ausgerichtet und passend geneigt. Dank dem 60-Grad-Winkel sind die Gläser selbstreinigend. Für die Sanierung des Micafil-Solarsystems müsste die in einem Baustein der Fassade geerntete Sonnenenergie der Nutzung des Gebäudes angepasst in einem weiteren Baustein gespeichert werden: Anders als in den 1970er-Jahren, als Photovoltaik zwar bekannt, aber nicht grossflächig einsetzbar war, braucht es heute eine Abwägung: Thermische Energie wird tageweise für die Brauchwarmwassererwärmung in Wasserspeichern oder saisonal zur Heizungsunterstützung in Erd- oder Wasserspeichern gelagert. Geerntete elektrische Energie bietet verschiedene Möglichkeiten: Die Elektrizität fliesst direkt ins Gebäude, wird tagesweise vor Ort in Batterien gespeichert oder ins Stromnetz eingespeist. Falls Batterien erwünscht sind, ist auch eine intelligente, bezahlte Fremdspeicherung aus dem Stromnetz zur Spitzenbrechung sinnvoll.

Im hier angedachten Szenario eines Umbaus der thermischen Kollektorflächen zu Photovoltaikzellen würde der so produzierte Strom in Batteriebausteinen oder chemischen Prozessen gespeichert. Nützen wir die wasser- und luftführenden Schichten der vorhandenen Solarkollektoren zur Kühlung der Photovoltaikflächen, kann die abgeführte niederwertige thermische Energie dann über Wärmepumpen auf Heizenergieniveau gehoben werden. Speichern wir interne Wärme und durch die Fenster eingestrahlte Sonnenenergie in ­Materien, die mit der gespeicherten Energie ihren Phasenzustand ändern, führen wir diese tagsüber gespeicherte Energie über die Solarflächen an der Fassade an den Nachthimmel ab. 

Die architektonische Vision lässt Architekten- genauso wie Ingenieurherzen höher schlagen und eröffnet ein neues Spielfeld für denkmalpflegerische Fragen, in denen energetische Systeme Teil des Denkens und Pflegens sind. 

Anmerkungen

1 Der Kontakt, Hauszeitung der BBC Deutschland, Nr. 1 bis 6 (1978). 

2 Sabady, Pierre R. et al., Neubau der Maschinenfabrik Micafil AG, in Schweizerische Bauzeitung, Bd. 97, Nr. 45 (1979), S. 907–910. 

3 «Die Sonne – neuer ‹Mitarbeiter› bei Micafil», in: Der Kontakt, Nr. 6 (1979), S. 18–19.

4 A. a. O., S. 18.

5 BBC-Nachrichten Schweiz, Nr. 10 (1979), S. 352; No. 11 (1979), S. 383.

6 «Ein Gespräch mit Pierre Robert Sabady über Biosolarhäuser», geführt von Joachim Eble, in: Arch+ 62: Öko Logisch Bauen II  (1982), S. 44–45. 

7 Erinnerung von Robert Aerni, Januar 2017.

8 Sabady, Pierre R., Biosolar-Architektur, in Werk-Archithese, Bd. 65, No. 19-20 (1978), S. 18–20. (Der Nachlass von Pierre R. Sabady befindet sich seit 2017 im gta-Archiv der ETH Zürich.)

9 Sabady, Pierre R., Sonnenkollektor und Baugestaltung, in: Der Schweizerische Hauseigentümer (15. 12. 1978), S.9.


Feuer für die Solararchitektur

Pierre Robert Sabady, gebürtiger Ungar, schloss 1969 in Genf sein Architekturstudium ab. Er war bei der Micafil für Bauprojekte zuständig, insbesondere 1974 für die Konzipierung der grossen Solaranlage des Fabrikneubaus. Daneben veröffentlichte er bei Helion, seinem eigenen Verlag, sechs Bücher zur Solararchitektur. Sabady war ebenfalls Chefredaktor der 1978–1979 erscheinenden Zeitschrift «Solaria» und Vorsitzender der Stiftung Freie Akademie, die das 1991 an der Mustermesse Basel präsentierte Biosolar-Haus erstellte. Für ihn gab es kein «Retour à la nature», sondern nur ein «Vorwärts mit der Natur» durch die Verschränkung von Architektur und Technik: «Die Zukunft liegt in der modernen Technik, minimal angewendet.»6

Sabady, der «Feuer in sich trug»7, wenn es um Solarenergie ging, proklamierte die «Bio­solar-Architektur», orientiert an topografischen, typologischen und baubiologischen Prinzipien als «passive oder direkte Sonnenenergienutzung». Die thermischen Sonnenkollektoren gehörten zur «aktiven oder indirekten Sonnenenergienutzung» durch «biophysikalisch optimierte Baustoffe, Bau­elemente und technische Systeme.»8 Diese Prioritäten wurde er nicht müde zu betonen: «Nicht die Kollektoren sind massgebend, sondern das Architektur-Konzept!».9

Étiquettes

Sur ce sujet